Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz) sollen erstmals auch Entscheidungsfristen für das erstinstanzliche Klageverfahren in das Asylgesetz aufgenommen werden. Der Entwurf dient der Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1348 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens für internationalen Schutz in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU (ABl. L 2025/1358 vom 22. Mai 2024 – im Folgenden: AsylVf-VO).
Art. 69 AsylVf-VO verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie „angemessene“ Fristen festsetzen müssen, innerhalb derer das Gericht Entscheidungen des BAMF prüfen „muss“:
„Unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung eines Rechtsbehelfs legen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht angemessene Fristen fest, innerhalb deren das Gericht Entscheidungen gemäß Artikel 67 Absatz 1 prüfen muss.“
Diese Vorgabe entspricht sowohl dem englischen Verordnungstext,
„Without prejudice to an adequate and complete examination of an appeal, Member States shall lay down in their national law reasonable time limits for the court or tribunal to examine decisions in accordance with Article 67(1)“,
als auch der französischen Fassung:
„Sans préjudice d’un examen approprié et exhaustif du recours, les États membres fixent dans leur droit national les délais raisonnables pour que la juridiction examine les décisions conformément à l’article 67, paragraphe 1.“
Da die Vorgabe des Art. 69 AsylVf-VO nur für erstinstanzliche Verfahren gilt (vgl. die amtliche Überschrift: „Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens in erster Instanz“ bzw. „Duration of the first level of appeal“ und „Durée de la procédure de recours au premier niveau“), werden mit dem Gesetzentwurf folgerichtig nur Entscheidungsfristen für das erstinstanzliche Verfahren eingeführt.
Durch das GEAS-Anpassungsgesetz soll § 77 AsylG um einen Absatz 5 ergänzt werden, der folgenden Wortlaut hat:
„Das Gericht entscheidet in Verfahren nach Artikel 67 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 2024/1348 innerhalb von sechs Monaten ab Erhebung der Klage. Artikel 35 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 2024/1348 gilt entsprechend.“
In der Begründung des Gesetzentwurfes wird ausgeführt, dass die bundesweite durchschnittliche Dauer erstinstanzlicher Gerichtsverfahren im Jahr 2023 20,7 Monate und im ersten Quartal 2024 17,6 Monate betrug.
Die Laufzeit erstinstanzlicher Klageverfahren hat sich auch im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2024 nicht wesentlich reduziert. Sie betrug nach Mitteilung des Parlamentarischen Staatssekretärs Johann Saathoff 17,1 Monate (Quelle: Deutscher Bundestag, 187. Sitzung, Antwort zur Frage 30). Aufgeschlüsselt nach Ländern ergibt sich folgendes Bild:
Bundesland | Dauer der Klageverfahren nach Monaten |
Baden-Württemberg | 10,7 |
Bayern | 13,6 |
Berlin | 20,5 |
Brandenburg | 29,3 |
Hamburg | 14,6 |
Hessen | 29,0 |
Mecklenburg-Vorpommern | 12,4 |
Niedersachsen | 18,9 |
Nordrhein-Westfalen | 18.1 |
Rheinland-Pfalz | 6,0 |
Saarland | 8,8 |
Sachsen | 19,8 |
Sachsen-Anhalt | 11,3 |
Schleswig-Holstein | 14,5 |
Thüringen | 12,3 |
Bundesgebiet gesamt | 17,1 |
Soweit der Gesetzentwurf einen Zeitraum von sechs Monaten zur Durchführung eines erstinstanzlichen Asylverfahrens als angemessen erachtet, erscheint diese Annahme unrealistisch und trägt den oben genannten Laufzeiten der Asylklageverfahren im Jahr 2024 nicht hinreichend Rechnung. Die nach den gemeinsamen Beschlüssen von Bund und Ländern angestrebte Verkürzung der Asylverfahren ist ohne prozessuale Beschränkungen des Asylverfahrens oder eine personelle Aufstockung der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht erreichbar.
Die Aufnahme einer Entscheidungsfrist für das erstinstanzliche Verfahren sollte daher nicht kürzer als 12 Monate sein. Denn innerhalb dieses Zeitraums sind zumindest einige Bundesländer bereits heute in der Lage, Asylklageverfahren abzuschließen.
Mit der Verlängerungsmöglichkeit um weitere sechs Monate, die der Verweis auf Art. 35 Abs. 5 AsylVf-VO eröffnet, bestünde die Möglichkeit, die meisten Asylklageverfahren innerhalb der Entscheidungsfrist zu beenden. Das Unionsrecht steht der Verlängerungsregelung nicht entgegen, da Art. 69 AsylVf-VO nicht die Einführung einer Höchstgrenze, sondern nur eine „angemessene“ Entscheidungsfrist für die Laufzeit eines erstinstanzlichen Asylverfahrens verlangt.