Drittstaatsangehöriger Elternteil kann Aufenthaltsrecht nach Art. 21 AEUV nur von einem aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerkind ableiten

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Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat ausweislich einer Presseerklärung mit Urteil vom 23. September 2020 (BVerwG 1 C 27.19 ) entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Elternteil eines Kindes, das die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats besitzt, ein vom Kind abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 21 AEUV (Freizügigkeitsrecht) nur zustehen kann, wenn das Kind ein eigenes - und nicht nur vom anderen (Unionsbürger-)Elternteil abgeleitetes - Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat hat.

Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, ist Vater eines im Juli 2017 geborenen Kindes, das über seine Mutter, mit der der Kläger zusammenlebt, die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt. Das Sorgerecht für das Kind wird von den Eltern gemeinsam ausgeübt. Nach der Geburt des Kindes hat der Kläger erfolglos die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerkindes (entsprechend § 5 Abs. 1 FreizügG/EU) beantragt.

Die vor dem Verwaltungsgericht erfolgreiche Klage hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) abgewiesen.
Ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugunsten des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers bestehe grundsätzlich nur, wenn es erforderlich sei, damit der Unionsbürger (hier das Kind) sein Recht auf Freizügigkeit wirksam ausüben könne. Hierzu gehöre zwar auch ein familiäres Zusammenleben im Aufnahmemitgliedstaat. Ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht sei aber nicht geboten, wenn das Familienleben auch durch Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels, hier einer humanitären Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 5 AufenthG), erreicht werden könne. Eine solche habe der Kläger zwar nie beantragt, deren Erteilung habe die Ausländerbehörde aber zugesagt. Nachdem der Kläger inzwischen die Kindesmutter geheiratet hat und ihm daraufhin eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden ist, begehrt er nur noch die gerichtliche Feststellung, dass ihm ein von seinem Kind abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugestanden habe.

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren zur erneuten Entscheidung an den VGH zurückverwiesen. Art. 21 AEUV schützt das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit und vermittelt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Familienangehörigen eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auch in bestimmten Fallkonstellationen, die nicht unmittelbar von der Richtlinie 2004/38/EG (sog. Unionsbürgerrichtlinie) erfasst werden, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Beruft sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, muss die Referenzperson, von der er das Recht ableitet (hier das Kind) im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein; ein lediglich vom anderen Elternteil (hier der Mutter) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht des Kindes reicht hierfür nicht. Ein eigenes Aufenthaltsrecht des Kindes besteht nur, wenn u.a. ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b Unionsbürgerrichtlinie). Außerdem muss der drittstaatsangehörige Elternteil nach der Rechtsprechung des EuGH in dieser Fallkonstellation für ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht auch tatsächlich für das Kind sorgen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen sind vom VGH im zurückverwiesenen Verfahren zu treffen. Ein unmittelbar aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen ist ein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht, dem die Möglichkeit der Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels nicht entgegensteht.