Die Passpflicht ist erfüllt durch Besitz eines anerkannten Passes oder Passersatzes (§§ 3 Abs. 1, 71 Abs. 6 AufenthG; §§ 3, 4 AufenthV) oder Eintragung im Pass des gesetzlichen Vertreters (§ 2 AufenthV). Ohne erforderlichen Pass reist danach ein, wer keinen zugelassenen gültigen Pass oder Passersatz mit sich führt. Es genügt indes der Besitz i.S.d. Sachherrschaft (§ 868 BGB) über das Dokument (z.B. Abgabe bei einer Behörde oder der Auslandsvertretung eines anderen Staats); der Besitz muss dann nur nachgewiesen werden (dazu Maor, ZAR 2005, 222). Auch ein abgelaufener Pass kann als Pass bzw. Passersatz ausreichen, da die Bundesrepublik Deutschland Vertragspartei von mehreren Abkommen ist, die die Weitergeltung abgelaufener Pässe als Grenzübertrittspapiere zum Gegenstand haben (s. Einzelheiten bei § 3).
Passersatzpapiere bzw. Passersatz sind Dokumente, die nach der Bestimmung der ausstellenden Stelle auch zum Grenzübertritt geeignet und bestimmt sind, ohne dass es sämtliche Merkmale eines Passes aufweist. Nach §§ 3, 4 AufenthV sind andere amtliche Ausweise als Passersatz zulassen (Rechtsgrundlage § 99 Abs. 1 Nr. 5 und 6). Nach § 4 AufenthV sind durch deutsche Behörden ausgestellte Passersatzpapiere für Ausländer:
Die Einreise ist nicht unerlaubt, wenn aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts kein Pass für den Grenzübertritt erforderlich ist (z.B. Art. 5 Abs. 4 lit. a SGK; Ausweispflicht nach Art. 1 Abs. 2 Satz 1 des Assoziierungsabkommens EU-Schweiz), ein Befreiungstatbestand vorliegt (z.B. § 14 Satz 1 AufenthV) oder das AufenthG nach § 1 Abs. 2 keine Anwendung findet. Auf Unions- und EWR-Bürger ist Abs. 1 nicht anwendbar (vgl. §§ 1 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 FreizügG/EU). Da Abs. 1 nur die unerlaubte Einreise nach Deutschland betrifft, ist mit der Nichterfüllung der Passpflicht nicht automatisch eine unerlaubte Einreise in die Mitgliedstaaten des Schengener Abkommens verbunden. Jedoch bemisst sich die Frage der Erfüllung der Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 Abs. 1 lit. a SGK bei der Einreise nach Deutschland oder der Durchreise durch Deutschland mangels europarechtlicher Vorgaben nach dem jeweiligen nationalen Recht, also hier deutschem Recht. Die Ausstellung, Bedeutung und Anerkennung von Pässen gehört völkergewohnheitsrechtlich zur Passhoheit des einzelnen Staates. Gleichwohl können diese Kompetenzen durch Europarecht überlagert sein (z.B. Durchreiserecht nach Art. 5 Abs. 4 lit. a SGK, das bei gültigem Aufenthaltstitel oder Visum für den längerfristigen Aufenthalt
auf das Besitzen eines gütigen und anerkannten Passes verzichtet).
Die 2. Alt. des § 14 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel eingereist ist. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet stets eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der EU oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Assoziationsabkommens EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteilt als:
Die Erforderlichkeit richtet sich nach einer verwaltungsrechtlichen und nicht einer strafrechtlichen Sichtweise. Auch wenn nach § 95 Abs. 1 lit. a und Abs. 6 AufenthG der Aufenthalt mit einem Schengenvisum bei illegaler Beschäftigung strafbar wird, ist für die Bewertung der Erforderlichkeit eine formale Sichtweise entscheidend (§ 95 Rn. 2; so auch Funke-Kaiser, in GK-AuslR, § 14 Rn. 9; Hailbronner, § 14 Rn. 12; Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 471 f.; BGH, U. v. 27.4.2005 – 2 StR 457/04 – NJW 2005, 2095 m.w.N. zum Meinungsstreit; U. v. 11.2.2000 – 3 StR 308/99 – NJW 2000, 1732; BGH U. v. 27.04.2005, 2 StR 457/04; a.A. HessVGH, B. v. 16.3.2005 – 12 TG 298/05 – juris). Das AufenthG stellt bei dem Grenzübertritt mit der Formulierung „dem nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel“ auf den Besitz „eines“ Aufenthaltstitel ab, der zur Einreise berechtigt. Hierdurch werden die Grenzbehörden von der Ermittlung des tatsächlich verfolgten Aufenthaltszwecks befreit. Die Frage des Einreisemotivs spielt erst bei einer ermessensabhängigen Zurückweisung z.B. nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (erheblicher Zweckwechsel) oder bei § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG eine Rolle, hier ist eine materiell-rechtliche Betrachtung erforderlich, d.h. es ist zu prüfen, ob der Ausländer den für den jeweiligen Aufenthaltszweck erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt. Eine unerlaubte Einreise liegt daher nicht vor, wenn der Ausländer mit einem einheitlichen Visum Typ C (für kurzfristige Aufenthaltszwecke) einreist, das ohne Zustimmung der Ausländerbehörden ausgestellt worden war, obwohl für den verfolgten Aufenthaltszweck (z.B. Familienzusammenführung, Arbeitsaufnahme) eine Zustimmung erforderlich gewesen wäre. Diese Auslegung wird von den Gesetzesmaterialien zum Entwurf des AufenthG gestützt, wonach sich die „Erforderlichkeit des Aufenthaltstitel nach objektiven Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten Zweck bemisst“
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz - BT-Drucks. 15/420 v. 07.02.2003
Keinen Aufenthaltstitel benötigen Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AufenthG (u.a. Diplomaten), heimatlose Ausländer nach HAuslG und nach §§ 18-30 AufenthV von der Aufenthaltstitel-Pflicht befreite Ausländer sowie Personen, die nach der EUVisumVO (Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15.3.2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABlEU L 81 vom 21.3.2001, S. 1; konsolidierte Fassung vom 19.12.2009; geändert durch VO (EG) 2414/2001 v. 07.12.2001; ABlEU L 327/1 v. 12.12.2001, VO (EG) 453/2003 v. 6.3.2003 ABl L 69/10 v. 13.3.2003; Beitrittsakte zur EU-Osterweiterung, ABlEU L 236/33 v. 23.9.2003; VO 851/2005 (EG) vom 2.6.2005 ABlEU L 141/3); VO (EG) Nr. 1791/2006 vom 20.11.2006 ABlEU L 363/1 vom 20.12.2006; Verordnung (EG) Nr. 1932/2006 des Rates vom 21.12.2006 ABlEU L 405/23 vom 30.12.2006; VO EG) Nr. 1244/2009 vom 30.11.2009 ABlEU L 336/1 vom 18.12.2009; zuletzt geändert durch VO (EU) Nr. 1091/2010 vom 24.11.2010 ABlEU L 329/1 vom 14.12.2010).
EU-VisumVO_konsolidierte Fassung
VO (EU) Nr. 1091/2010 vom 24.11.2010 - Visafreiheit Bosnien und Albanien
und Art. 5 Abs. 4 lit. a SGK, 21 Abs. 1, Abs. 2 lit. a SDÜ ohne Visum zur Durchreise oder zum Kurzaufenthalt berechtigt sind. Befreit sind auch Ausländer aus den in § 41 AufenthV aufgeführten Staaten, nicht jedoch die nach §§ 39, 40 AufenthV zur Antragstellung im Inland berechtigten Personen.
Diese Befreiung, die durch die unionsrechtliche Wirkung der Reiserechte aus dem SDÜ vermittelt wird gilt nur so lange, wie der Ausländer sich auf die Wirkung positiv berufen kann. Ist das für den Reisenden in Betracht kommende Reiserecht erloschen, muss auf das jeweilige Recht des Landes zurückgegriffen werden.
Eine besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang Art 21 Abs. 1 SDÜ (s. dazu näher § 3 Rn. 6 und 14 aber auch § 14 Rn. 16): Nach Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2a SDÜ können Drittausländer, die Inhaber eines gültigen von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitel sind oder die Inhaber eines von einem der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 18 erteilten gültigen Visums für den längerfristigen Aufenthalt sind, sich aufgrund dieses Dokumentes und eines gültigen Reisedokumentes höchstens bis zu 3 Monaten innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Art. 5 Abs. 1 a, c, und e SGK aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Das Recht aus Art. 21 Abs. 1 SDÜ steht dem Drittausländer nur dann zu, wenn er u.a. die Einreisevoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1a SGK erfüllt. Zusätzlich reicht für die Inanspruchnahme des Rechtes aus Art. 21 Abs. 1 SDÜ nicht schon der bloße Besitz eines Reisepasses aus. In Art. 21 Abs.1 SDÜ ist ausdrücklich davon die Rede, dass die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels/nationalen Visums sich aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokumentes höchstens bis zu 3 Monaten freiem Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen können, soweit sie die in Art. 5 Abs. 1a SGK aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Diese Forderung wird in den insoweit vergleichbaren Regelungen der Art. 19 und 20 SDÜ nicht aufgestellt (vgl. VG Frankfurt, B. v. 09.04.2002 – 1 G 790/02(V); U. v. 21.07.2004 – 1 E 2479/04 - beide bei juris; so auch der BGH im Ergebnis in seiner haftrechtlichen Entscheidung: B. v. 12.07.2013 – 224/12 –, juris, der die Regelung für nicht ganz einheitlich und auch nicht ganz eindeutig hält).
Der Ausländer muss daher das Grenzübertrittspapier im Bundesgebiet besitzen (vgl. Nr. 95.1.1.2 u 95.1.2.1.1 AVwV-AufenthG). Der Nichtbesitz führt hier zum Erlöschen des schengenrechtlichen Reiserechts von Anfang an, mit der Folge, dass der Ausländer wegen der Nichterfüllung von § 4 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig wird, da der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Aufenthaltstitel oder das von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte nationale Visum keinen Aufenthaltstitel nach deutschem Recht darstellt.
Ebenso erlischt ein Reiserecht grundsätzlich nach Art. 19-21 SDÜ, wenn eine der übrigen konstitutiven Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 SGK nicht (nicht mehr) erfüllt werden. Konstitutive - unabdingbare - Voraussetzungen für die Inanspruchnahme sind jedenfalls der Pass (Abs. 1 lit. a, das Visum/der Aufenthaltstitel (Abs. 1 lit. b, nicht bei Art. 20 Abs. 1 SDÜ), die SIS-Ausschreibung (Abs. 1 lit. d und die Gefahr (Abs. 1 lit. e).
Die Voraussetzungen über genügend Mittel nach Abs.1 lit. c verfügen zu müssen, würde zum Erlöschen führen können, wenn der Aufenthalt überhaupt nicht mehr legal gesichert werden könnte. Die Fälle, bei denen die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. c oder e SGK (Mittelnachweis bzw. keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen) entfallen, sind auch nach 16 Jahren Wirkbetrieb von Schengen noch nicht hinreichend bestimmt worden. Da das Bestehen oder Erlöschen des Reiserechtes nach Art. 20 Abs. 1 SDÜ unmittelbar die Erfüllung strafrechtlicher Tatbestände berührt (s. zu § 95 f.), ist an das Bestimmtheitserfordernis ein erhöhter Anspruch zu stellen (BVerfG in ständiger Rechtssprechung zu Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG). Somit kann Mittellosigkeit oder das Begehen von Rechtsverstößen (= Gefahr) nur dann unmittelbar zum Erlöschen des Reiserechtes und ggf. zur Ausreisepflicht des Positivstaaters sowie zum strafbewehrten Aufenthalt führen, wenn die Sachlage im Einzellfall klar bestimmbar ist. So bilden die jährlich von ihren nationalen Behörden für das Überschreiten ihrer Außengrenzen festgelegten Richtbeträge (Mitteilungsverpflichtung nach Art. 34 Abs. 1 lit. c SGK) nur einen Rahmen für die Prüfung, ob bezogen auf den Aufenthaltszweck ausreichende finanzielle Mittel nachgewiesen werden können. Eine weitere Argumentationshilfe ist die Bestimmung des § 2 Abs. 3 AufenthG, wonach der Lebensunterhalt eines Ausländers dann gesichert ist, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Klare Fälle sind danach jedenfalls solche, in denen der Ausländer über gar keine oder solch geringfügige Finanzmittel verfügt, die in krassem Widerspruch zur Länge des Aufenthaltes und/oder zur gewählten bzw. vorgestellten Unterkunft stehen.
Zum möglichen Erlöschen des Reiserechts bei Aufnahme einer unerlaubten Erwerbstätigkeit bei Inanspruchnahme des Reiserechts aus Art. 21 SDÜ führt VG Düsseldorf grundlegend aus:
Ein im gültigen Pass eingetragener Aufenthaltstitel eines Drittstaates der EU berechtigt den Ausländer regelmäßig zur Einreise in die Bundesrepublik sowie zum befristeten Aufenthalt. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eines mit einem Aufenthaltstitel eines Drittstaates eingereisten Ausländers stellt regelmäßig keinen Grund zur Einreiseverweigerung dar. Eine solche Einschränkung des Aufenthaltstitels ergibt sich weder aus nationalem noch aus internationalem Recht. Ein kurzer Abstand zwischen Einreise und Aufnahme der Erwerbstätigkeit spricht nicht automatisch dafür, dass der Ausländer schon bei der Einreise beabsichtigte, dieser Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bei der Frage, ob wegen des Erlöschens eines Aufenthaltstitels der Ausländer auszuweisen ist, muss die Behörde berücksichtigen, dass der Ausländer, der von einem Einreise- und Aufenthaltsrecht nach Art. 21 SDÜ Gebrauch macht, von offensichtlichen Fallkonstellationen abgesehen nur schwerlich abschätzen kann, ob sein Aufenthalt eine Gefahr i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e SGK für die öffentliche Ordnung darstellt und damit zugleich sein weiterer Aufenthalt unerlaubt wird. Mangels eines vergleichbaren unmittelbaren Regelungszusammenhangs zwischen Erwerbstätigkeit und Legalität des Aufenthalts kann im Falle eines sich auf der Grundlage des Art. 21 SDÜ in Deutschland aufhaltenden Ausländers nur bei Vorliegen entsprechender tatsächlicher Anhaltspunkte im Einzelfall davon ausgegangen werden, dass er mit einem Wegfall seines Aufenthaltsrechts unmittelbar durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hätte rechnen müssen (VG Düsseldorf, B. v. 04.06.2012 - 22 L 613/12 -, bei Winkelmann).
VG Düsseldorf - 22 L 613/12 - B. v. 04.06.2012
Für die Regeln des Erlöschens eines Reiserechts aus Art. 19 SDÜ sind die Ausführungen zu Art. 5 Abs. 1 lit. a, c, d und e sinngemäß übertragbar. Zu beachten ist jedoch, dass die Ausreisepflicht zunächst nicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG vollziehbar ist, da ein (auch ein nicht von Deutschland ausgestelltes) Schengenvisum das Erfordernis eines Aufenthaltstitels gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllt. In diesen Fällen bedarf es jedenfalls eines Feststellungsaktes der zuständigen Behörde, um das bestehende Aufenthaltsrecht zu beseitigen. Das entspricht der Verpflichtung zur Annullierung oder Aufhebung nach Art. 34 VK (siehe hierzu mit Anwendungsbeispielen Winkelmann, ZAR 2010, S. 272 f.).
Soweit den Grenzbehörden damit Kontrollen über die Absichten einreisender Ausländer auferlegt sind, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass so genannte „Positivstaater“ nach Art. 1 Abs. 2 EUVisumVO nicht befreit sind, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundes- oder Schengen-Gebiet aufhalten wollen. Beabsichtigte ein befreiter Ausländer, sich länger als drei Monate im Schengen-Gebiet aufzuhalten, so ist bereits seine Einreise grundsätzlich unerlaubt (VGH Baden-Württemberg, B. v. 14.09.2011 – 11 S 2438/11 –; OLG München, B. v. 16.07.2012 – 4 StRR 107/12 – bei Winkelmann, MNet, LG Bochum, B. v. 17.11.2010 – 7 T 501/10 –, juris).
VGH Baden-Württemberg – 11 S 2438/11 – B. v. 14.09.2011
Die EUVisumVO beruht auf Art. 62 Nr. 2b Ziff. i des EG-Vertrages. Nach dieser Norm beschließt der Rat die Vorschriften für Visa für geplante Aufenthalte von höchstens drei Monaten; es obliegt ihm daher, insbesondere die Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie die Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, aufzustellen. Damit kommt es für das Vorliegen der Befreiung auf die subjektive Einstellung des Drittstaatsangehörigen bei überschreiten der Außengrenzen an (ebenso Nr. 14.1.2.1.1.7.1 f. AVwV-AufenthG), die aber nicht über die grundsätzliche Zuordnung des Staates, dessen Staatsangehörige der Ausländer besitzt, zu Anhang I oder II der EUVisumVO entscheidet. Insofern unterfällt ein Positivstaater weiterhin Anhang II zu Art. 1 Abs. 2 EUVisumVO, auch wenn für den Einzelfall ausnahmsweise Visumpflicht besteht.
Eine Befreiung kann sich aber aus der Ausnahmeregelung nach § 41 AufenthV ergeben. Ausländer aus bestimmten Staaten (§ 41 Abs. 1 AufenthV: Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, Neuseeland, USA und § 41 Abs. 2 AufenthV: Andorra, Honduras, Monaco sowie Brasilien) können auch bei einem beabsichtigten längerfristigen Aufenthalt visumsfrei in das Bundesgebiet einreisen. Aufgrund der befreienden Wirkung der völkerrechtlichen Verbalnote vom 28.06.1956 (BGBl. 2008 II S. 1179) hätte Brasilien in § 42 Abs. 2 AufenthV eingefügt werden müssen. Das ist durch den Verordnungsgeber bislang versäumt worden. Ebenso fehlen in der Auflistung El Salvador (Verbalnote vom 05.04.1960, BAnz. Nr. 160, S. 12 778 vom 28.08.1998) und Mexiko (RdSchr. d. BMI v. 0401.1960 – VI B 5 – 62246A – 134/59 – GMBl. 1960, S. 27). Kommt die Absicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hinzu, so entfällt nach § 41 Abs. 2 AufenthV die Befreiung für Staatsangehörige aus Andorra, Honduras und Monaco. Das Sichtvermerksabkommen mit den USA (l— RdSchr. d. BMI v. 16.01.1953 — 6228 A — 6/53 —, GMBl. S. 575), das am 01.02.1953 in Kraft trat, wurde durch Notenwechsel vom 10.05.1995, 24.07.1995 und 15.09.1995 einvernehmlich aufgehoben. Offensichtlich bestand die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf der Ansicht, dass die durch Notenwechsel geschlossene Vereinbarung vom 12./30. Dezember 1952 und 9. Januar 1953 über die Befreiung von der Visumpflicht für Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika und die Abschaffung der Visumgebühren für Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland, die keine Kündigungsklausel enthält, einseitig gekündigt werden kann. Dies hatte die USA mit Note vom 24.07.1995 mitgeteilt. Diese Ansicht wurde von der Bundesregierung in Frage gestellt. Dennoch war die Bundesregierung aber insbesondere wegen der Einseitigkeit einiger in dem Sichtvermerksabkommen enthaltener Verpflichtungen bereit, einer einvernehmlichen Aufhebung des Abkommens zuzustimmen. Daher wurde das Sichtvermerksabkommen seit 15.09.1995 einvernehmlich als aufgehoben betrachtet, was allerdings 15 Jahre später bemerkt wurde.
Nachricht in Migrationsrecht.net zur Aufhebung des SV-Abk. mit den USA vom 09.10.2010
Israel und die USA galten nämlich bislang als einzige Gruppe, die unter die Vergünstigung des § 41 Abs. 1 AufenthV fällt, ohne selbst durch ein Sichtvermerksabkommen begünstigt zu sein. Das bedeutet, US-Amerikaner können zwar nach wie vor zu einem kurzfristigen wie auch längerfristigen Aufenthalt ohne Visum nach Deutschland einreisen, auch wenn damit die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verfolgt wird. Jedoch sind mangels Abkommen keine weiteren Vergünstigungen an den Aufenthalt geknüpft; insbesondere zählen die Voraufenthaltszeiten in anderen Schengenstaaten mit.
Dabei erfasst die EUVisumVO ausschließlich Einreisen über die Außengrenzen der Anwenderstaaten. Anwenderstaaten sind dabei nicht die EU-Staaten, sondern diejenigen Staaten, die den Schengen-Besitzstand einschließlich der EUVisumVO anwenden. Dies sind auch die beiden EWR-Staaten Norwegen und Island (siehe 3. Begründungserwägung der EUVisumVO). Keine Anwendung findet die EUVisumVO auf Einreisen nach Irland und das Vereinigte Königreich (siehe 4. Begründungserwägung der EUVisumVO) mit der Folge, dass die Einreise von Drittstaatsangehörigen aus diesen Staaten der EUVisumVO unterfällt, während die Einreise aus Norwegen oder Island als Binneneinreise ausschließlich vom SDÜ und bei Durchreisen vom Art. 5 Abs. 4 lit. a SGK erfasst wird.
Für die Einreise und den Kurzaufenthalt sind die Staatsangehörige der in Anhang II der EUVisumVO genannten Staaten nach § 17 AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitel nicht befreit, sofern sie im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben. Diese Regelung wird durch Art. 4 Abs. 3 EUVisumVO ermöglicht. Nach Nr. 14.1.2.1.1.7.1 f. AVwV-AufenthG führt bereits die Absicht, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, dazu, dass die Befreiung nach der EUVisumVO entfällt (s.o. Rn. 12); so auch Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 470; vgl. auch OLG Hamm, B. v. 21.01.2010 –15 Wx 58/09, I-15 Wx 58/09 –, juris. Dies ist auf den ersten Blick mit dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 AufenthV schwer vereinbar. Denn die Norm knüpft nicht an die Absicht, eine Beschäftigung ausüben zu wollen an (anders als § 41 Abs. 2 AufenthV), sondern an die Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Die Bestimmung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Einreise, da die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Zeitpunkt des Grenzübertritts regelmäßig nicht vorliegt (aber z.B. ausnahmsweise: im Falle des Zigarettenschmuggels, OLG Brandenburg, B. v. 22.01.2004 – 2 Ss 36/03 –). Die Regelung des § 17 Abs. 1 AufenthV muss aber im Lichte der Öffnungsklausel des Art. 4 Abs. 3 EUVisumVO ausgelegt werden, die gerade vorsieht, dass die Mitgliedstaaten Personen, die während ihres Aufenthaltes einer Erwerbstätigkeit vorgehen, von der Visumbefreiung ausgenommen werden können. Das hat der Gesetzgeber mit der Bestimmung geregelt. Der EU-Verordnungsgeber ist nur ermächtigt die Einreisefragen zu bestimmen, so regelt die EUVisumVO nur den Grenzübertritt und nicht den Aufenthalt. Eine solche Klausel - eine Verschärfung der Visumbestimmungen - wäre also von vorneherein wirkungslos und zudem über die Kompetenzen der EU hinausgehend, wenn die Visumpflicht erst für den Zeitpunkt der Aufnahme der Erwerbstätigkeit gelten sollte. Insoweit gilt, dass bereits die Absicht der Aufnahme der Erwerbstätigkeit die Visumbefreiung suspendiert, sofern nicht ausnahmsweise eine „Nichtbeschäftigung“ nach § 17 Abs. 2 AufenthV vorliegt. Diese Rechtsfolge wird zudem regelmäßig aus Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK folgen, da die Aufnahme einer unerlaubten Erwerbstätigkeit zu einer Gefahr gegen die öffentliche Ordnung i.S.d. EU-Rechts führt.
VG München, U. v. 27.07.2010– M 10 K 09.3655 – -
A.A. VG Darmstadt, B. v. 05.06.2008 – 5 L 277/08.DA –.
Der Aufenthalt für visumbefreite Ausländer nach Anhang II der EUVisumVO bestimmt sich nach Art. 20 SDÜ. Die von Anhang II erfassten Ausländer können sich danach für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten innerhalb eines Bezugzeitraums von sechs Monaten seit der ersten Einreise rechtmäßig im Schengengebiet aufhalten, wenn sie die in Art. 20 Abs. 1 SDÜ genannten Voraussetzungen erfüllen.
Die Einreise von befreiten Ausländern nach Anhang II der EUVisumVO über Schengenbinnengrenzen wird nicht von der EUVisumVO erfasst, sondern richtet sich ausschließlich nach Art. 20 SDÜ. Die Regelung, die ihrem Wortlaut nach nur den Aufenthalt regelt, erfasst zugleich den Einreisevorgang. Die Einreise und der Aufenthalt sind erlaubt, wenn die Voraussetzungen der Befreiung und die Voraussetzungen des Art. 5 SGK vorliegen, auf die verwiesen wird. Die Absicht eines längerfristigen Aufenthalts, d.h. länger als drei Monate im Bezugszeitraum von sechs Monaten seit der ersten Einreise, stellt, wenn nicht ein Sichtvermerksabkommen nach Art. 20 Abs. 2 SDÜ eingreift, regelmäßig eine Gefahr im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK dar, die automatisch zur unerlaubten Einreise und zum unerlaubten Aufenthalt führt.
Besonderheiten gelten für Drittausländer, die im Besitz eines Aufenthaltstitels oder eines nationalen Visums (Typ D) eines anderen Mitgliedstaats eines der Anwenderstaaten des Schengen-Besitzstandes sind. Deren Einreise unterfällt für Aufenthalte von bis zu drei Monaten dem Art. 21 SDÜ, soweit die dort genannten Voraussetzungen erfüllt werden (s.o. Rn. 11). Ist der Ausländer bei der Einreise über die Außengrenze im Besitz eines abgelaufenen oder nicht für Deutschland anerkannten Passes und erfüllt er nicht die anderen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 SGK, so wird nach Art. 5 Abs. 4 lit. a SGK die Einreise zum Zwecke der Durchreise zur Erreichung des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats gleichwohl gestattet, der den Aufenthaltstitel oder das Visum für den längerfristigen Aufenthalt oder erforderlichenfalls ein Rückreisevisum ausgestellt hat, es sei denn, er ist auf der nationalen Ausschreibungsliste, mit einer Anweisung ausgeschrieben, ihm die Einreise oder die Durchreise zu verweigern.
Für die nach alledem gebotenen Kontrollen bieten die abgestuften Regelungen des § 15 Abs. 1 bis 3 AufenthG (s. dort § 15) eine den Verhältnissen an der Grenze adäquate Lösung. Die Aufenthaltstitelpflicht und die Befreiungen knüpfen nicht nur an Staatsangehörigkeit oder Besitz eines Passes an, sondern auch z.T. an Dauer und Zweck des Aufenthalts. Soweit die Befreiung nur auf den weiteren Aufenthalt beschränkt ist, bleibt die Einreise davon unberührt; Einreise und Aufenthalt sind dann insoweit getrennt zu betrachten (Pfaff, ZAR 1992, 117). Soweit die Befreiung von einer bestimmten Willensrichtung abhängt, ist die Einreise mit einer davon abweichenden Absicht unerlaubt, weil nicht von der Pflicht zum Besitz eines Aufenthaltstitels freigestellt (a.A. Pfaff, a.a.O.).
Nach der Entscheidung Nr. 896/2006/EG können die Schengenstaaten die Aufenthaltserlaubnisse (Anhang zu Art. 2 der Entscheidung) der Schweiz und von Liechtenstein seit 10.07.2006 als den eigenen nationalen Visa gleichwertig anerkennen. Mit der Anerkennung ist ein Durchreiserecht verbunden, soweit die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. a, c, d und e SGK erfüllt werden und kein Aufenthalt beabsichtigt wird, der über die konkrete Durchreisedauer hinausgeht (s. dazu Vorabentscheidungsverfahren des OLG Karlsruhe, B. v. 4.04.2008 und Urteil des EuGH in dieser Rechtssache „Kqiku“ (Rs. C-139/08 v. 02.04.2009), das ein Durchreiserecht für 5 Tage (analog des damaligen Visums Typ B) anerkannte).
EuGH, U. v. 04.04.2008 C-139/08 - Kqiku.
Das erleichterte Durchreiserecht gilt nur in Bezug auf die Reiseroute Drittstaat via Schengenland zum Drittstaat und zurück. Die Entscheidung Nr. 896/2006/EG galt seit der Vollanwendung des Schengener Besitzstandes durch die Schweiz seit dem 12.12.2008/29.03.2009 nur noch in Bezug auf Liechtenstein bis zum 18.12.2011. Nach der Evaluierungsphase wurde durch Beschluss des Rates vom 13. Dezember 2011 die vollständige Anwendung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Fürstentum Liechtenstein mit Wirkung vom 19.12.2011 verfügt (ABl EU L 334/27 v. 16.12.2011). Diese Entscheidung wird von Zypern seit 10.06.2006 ebenfalls angewendet. Lediglich Estland und Litauen wenden diese nicht in Bezug auf Liechtenstein an. Für Rumänien und Bulgarien gilt aufgrund der Entscheidung Nr. 586/2008/EG die Entscheidung Nr. 896/2006/EG ebenfalls (d.h. sowohl in Bezug auf die Schweiz, als auch in Bezug auf Liechtenstein). Die Anwendung ist den Staaten mitgeteilt worden (Bulgarien: 18.07.2008, Rumänien 11.07.2008; vgl. ABlEU C 312/8 v. 06.12.2008); vgl. Winkelmann in ZAR 2010, 271; Jahrbuch Migrationsrecht 2009/2010, Stämpfli Verlag Bern, S. 102.
Entscheidung Nr. 896/2006/EG vom 14.06.2006
Damit ist insgesamt die Einhaltung der Visumregeln abgesichert, Verstöße gegen den Visumzwang oder die Bedingungen für die Visumfreiheit bleiben nicht folgenlos. Die Grenzkontrollen werden nicht zusätzlich erschwert, weil Art. 7 SGK, die EUVisumVO und § 15 AufenthG ohnehin bei begründetem Anlass zu entsprechenden Nachfragen verpflichten. In begründeten Fällen wird über die Unerlaubtheit der Einreise bei der Erteilung eines Aufenthaltstitel hinweggesehen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Zudem kommt es für die Berechtigung zum Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 39 AufenthV z.T. (Nr. 4 und 5) nicht auf die ordnungsgemäße Einreise an (zu den strafrechtlichen Folgen § 95 ff.).
Mit Einführung der Nr. 2a (s.o. Rn. 1, 2) wird verwaltungsrechtlich korrenspondierend zu § 95 Abs. 6 geregelt, dass nunmehr nicht nur eine Strafrechtsfolge aufgrund praktischen Bedürfnisses entsteht (s. § 95 Rn. 49), sondern diese Einreise auch verwaltungsrechtlich unerlaubt ist. Hiermit wird in Abkehr zu der sonst bestehenden Akzessorität keine unmittelbare Verknüpfung zu § 95 Abs. 6 hergestellt. Es verweist auch kein anderer Tatbestand direkt auf § 14 Abs. 1 Nr. 2a. Durch die Änderung wird also kein neuer Straftatbestand eingeführt. § 95 Abs. 1 Nr. 3 verweist weiterhin nur auf § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 und nicht auf die neue Nummer 2a.
Die Änderung bewirkt, dass die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden auch für die Aufenthaltsbeendigung in Form der Zurückschiebung in Fällen zuständig sind, in denen der Ausländer mit einem erschlichenen Visum eingereist ist. Hierdurch werden die örtlichen Ausländerbehörden entlastet und die Freiheitsentziehung bis zur Aufenthaltsbeendigung verkürzt. Die Zuständigkeit der mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden für die Rücknahme oder Annullierung des erschlichenen Visums ergibt sich für diese Fallkonstellation bereits aus § 71 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a (s. dort). Danach sind die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden für die Rücknahme, den Widerruf, die Annullierung und die Aufhebung eines Visums unter anderem im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung an der Grenze zuständig. Die Formulierung „im Fall“ in § 71 bedeutet lediglich, dass ein Zusammenhang mit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung bestehen muss. Nicht erforderlich ist, dass diese Maßnahmen bereits getroffen wurden.
Die nachträgliche Feststellung der Unerlaubtheit der Einreise (s. hierzu schon Rn. 2), führt durch Annullierung oder Rücknahme zum rückwirkenden Verlust der (vermeintlich rechtmäßig) erworbenen Rechte von Anfang an (BR-Drs 97/13 v. 8.2.2013, S. 26, Nr 8 (§ 14)). Dies entspricht auch der Auffassung der Generalanwältin in Nr. 51 im Schlussantrag des Verfahrens vor dem EuGH zur Rs C-83/12 - "Vo" (U. v. 10.04.2012). Zu Recht weist die Generalanwältin in ihrer Stellungnahme vom 26.03.2012 darauf hin, dass die in § 95 Abs. 6 vorgesehene Gleichstellung (oder Legalfiktion) weder die verwaltungsrechtliche Stellung des Visuminhabers, noch die ihm gegen eine etwaige Annullierungsentscheidung zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten berührt. Sie betrifft nur das Strafrecht. Ein erteiltes Visum, sofern keine Umstände vorliegen, die nach Art. 32 VK zu seiner Verweigerung geführt hätten, ist bis zu seinem Ablauf oder seiner etwaigen Aufhebung gültig und deckt daher den vorausgegangenen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten ab. Dagegen ist das Visum ab dem Zeitpunkt seiner Aufhebung kein gültiger, einen Aufenthalt rechtfertigender Titel mehr (Aufhebung ex nunc). Das entsprach der deutschen Rechtslage (vgl. BGH, U. v. 27.04.2005 - 2 StR 457/04 -). Wird nach der Erteilung des Visums festgestellt, dass diese Umstände bereits zum Zeitpunkt seiner Erteilung vorlagen (aber von den zuständigen Behörden nicht rechtzeitig erkannt wurden), erwächst daraus die gleiche Konsequenz, wie wenn die zuständigen Behörden Art. 32 Abs. 1 Buchst. b angewandt hätten. Dies bedeutet somit, dass es an der Gültigkeit von Anfang an fehlte (Annullierung ex tunc). Dies wird nun durch die Einführung der Nr. 2a im deutschen Recht abgebildet.
Nach § 15 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 13 Abs. 1 SGK ist damit die Einreise auch zu verweigern, wenn diese nach § 14 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG unerlaubt erfolgen soll und ist daher nach Art. 34 Visakodex zu annullieren. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Reisende nicht im Besitz des Visums ist, dass seinem Hauptreisezweck entspricht, sofern dieses Schengen-Visum durch falsche Angaben gegenüber dem ausstellenden Konsulat erschlichen wurde (VG München, B. v. 04.12.13 – M 23 S 13.5250 –, juris).
Das Einreiseverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG (s. dort § 11) kann nur durch die Erlaubnis nach § 11 Abs. 2 oder die Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 4 AufenthG durchbrochen werden. Wer im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist (Art. 96 Abs. 3 SDÜ), reist (nur) dann unerlaubt ein, wenn der Ausschreibung eine deutsche Ausweisung, Abschiebung oder Zurückschiebung zugrunde liegt. Ist trotz § 11 Abs. 1 AufenthG ein Visum erteilt (u.U. ein einheitliches Visum durch einen anderen Staat), liegt zwar ein Ausweisungsgrund vor, der zur Zurückweisung zwingt (§§ 15 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 SGK), nicht jedoch ein unerlaubter Aufenthalt bei z.B. Einreise über die Binnengrenze.
Die Einreisesperre ist ausschließlich von der Wirksamkeit der Ausweisung abhängig, weder Sofortvollzug noch Bestandskraft sind erforderlich (s. § 11 Rn. 6; a.A. Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 475). Die Sperrwirkung tritt kraft Gesetzes mit Bekanntgabe der Ausweisung ein. Abschiebungen entfalten Sperrwirkung, wenn sie vollzogen sind.
Bei Altausweisungen gegenüber EU-Bürgern ist zu differenzieren: Ausweisungen gegen Staatsangehörige der Mitgliedstaaten entfalten auch nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetz weiterhin Sperrwirkung nach § 8 Abs. 2 AuslG 1990. Denn bei diesen EU-Bürgern mussten über § 12 AufenthG/EWG die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts bei der Ausweisung berücksichtigt werden. Altausweisungen gegenüber Staatsangehörigen der Beitrittsstaaten entfalten hingegen keine Sperrwirkung, weil hier zu keinem Zeitpunkt die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu beachten gewesen sind. Außerdem kann EU-Bürgern die Sperrwirkung von Abschiebungen nicht mehr entgegengehalten werden (zu den Einzelheiten § 11 Rn. 7 f.).
Zu den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) und zur Kritik an der geplanten Umsetzung durch das 2. Richtlinienumsetzungsgesetz siehe Betrag von Winkelmann, MNet.
Winkelmann: Zur nationalen Umsetzung der Rückführungsrichtlinie
Westphal/Stoppa: Report Ausländer- und Europarecht Nr. 23, 12/2010