Aufhebung des Trenungsverbots bei der Abschiebungshaft ist ausnahmsweise mit Unionsrecht vereinbar

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„Gefährder“ dürfen für die Dauer ihrer Abschiebungshaft ausnahmsweise in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht werden.

Artikel 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Sicherung der Abschiebung getrennt von Strafgefangenen in einer gewöhnlichen Haftanstalt untergebracht werden darf, weil von ihm eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft oder für die innere oder äußere Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats ausgeht, nicht entgegensteht. Dies entschied der EuGH am 2. Juli 2020 über die Vorlagefrage des BGH in der Rechtssache C-18/19 und folgte damit den Schlussanträgen des Generalanwalts.

Artikel 16 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Rückführungsrichtlinie) bestimmt, dass die Inhaftierung von Abschiebungsgefangenen grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen erfolgt. Nur wenn in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden sind, kann die Unterbringung nach Satz 2 in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, wobei die Drittstaatsangehörigen gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen sind.

Diese Ausnahmeregelung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eng auszulegen. Sie kann deshalb bei einem föderal gegliederten Mitgliedstaat wie der Bundesrepublik Deutschland nur angewendet werden, wenn in keinem Bundesland eine spezielle Hafteinrichtung für Abschiebungshäftlinge vorhanden ist (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014, Rs. C-417/13 u.a., Bero, ECLI:EU:C:2014:2095).

Das Trennungsgebot wurde zunächst durch § 62a Absatz 1 Satz 1 AufenthG in nationales Recht umgesetzt. Mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) vom 16.5.2019 wurde dieses Trennungsgebot für etwa drei Jahre ersatzlos und für sämtliche Abschiebungsgefangene außer Kraft gesetzt. Bis zum 30.06.2022 (Übergangsbestimmung des Art 6 des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes) entfällt die Verpflichtung, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige für die Zwecke der Abschiebung in speziellen Hafteinrichtungen und nicht in gewöhnlichen Haftanstalten zu inhaftieren.

Vergleiche hierzu auch folgenden Beitrag

Mit seiner Entscheidung ermöglicht der Gerichtshof zwar die Unterbringung von Gefährdern in normalen Haftanstalten. Es wird aber klar, dass diese Ausnahme sehr eng ausgelegt wird. Voraussetzung für die Nichtbeachtung des Trennungsgebots ist das Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend erheblichen Gefahr der öffentlichen Ordnung oder öffentlichen Sicherheit. Eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit kann daher nur dann rechtfertigen, dass ein Drittstaatsangehöriger nach Artikel 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115 in einer gewöhnlichen Haftanstalt in Abschiebungshaft genommen wird, wenn sein individuelles Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder die innere oder äußere Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats berührt.