EuGH soll Fragen zur Sekundärmigration von Asylsuchenden klären

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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 23.03.2017 in drei Verfahren den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg zur Klärung von Fragen angerufen, die die Sekundärmigration von Asylsuchenden betreffen. Insbesondere geht es um die Auslegung und zeitliche Anwendbarkeit der in der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie n.F.) eröffneten Möglichkeit, einen Asylantrag schon dann als unzulässig abzulehnen, wenn der Antragsteller bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat subsidiären Schutz erhalten hat.

Die Kläger sind staatenlose Palästinenser aus Syrien. Sie hatten in Bulgarien subsidiären Schutz erhalten, kamen 2013 von dort über Ungarn und Österreich nach Deutschland und stellten hier erneut Asylanträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellte fest, dass ihnen wegen ihrer Einreise aus Bulgarien als einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht, und ordnete ihre Abschiebung nach Bulgarien an. Das Oberverwaltungsgericht hat die Abschiebungsanordnungen aufgehoben und die klageabweisenden erstinstanzlichen Urteile im Übrigen bestätigt. Es hat seine Entscheidung unter anderem darauf gestützt, dass die Kläger keinen Schutz durch Deutschland beanspruchen könnten, weil sie aus einem sicheren Drittstaat - nämlich Österreich - eingereist seien. Dagegen richten sich die Revisionen der Kläger.

Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts ist der Auffassung, dass die nach aktueller Rechtslage in § 29 Abs. 1 Nr. 3 Asylgesetz (AsylG) geregelte Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat keine Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide darstellen kann. Denn sichere Drittstaaten sind in unionsrechtskonformer Auslegung dieser Regelung nur Staaten, die keine EU-Mitgliedstaaten sind; die Asylverfahrensrichtlinie unterscheidet klar zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten.

Damit hängt der Erfolg der Revisionen davon ab, ob die Entscheidungen, keine Asylverfahren durchzuführen, in Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgedeutet werden können. Nach dieser mit Wirkung vom 6. August 2016 geschaffenen Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Der 1. Revisionssenat sieht Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob die Übergangsregelung in Art. 52 Abs. 1 Asylverfahrensrichtlinie n.F. der Anwendung dieser Vorschrift auf die hier anhängigen und vor dem in Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie genannten Stichtag 20. Juli 2015 eingeleiteten Asylverfahren entgegensteht. Für den Fall der Anwendbarkeit der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie sieht der Senat Klärungsbedarf auch hinsichtlich etwaiger unionsrechtlich begründeter Einschränkungen bei der Ablehnung eines auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (sog. Aufstockung) zielenden Asylantrags als unzulässig wegen der Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat sowie zu Fragen der internationalen Zuständigkeit.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Gerichtshof ersucht, über die Vorlagefragen im beschleunigten Verfahren gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des EuGH zu entscheiden, weil sich die aufgeworfenen Fragen in einer Vielzahl von derzeit bei dem Bundesamt und den Verwaltungsgerichten anhängigen Fällen stellen.

Die Vorlagefragen sind als Anlage beigefügt. Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs hat das Bundesverwaltungsgericht die Revisionsverfahren ausgesetzt.

BVerwG 1 C 20.16 - Beschluss vom 23. März 2017

 

Vorlagefragen:

1. Steht die Übergangsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, wonach in Umsetzung der gegenüber der Vorgängerregelung erweiterten Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst a Richtlinie 2013/32/EU ein Antrag auf internationalen Schutz unzulässig ist, wenn dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, soweit die nationale Regelung mangels nationaler Übergangsregelung auch auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge anzuwenden ist?

Erlaubt die Übergangsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU den Mitgliedstaaten insbesondere eine rückwirkende Umsetzung der erweiterten Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst a Richtlinie 2013/32/EU mit der Folge, dass auch vor der nationalen Umsetzung dieser erweiterten Ermächtigung gestellte, zum Zeitpunkt der Umsetzung aber noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge unzulässig sind?

2. Räumt Art. 33 RL 2013/32/EU den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht ein, ob sie einen Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit (Dublin-VO) oder nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU als unzulässig ablehnen?

3. Falls Frage 2. bejaht wird: Ist ein Mitgliedstaat unionsrechtlich gehindert, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen der Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat in Umsetzung der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst a Richtlinie 2013/32/EU als unzulässig abzulehnen, wenn

a) der Antragsteller eine Aufstockung des ihm in einem anderen Mitgliedstaat gewährten subsidiären Schutzes begehrt (Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) und das Asylverfahren in dem anderen Mitgliedstaat mit systemischen Mängeln behaftet war und weiterhin ist oder

b) die Ausgestaltung des internationalen Schutzes, namentlich die Lebensbedingungen für subsidiär Schutzberechtigte, in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller bereits subsidiären Schutz gewährt hat,

- gegen Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK verstößt oder

- den Anforderungen der Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU nicht genügt, ohne bereits gegen Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK zu verstoßen?

4. Falls Frage 3 b) zu bejahen ist: Gilt dies auch dann, wenn subsidiär Schutzberechtigten keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen gewährt werden, sie insoweit aber nicht anders behandelt werden als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates?

5. Falls Frage 2 zu verneinen ist:

a) Findet die Dublin III-VO in einem Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes Anwendung, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014, das Wiederaufnahmegesuch aber erst nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist und der Antragsteller zuvor (im Februar 2013) bereits in dem ersuchten Mitgliedstaat subsidiären Schutz erhalten hat?

b) Ist den Dublin-Regelungen ein - ungeschriebener - Zuständigkeitsübergang auf den um Wiederaufnahme eines Antragstellers ersuchenden Mitgliedstaat zu entnehmen, wenn der ersuchte zuständige Mitgliedstaat die fristgerecht beantragte Wiederaufnahme nach den Dublin-Bestimmungen abgelehnt und stattdessen auf ein zwischenstaatliches Rückübernahmeabkommen verwiesen hat?