Unterbrechung der Dublin III-Überstellungsfrist wegen COVID 19-Pandemie

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Ausweislich einer Presseerklärung hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 27. Januar 2021  dem Gerichthof der Europäischen Union angerufen, um zu klären, ob eine behördliche Aussetzung der Vollziehung einer Abschiebungsanordnung wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung infolge der COVID 19-Pandemie geeignet ist, den Lauf der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung vorgesehenen Überstellungsfrist zu unterbrechen.

Der Kläger, nach eigenen Angaben ein nigerianischer Staatsangehöriger, war über Italien eingereist, das sich Ende August 2019 zur Übernahme des Klägers bereit erklärt hatte. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) daraufhin mit Bescheid vom 29. August 2019 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an.

Hiergegen erhob der Kläger Klage. Seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Anfang Oktober 2019 ab. Im Februar 2020 teilte das italienische Innenministerium mit, aufgrund der durch die COVID 19-Pandemie ausgelösten Gesundheitssituation erfolgten keine Überstellungen von und nach Italien mehr. Daraufhin setzte das Bundesamt mit Schreiben an den Kläger vom 5. März 2020 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO bis auf Weiteres aus, weil im Hinblick auf die COVID 19-Pandemie derzeit Dublin-Überstellungen nicht möglich seien. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, weil die sechsmonatige Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) abgelaufen und die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylgesuchs auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen sei. Die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung habe unionsrechtlich nicht zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist geführt, weil die Dublin III-VO keine vom Abschluss des konkreten Rechtsmittels losgelöste Aussetzung der Vollziehung vorsehe.

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts sieht unionsrechtlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob eine behördliche Aussetzung der Vollziehung der Überstellungsentscheidung, die an eine pandemiebedingte tatsächliche Unmöglichkeit einer Überstellung anknüpft, den Lauf der Dublin-Überstellungsfrist unterbricht.

In dem Verfahren BVerwG 1 C 53.20 (Vorinstanz VG Potsdam, VG 2 K 232/20.A - Gerichtsbescheid vom 14. August 2020), dem ein im Kern vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liegt, hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag aus den gleichen Gründen den EuGH angerufen.

 

Vorlagefragen:

  1. Ist eine behördliche Aussetzung der Vollziehung der Überstellungsentscheidung, die widerruflich nur wegen der durch die COVID 19-Pandemie bedingten tatsächlichen (zeitweiligen) Unmöglichkeit von Überstellungen ergeht, während eines gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens vom Anwendungsbereich des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO erfasst?
  2. Wenn Frage 1 bejaht wird: Löst eine solche Aussetzungsentscheidung eine Unterbrechung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO aus?
  3. Wenn Frage 2 bejaht wird: Gilt dies auch dann, wenn ein Gericht vor Ausbruch der COVID 19-Pandemie einen Antrag des Schutzsuchenden, nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Dublin III-VO die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahren auszusetzen, abgelehnt hatte?

 

BVerwG 1 C 52.20 - Beschluss vom 26. Januar 2021

BVerwG 1 C 53.20 - Beschluss vom 26. Januar 2021