Nach einer Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts hat der 1. Senat mit Urteil vom 25. November 2021 (1 C 4.21) entschieden, dass der subsidiäre Schutzstatus von Eltern und Geschwistern eines minderjährigen Flüchtlings nicht die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz hindert; ist der Flüchtling im Laufe des Verfahrens volljährig geworden, müssen sowohl die Familienangehörigen als auch das Kind ihr Asylgesuch noch vor dessen Volljährigkeit geäußert haben.
Die Kläger, syrische Staatsangehörige, sind die Eltern bzw. Geschwister eines inzwischen volljährigen Flüchtlings (Stammberechtigte). Die gesamte Familie einschließlich der Stammberechtigten hatte in Deutschland um Asyl nachgesucht, als die Stammberechtigte noch minderjährig war. Die Kläger erhielten vom Bundesamt unter Ablehnung ihrer Asylanträge im Übrigen subsidiären Schutz. Der Stammberechtigten war danach, aber nach Erreichen der Volljährigkeit der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden. Die Klage der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.
Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Beklagte verpflichtet, den Klägern in Anknüpfung an den Flüchtlingsstatus der Stammberechtigten nach § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 bzw. Satz 2 AsylG den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.
Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU schreibt eine Erstreckung des internationalen Schutzes auf die Familienangehörigen kraft Ableitung von einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, nicht vor. § 26 Abs. 3 i.V.m. 5 AsylG setzt nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers mit der Zuerkennung des von einem schutzberechtigten Familienangehörigen abgeleiteten internationalen Familienschutzes das Schutzziel der Wahrung des Familienverbandes (vgl. Art. 2 Buchst. j i.V.m. Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU) um. Diese Statuserstreckung ist als günstigere nationale Regelung, die Art. 3 RL 2011/95/EU den Mitgliedstaaten erlaubt, zulässig. Denn sie steht mit der allgemeinen Systematik und den Zielen der Richtlinie im Einklang. Die von § 26 Abs. 3 Satz 1 und 2 AsylG erfassten Angehörigen der Kernfamilie des Schutzberechtigten befinden sich regelmäßig in einer Situation, die, sofern die Ableitung mit dem Ziel der Wahrung des Familienverbands begehrt wird, einen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweist. Mit der Zuerkennung subsidiären Schutzes aus eigenem Recht wird die Wahrung des Familienverbands bereits ermöglicht, aber keine bessere Rechtsstellung als durch den vom Stammberechtigten abgeleiteten Flüchtlingsstatus geschaffen. Das Ziel der Richtlinie, die Einheit der Kernfamilie zu festigen, wird vielmehr durch die im nationalen Recht vorgesehene Angleichung des Schutzstatus ebenso in besonderer Weise bekräftigt wie durch die Erstreckung auch auf Geschwisterkinder.
Der für die Beurteilung der Minderjährigkeit des stammberechtigten Flüchtlings maßgebliche Zeitpunkt ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dahin geklärt, dass es ausreicht, wenn dieser sowohl bei Stellung seines eigenen Asylantrags als auch in dem Zeitpunkt, in dem die Eltern (bzw. Geschwister) ihren Antrag gestellt haben, noch minderjährig war.
Entscheidend ist hiernach der Zeitpunkt des Asylgesuchs, nicht der des förmlichen Asylantrags.
Diese Auslegung des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU ist mit Blick auf das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts auch für § 26 Abs. 5 i.V.m. 3 AsylG maßgeblich. Entsprechendes gilt für die Merkmale der Ledigkeit und des Innehabens der Personensorge.