Wehrdienstentziehung

  • Prüfung des Flüchtlingsschutzes bei subsidiär Schutzberechtigten, die sich dem syrischen Militärdienst entziehen

    Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat mit Urteil vom 19. Januar 2023 im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs der EU entschieden, dass bei der Strafverfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst unter anderem Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassen würde, eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund in Zusammenhang steht. Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden und Gerichte, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen. Dem genügt es nicht, wenn die Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes auf einer diffusen Tatsachengrundlage und unter Unterschreitung des Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit bejaht werden. 

  • Wehrdienstentziehung in Syrien begründet Anspruch auf Flüchtlingsschutz

    Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 19.11.2020 (C-238/19) entschieden, dass die Flucht vor dem Wehrdienst in Syrien mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Grund zur Verfolgung durch die dortigen Behörden darstellt. Im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien spreche eine starke Vermutung dafür, dass die Weigerung, Militärdienst zu leisten, mit einem Grund in Zusammenhang stehe, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen könne. In vielen Fällen sei diese Weigerung nämlich Ausdruck politischer oder religiöser Überzeugungen oder habe ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Mit seinen Aussagen zur Kausalitätsprüfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund schafft der Gerichthof der Europäischen Union für Fälle der Wehrdienstentziehung Raum für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

  • Keine Flüchtlingsanerkennung für syrische Schutzsuchende

    Der 2. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Urteil vom 27. Juni 2017 (Az. 2 LB 117/17) einer „Aufstockungsklage" eines Syrers, der über den ihm zuerkannten sog. subsidiären Schutzstatus hinaus seine Anerkennung als Flüchtling beanspruchte, den Erfolg versagt und eine gegenteilige Entscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg insoweit abgeändert. Er hat damit anders entschieden, als der Hessische Verwaltungsgerichtshof, der am 6. Juni 2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat.

    Der Senat hat sich zunächst auf den - in der obergerichtlichen Rechtsprechung weitgehend geteilten - Standpunkt gestellt, dass die illegale Ausreise aus Syrien, die Asylantragstellung und der längere Aufenthalt im westlichen Ausland für sich genommen keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür bilden, dass der Betroffene bei einer - wegen des subsidiären Schutzstatus rein hypothetischen - Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung erleiden würde. Auch der Umstand, dass der Kläger mit seiner Ausreise einer Einberufung zum Wehrdienst zuvorgekommen ist, macht ihn nach der Einschätzung des 2. Senats ohne das Hinzutreten weiterer Umstände in den Augen der syrischen Machthaber nicht verdächtig, über die Flucht vor der Bürgerkriegssituation hinaus politische Opposition betreiben zu wollen.

    Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hat der 2. Senat nicht zugelassen.

    In zwei weiteren Verfahren (Az. 2 LB 91/17 und 2 LB 398/15) hat das Bundesamt seine Berufung jeweils in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Grund hierfür dürften Hinweise des Oberverwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung gewesen sein, dass diese Berufungen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen, erfolglos sein würden. Damit sind diese Urteile des Verwaltungsgerichts Oldenburg rechtskräftig.