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Abschiebehaft - Praxis und Kritik

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Die Abschiebungshaft steht schon lange im Kreuzfeuer der Kritik von Flüchtlingsinitiativen, Menschenrechtsorganisationen und Kirchen sowie anderen Gruppen und Verbänden.  Teilweise wird die Einrichtung selbst in  Frage gestellt, teilweise werden allgemein die Anlässe und die Umstände der Inhaftierung kritisiert, teilweise richten sich Zweifel und Fragen gegen bestimmte Haftgründe. Von manchen Kritikern werden aber auch andere Formen der Freiheitsentziehung oder –beschränkung einbezogen, die allerdings streng rechtlich genommen keine Abschiebungshaft darstellen. Nachfolgend soll jedoch über diese rein rechtliche Betrachtungsweise hinaus auch auf das Festhalten am Flughafen und auf die Ausreisezentren eingegangen werden.  

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Überlegungen

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich einige Rechtsänderungen aufgrund des zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tretenden Zuwanderungsgesetzes auch auf die Haftpraxis auswirken werden. Einerseits wird ein gewisser Anteil der bisher nur geduldeten Ausreisepflichtigen gute Aussichten haben, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Für einige Ausländer wird sich auch aufgrund von Empfehlungen der neu einzurichtenden Härtefallkommissionen die Gelegenheit eröffnen, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Andererseits wird durch eine geregelte bundesweite Verteilung und eine stärkere Überwachung Ausreisepflichtiger darauf hingewirkt werden, dass entweder die Ausreisepflicht konsequenter durchgesetzt und in diesem Zusammenhang auch Abschiebungshaft vermehrt angeordnet wird. Welchen Erfolg die Einrichtung von Ausreisezentren haben wird, ist schwer vorherzusagen. Deshalb kann auch nicht angenommen werden, dass sich damit die Probleme der Abschiebungshaft erübrigen oder leichter werden lösen lassen.

Abschiebungshaft bedeutet wie jede andere Art der Haftunterbringung Freiheitsentzug und Freiheitsbeschränkung im Sinne des Art. 104 I, II GG. Sie ist daher nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur aufgrund einer richterlichen Entscheidung zulässig. Zu Beschränkungen der persönlichen Freiheit kommt es aber auch bei drei anderen Gelegenheiten:

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  • bei Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Festnahme und unmittelbare Abschiebung durch Polizei und Bundesgrenzschutz;
  • bei der Zurückweisung von Asylbewerbern am Flughafen;
  • bei der Unterbringung in Ausreisezentren.

Daher sollen zunächst einmal die Voraussetzungen und Folgen der Abschiebungshaft und der anderen Formen der Freiheitsbeschränkungen bei Ausländern dargestellt werden. Sie alle erscheinen in mehrfacher Hinsicht nicht bedenkenfrei. Die Entstehungsgeschichte der Abschiebungshaft reicht weit zurück.  Ihre zunehmende Verschärfung ist Folge der mit dem Anwerbestopp von 1973 und der „sozialverantwortlichen Steuerung“ des Familiennachzugs von 1981 einhergehenden einschneidenden Beschränkungen des Zuzugs nach Deutschland und der zahlreichen Restriktionen des Asylrechts und des Asylverfahrens sowie der „flankierenden Maßnahmen“ wie Ausdehnung des Visumzwangs und Kürzungen der Sozialhilfe seit 1978.


Voraussetzungen und Dauer der Abschiebungshaft

Voraussetzungen und Dauer der Abschiebungshaft sind gesetzlich geregelt (§ 57 AuslG; ab 1.1.2005: § 62 AufenthG, erweitert um den neuen Fall der Abschiebungsanordnung der obersten Landesbehörde oder des Bundesinnenministeriums). Ein Ausländer kann danach in (Abschiebungs-)Haft genommen werden, wenn er ausgewiesen (Vorbereitungshaft) oder abgeschoben (Sicherungshaft) werden soll. Die – selten angeordnete –   Vorbereitungshaft ist nur zulässig, wenn über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne Inhaftnahme wesentlich erschwert würde. Ihre Dauer soll sechs Wochen nicht überschreiten. Die Sicherungshaft – die am meisten  vorkommende  Form der Abschiebungshaft – ist zum einen für längstens zwei Wochen zulässig, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und die Abschiebung innerhalb dieses Zeitraums durchgeführt werden kann. Im Übrigen muss im Einzelfall einer der gesetzlich geregelten Tatbestände festgestellt werden, aus denen auf die Gefahr geschlossen werden kann, der Ausländer werde nicht von selbst („freiwillig“) ausreisen und sich im Gegenteil der Abschiebung entziehen. Sicherungshaft ist unzulässig, wenn die Abschiebung nicht binnen drei Monaten durchgeführt werden kann, ohne dass der Ausländer dies zu vertreten hat. Sie kann bis zu sechs Monaten angeordnet und um längstens 12 Monate verlängert werden, falls der Ausländer die Abschiebung verhindert.

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Haft ist allgemein nicht nur zur Sicherung und Durchsetzung der Ausweisung und der Abschiebung vorgesehen, sondern auch im Zuge der Zurückweisung (an der Grenze; § 60 AuslG = § 15 AufenthG) und der Zurückschiebung (bis zu sechs Wochen nach der Einreise; § 61 AuslG = § 57 AufenthG). Diese Haftformen werden indes nur selten angeordnet. Allerdings soll es an der Grenze Österreich/Bayern in beinahe allen Fällen der Zurückweisung auch zur Inhaftierung kommen. Von diesen Haftarten streng zu unterscheiden sind (1) die Festnahme zur anschließenden Sofortabschiebung und (2) das Festhalten eines Asylbewerbers am Flughafen. Sucht ein Ausländer vor der Grenzkontrolle am Flughafen oder an der Land- oder Seegrenze um Asyl nach, wird er grundsätzlich zum Zecke des Asylverfahrens an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge weitergeleitet (§ 18 I AsylVfG). Dies gilt im Regelfall auch bei dem Versuch der Einreise auf dem Luftweg. Kommt der Asylbewerber allerdings aus einem sicheren Herkunftsstaat oder besitzt er keinen gültigen Pass oder Passersatz, wird er zurückgewiesen, wobei vor dem Vollzug der Zurückweisung das Asylverfahren einschließlich gerichtlichen Rechtsschutzes am Flughafen durchgeführt wird (§ 18a AsylVfG). Während dieses sog. Flughafenverfahrens wird der Asylbewerber im Transitgelände festgehalten.


Probleme der Abschiebungshaft

Die im Zusammenhang mit der Abschiebungshaft und dem sonstigen Festhalten von Ausländern entstehenden Probleme haben unterschiedliche Ursachen und sind je nach Fallgestaltung unterschiedlicher Natur. Die hier zutage tretenden rechtsstaatlichen und praktischen Defizite können nicht einfach schlagwortartig mit einem oder mehreren Begriffen umschrieben werden. Sie bedürfen vielmehr der näheren Untersuchung. Haft zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausweisung, Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung von Flüchtlingen und anderen Ausländern ist nach Voraussetzungen und Dauer gesetzlich so umfassend im Einzelnen geregelt, dass deren Anordnung und Verlängerung von den dafür zuständigen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit (also Amtsgericht usw.) rechtsstaatlich einwandfrei gehandhabt werden können.  Dabei ist zu beachten, dass die Ausländerbehörde die Haft oder deren Verlängerung zu beantragen hat, also die eigentliche Herrin des Verfahrens ist und letztlich allein die Verantwortung trägt. Gleichwohl vorkommende Fehlentscheidungen (Überschreiten der Fristen, Nichtbeachtung der tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung auf längere als dreimonatige Sicht, unzureichende Förderung des Abschiebungsverfahrens durch die Ausländerbehörde u.a.) können und müssen im Rechtsweg - und im Übrigen auch durch das Bundesverfassungsgericht - korrigiert werden. Soweit die Rechtsprechung in der Vergangenheit die Voraussetzungen des § 57 AuslG im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einengend ausgelegt hat, muss es dabei auch für § 62 AufenthG bleiben. Ungeachtet dessen erscheint es notwendig, eine einheitliche Behandlung von Kindern und Jugendlichen sowie anderen schutzbedürftigen Personen zu gewährleisten.   Das Festhalten im Flughafenverfahren betrifft lediglich auf dem Luftweg anreisende Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten oder ohne gültige Passpapiere. Dieses Festhalten wird vom Bundesverfassungsgericht weder als Freiheitsentziehung noch als Freiheitsbeschränkung verstanden, weil dem Ausländer kein allgemeines Einreise- und Aufenthaltsrecht zustehe und er an der Wiederausreise nicht gehindert sei.  Infolgedessen unterliegt das Festhalten am Flughafen nach dieser Ansicht nicht den verfassungsrechtlichen Regeln über Entzug und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie den Vorschriften über Abschiebungs- und Zurückweisungshaft. Ob an dieser rechtlichen Bewertung auch nach Erlass der EU-Asylverfahrens-Richtlinie  festgehalten werden könnte, erscheint nicht sicher.  Nach Art. 17 II der Richtlinie stellen nämlich die Mitgliedstaaten, wenn ein Asylbewerber in Gewahrsam genommen wird, sicher, dass eine rasche gerichtliche Überprüfung des Gewahrsams möglich ist. Legt man die Entscheidung des EGMR in der Sache Amuur  zugrunde, kann gegen den freiheitsbeschränkenden Charakter des Festhaltens am Flughafen (in dem entschiedenen Fall: in einer Transitzone) nicht eingewandt werden, den Flüchtlingen stehe die Möglichkeit der Rückreise offen.
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Während des Asylverfahrens ist die Dauer des Festhaltens am Flughafen gesetzlich auf längstens 19 Tage beschränkt, für den anschließenden Verbleib im Transitbereich bis zum Vollzug der Zurückweisung gibt es keine derartige Begrenzung. Die vom Bundesverfassungsgericht vertretene Ansicht, das Festhalten am Flughafen sei nicht als Freiheitsbeschränkung zu werten, gilt nach einer weit verbreiteten Ansicht auch für das Festhalten über die reguläre Dauer des Flughafenverfahrens hinaus in den Fällen, in denen die Zurückweisung scheitert, weil etwa die Identität nicht geklärt ist, gültige Passpapiere fehlen oder der Heimat-, der Abflug- oder der Zwischenlandestaat die Rücknahme aus anderen Gründen verweigern. Insgesamt wird die Zulässigkeit des Festhaltens aus dem Zweck des Zurückweisungsverfahrens, die Einreise zu verweigern, gefolgert. An einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage hierfür fehlt es. Über die Verpflichtung, entsprechende Räume vorzuhalten, den Aufenthalt zu organisieren und die jeweiligen Kosten zu tragen, wird zwischen Bund, Land (vor allem Hessen) und Flughafenbetreiber seit Jahren gestritten. Für die Durchführung von Abschiebungs-, Zurückweisungs- und Zurückschiebungshaft gibt es ebenso wenig gesetzliche Regeln wie für das Festhalten am Flughafen. In der Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Ausländergesetzes (AuslG-VwV)  sind die Voraussetzungen für Anordnung und Verlängerung von Abschiebungshaft näher umschrieben. Dort ist etwa auch bestimmt, dass Personen unter 16 und über 65 Jahre sowie Schwangere und Mütter während der Mutterschutzzeiten nicht in Haft genommen werden sollen (Nr. 57.0.3). Andererseits ist darauf hingewiesen, dass für Ausgang, Beurlaubung, Freigang aus der Haft oder Unterbringung im offenen Vollzug angesichts des Gesetzeszwecks kein Raum ist (Nr. 57.0.4). Mangels eines dem Strafvollzugsgesetz ähnlichen Normengefüges sind im Übrigen Grundsätze wie Einzelheiten des Vollzugs nicht festgelegt. Insbesondere fehlen Vorschriften über Zuständigkeiten, über Einrichtung, Organisation, Verwaltung und Ausstattung der Einrichtungen, über Versorgung, Beschäftigung und „Freizeitaktivitäten“ der Inhaftierten sowie über Besuchs-, Brief-, Telefon- und sonstigen Verkehr mit der Außenwelt. Daher sind Ausländer im Flughafentransitraum, aber auch in der Abschiebungshaftanstalt in allen diesen Bereichen wesentlich schlechter gestellt als Untersuchungs- oder Strafgefangene, obwohl ihnen nichts anderes vorzuwerfen ist, als dass sie ihrer Ausreisepflicht nicht von selbst nachkommen wollen. Der Aufenthalt in den künftig gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Ausreiseeinrichtungen (§ 61 AufenthG) ist nicht freiwillig. Vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer können durch Auflagen dazu angehalten werden, sich in eine derartige Einrichtung zu begeben und dort Wohnung zu nehmen. Insofern unterscheiden sie sich von den vor einigen Jahren modellhaft betriebenen Unterkünften, in die ausreisepflichtige Ausländer freiwillig, wenn auch auf Anraten der Ausländerbehörden eingezogen sind, die sich aber dennoch nicht bewährt haben. Gleichwohl handelt es sich um keine haftähnliche Unterbringung, weil die persönliche Bewegungsfreiheit nicht nach jeder Richtung hin aufgehoben ist. Daher bedarf es für die Einweisung auch keiner richterlichen Anordnung.


Forderungen

Aus den festgestellten Defiziten lassen sich die folgenden Forderungen an den Bundesgesetzgeber und an die für den Vollzug verantwortlichen Bundes- und Landesverwaltungen ableiten:

Gesetzliche Vorgaben

Um die Einhaltung des verfassungsrechtlich auch Ausländern verbürgten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besser zu gewährleisten, sollte die Haftdauer ausnahmslos auf sechs Monate begrenzt werden. Eine Haftdauer von bis zu 18 Monaten erscheint unangemessen, weil die Abschiebung in aller Regel in sechs Monaten vorbereitet und durchgeführt werden kann. Falls die Abschiebung wegen fehlender Mitwirkung des Ausländers oder des Heimatstaats oder aus anderen Gründen scheitert, ist die weitere Inhaftierung im Hinblick auf den allein zulässigen Zweck der Sicherung der Abschiebung ungeeignet und kommt einer Bestrafung oder einer unzulässigen Erzwingungshaft gleich. Das Festhalten eines Asylsuchenden am Flughafen über einen längeren Zeitraum hinweg sollte auch dann, wenn es verfassungsrechtlich keine Freiheitsentziehung oder -beschränkung darstellen sollte, zumindest bei der Umsetzung der EU-Asylverfahrens-Richtlinie gesetzlich geregelt werden. Damit könnten die Verantwortlichkeiten, insbesondere für Organisation und Finanzierung, die Kompetenzen der politischen Instanzen und der Bediensteten, die Bedingungen einer menschenwürdigen Unterbringung und Versorgung sowie die Rechtsstellung der Betroffenen eindeutig festgelegt und eine größere Rechtssicherheit für Ausländer, Bedienstete und Gerichte geschaffen werden.
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Um den Vollzug der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft auf eine rechtsstaatliche Grundlage zu stellen, bedarf es unbedingt einer baldigen gesetzlichen Regelung. Der Bundesgesetzgeber sollte ähnlich wie im Strafvollzugsgesetz bundeseinheitliche Mindestnormen für Größe und Ausstattung der Hafträume, für Bewegungsfreiheit und Kommunikationsmöglichkeiten der Inhaftierten und für deren Betreuung und Beratung aufstellen.

Verwaltungsmäßige Durchführung

Um die festgestellten Mängel bei Beantragung und Durchführung der Abschiebungshaft zu beheben, sollten sofort und ohne Abwarten einer gesetzlichen Regelung die folgenden Maßnahmen mittels Ergänzung der Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Ausländergesetzes (demnächst des Aufenthaltsgesetzes) oder ministerieller Weisungen an Ausländerbehörden und Haftanstalten ergriffen werden:

  • Antrag auf Anordnung oder Verlängerung von Haft erst nach ausreichender Vorbereitung der Abschiebung und bei Gewähr für eine alsbald tatsächlich durchführbare Abschiebung (Beschleunigungsgrundsatz).
  • In aller Regel kein Antrag auf Verlängerung der Haft über sechs Monate hinaus.
  • Trennung von Abschiebungs- und Strafhaft, vor allem für Minderjährige.
  • Bewegungsfreiheit für inhaftierte ausreisepflichtige Ausländer mindestens unter entsprechender Anwendung des Strafvollzugsgesetzes (insbesondere Freigang, Besuche, Brief- und Telefonverkehr, Arbeitsmöglichkeiten, medizinische und sonstige Betreuung und Beratung).