Gesetz:
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)
Paragraph:
§ 416 Örtliche Zuständigkeit
Autor:
Holger Winkelmann
Stand:
Winkelmann in: OK-MNet-FamFG (20.11.2014)

1. Einführung

2. Zur Aufspaltung des Rechtsweges und Zuweisung an die ordentliche
    Gerichtsbarkeit

3. Bestimmung des zuständigen Amtsgerichts

4. Zuständigkeit bei Abgabeentscheidung

5. Zur Frage der Beschwerdemöglichkeit bei bloßer Zuständigkeitsrüge

> End

 

1. Einführung

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Für die Anordnung der Haft ist das AG als Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständig (§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 6 GVG). Nach § 416 FamFG ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sonst das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entsteht. Befindet sich die Person bereits in Verwahrung einer abgeschlossenen Einrichtung, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Einrichtung liegt.
Das jeweils örtlich zuständige Amtsgericht bestimmt sich nach § 416 S. 1 FamFG. Danach ist das AG zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Fehlt es daran, ist das AG zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entsteht (z.B. Ort der Festnahme). In Eilfällen ist auch das AG einstweilen zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Anordnung entsteht (§ 50 Abs. 2 FamFG; siehe auch Nr. 62.0.3 AVwV-AufenthG).

 

2. Zur Aufspaltung des Rechtsweges und Zuweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit

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Die Entscheidung über ein auf die Entlassung aus der Abschiebungshaft gerichtetes Begehren war schon nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) ausschließlich der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen (OVG NRW, B. v. 28.06.2006 – 18 B 1088/06 –, bei Winkelmann, a.a.O.).

„Zwar vermittelt der für die Abschiebungshaft einschlägige § 62 Abs. 2 AufenthG dem Haftrichter grundsätzlich nur eine eingeschränkte Prüfungsmöglichkeit. Ihm steht keine Entscheidungskompetenz zu, soweit sie den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten von Gesetzes wegen zugewiesen worden ist. Eine Rechtsschutzlücke entsteht dadurch jedoch nicht. Insoweit wird der gebotene Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit gewährleistet. Außerdem ist der Haftrichter in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen (vgl. § 10 Abs. 1 FEVG) zur Prüfung verpflichtet ist, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung oder Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft (noch) vorliegen, insbesondere ob die Erforderlichkeit der Haft als Mittel der Sicherung der Abschiebung als „vorangestelltes Tatbestandsmerkmal“, vgl. BVerfG, B. v. 13.07.1994 – 2 BvL 12, 93, 45/93 –, DVBl. 1994, 1404, noch gegeben ist. Die Effektivität des Rechtsschutzes wird ferner dadurch gesichert, dass der Haftrichter den Ausländer gegebenenfalls über die Möglichkeit zur Erlangung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes aufzuklären hat (vgl. §§ 5 Abs. 1, 12 FEVG) und durch eine entsprechende zeitliche Gestaltung des Verfahrens, bis hin zur vorübergehenden Aussetzung der Entscheidung über den Haftantrag, den (Grund-)Rechten des Betroffenen Geltung verschaffen kann.“, so das OVG NRW.

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Nach Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes sind die Amtsgerichte weiterhin für Haftsachen nach dem Aufenthaltsgesetz sachlich zuständig. An der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit hat sich durch das am 01.09.2009 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (FGG-Reformgesetz; BGBl. I S. 2586) im Ergebnis nichts geändert (VG Münster, B. v. 05.01.2010 – 8 L 650/09 – bei Winkelmann).

icon VG Münster – 8 L 650/09 – B. v. 05.01.2010

3. Bestimmung des zuständigen Amtsgerichts

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Unabhängig von der Frage, ob § 416 S. 2 FamFG eine vorrangige Regelung zu § 416 S. 1 FamFG darstellt (so OLG Celle, B. v. 14.07.2011 – 22 W 1/11 –, bei Winkelmann

icon OLG Celle – 22 W 1/11 – B. v. 14.07.2011,

greift damit jedenfalls auch die Zuständigkeit des Gerichts am Gewahrsamsort, so dass das Amtsgericht als erstbefasstes Gericht (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 FamFG) zuständig ist, wenn sich der Betroffene vor der ersten Befassung eines Amtsgerichts aufgrund einer behördlichen Festnahmeentscheidung dort befindet (vgl. Jennissen in Prütting/Helms, a.a.O., § 416 FamFG, Rn. 3; Bumiller/Harders, FamFG, 10. Aufl. 2011, § 416 Rn. 8f.). Dass der Antragsteller bereits wieder aus dem Gewahrsam entlassen worden ist, wirkt sich wegen der nur entsprechenden Geltung von § 416 S. 2 FamFG auf die Zuständigkeit nicht aus. Nach Ansicht des Gesetzgebers (s. Begründung zum Gesetzentwurf, Drucks. 16/6308, S. 291)

icon Gesetzentwurf FamFG – Drucks. 16/6308 – v. 07.09.2007

muss davon ausgegangen werden, das eine Vorrangstellung aus Zweckmäßigkeitserwägungen zu Gunsten des Satzes 2 (Gewahrsamsortes) jedenfalls beabsichtigt war, auch wenn der Gesetzestext dies nicht ausdrücklich so formuliert (s.a. kritisch dazu Grotkopp in Bahrenfuss (Hrsg.), FamFG, § 416 Rn. 4). Wobei der Auffassung Grotkopps zu widersprechen wäre, dass es sich bei der Verwahrung in einer abgeschlossenen Einrichtung zwingend um eine durch Gericht bereits angeordnete Freiheitsentziehung handeln muss. Auch der Behördengewahrsam fällt hierunter (so auch Jennissen, s.o.).

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Nach § 71 Abs. 1 AufenthG sind Ausländerbehörden nach dem jeweiligen Landesrecht für haftrechtliche Anträge zuständig (s. näher dazu unter § 417). In einigen Bundesländern wird die Zuständigkeit der Ausländerbehörde danach bestimmt, wo der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Das kann im Einzelfall schwierig sein, insbesondere dann, wenn der Betroffene zwar an einem anderen Ort angetroffen wird, aber der Nachweis nicht erbracht werden kann, dass er sich hier unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der gewöhnliche Aufenthalt erfordert zum einen, dass dieser auf eine gewisse Dauer angelegt ist, zum anderen das Vorhandensein weiterer sozialer Bindungen zu diesem Ort. Allein aus einem dreimonatigen Aufenthalt an einem Ort lässt sich ein gewöhnlicher Aufenthalt im Allgemeinen nicht ableiten. Das KG, B. v. 25.08.2006 – 25 W70/05 –, bei Winkelmann,

icon Zu den Anforderungen an die örtliche Zuständigkeit haftantragstellender Behörden

hält für die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts die Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB l für maßgebend. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand danach dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Für die demgemäß anzustellende Prognose kommt es auf die Umstände im Zeitpunkt der Begründung des Aufenthalts an, nicht auf dessen tatsächliche Dauer (OVG Berlin, InfAusIR 2001, 165, 166 m.w.N.). Zu den maßgeblichen Umständen gehören auch ausländer- und asylbehördliche Entscheidungen, insbesondere Aufenthaltsbeschränkungen und die Entscheidungspraxis der Ausländerbehörde.
Von der räumlichen Beschränkung nach § 56 Abs. 1 AsylVfG, wie sie nicht auf behördlicher Anordnung, sondern gesetzlicher Regelung beruht, ist daher der gewöhnliche Aufenthalt umfasst (OVG Rheinland- Pfalz, B. v. 29.03.2006 – 7 B 10291/06 –, zit. nach juris). Hält sich ein Asylbewerber in dem ihm gemäß § 50 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG zugewiesenen Bezirk auf, so bleibt die dortige Ausländerbehörde auch dann zuständig, wenn er sich unerlaubt aus dem Bezirk entfernt, um sich einer angedrohten Abschiebung zu entziehen. Grund hierfür ist, dass er wegen der Aufenthaltsbeschränkung an einem anderen Ort nicht bleiben kann (Senat, Beschluss vom 18. März 2010 - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156 Rn. 13 f. mwN). Ist dem Ausländer dagegen die Zuweisungsentscheidung nicht zugestellt worden und hat er auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem zugewiesenen Bezirk begründet, ist die Zuständigkeit der örtlichen Ausländerbehörde nicht begründet worden (BGH, B. v. 13.10.2011 - V ZB 13/11 -, Winkelmann, a.a.O.

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Es gehöre zu den Basics des Haftrechts, dass das Gericht der Erstanordnung auch für Verlängerungsentscheidungen örtlich zuständig bleibe, wenn keine Abgabe der Sache erfolgt ist. Das Amtsgericht dürfe also nur über die Fortdauer einer von einem anderen Gericht angeordneten Haft entscheiden, wenn eine Abgabeentscheidung des Erstgerichts vorliegt, so Melchior im Rundbrief 9/2006 vom 22.05.2006.

Nach dem heutigen Beziehungsgeflecht der haftrechtlich relevanten Normen ist die Frage des zuständigen Gerichts - auch eingedenk der vorgenannten Aussage - nicht einfach zu beantworten.
Zu den anerkannten Grundsätzen gehört allerdings, mehr denn je, der juristische Grundsatz „perpetuatio fori“ (Lat.: „Fortdauer des Forums“), der aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit vorsieht, das ein einmal örtlich oder sachlich zuständiges Gericht zuständig bleibt, solange nicht insbesondere gesetzliche Zuständigkeitsregeln etwas anderes bestimmen.

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Bei der Bestimmung des gesetzlichen Richters sind die gesetzlichen Bestimmungen wie auch die Geschäftsverteilungspläne innerhalb der Gerichtsorganisation vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund der Garantie des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen.

Dazu führt RA Fahlbusch im Hinblick auf Haftverlängerungsverfahren (§ 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bezieht sich nur auf die Haftverlängerungsanordnung, vgl. Budde, in: Keidel, FamFG, 17. Aufl., Rn. 3, 4, m.w.N.; s. Rn. 15) aus:

„Zutreffend hat das BVerfG im Plenumsbeschluss vom 08.04.1997 – 1 PBvU 1/95 –, bei Winkelmann

icon Zur Zuständigkeit der Gerichte bei Abgabeentscheidungen nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG

entschieden, dass mit der Garantie des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorgebeugt werden solle dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es solle vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst werden könne, gleichgültig, von welcher Seite eine solche Manipulation ausgehe (vgl. BVerfGE 17, 294, 299; 48, 246, 254; 82, 286, 296). Damit solle die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 4, 412, 416, 418). Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folge, dass im Einzelnen bestimmt werden müsse, wer im Sinne dieser Vorschrift „gesetzlicher“ Richter sei. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG enthalte nicht nur das Verbot, von Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, abzuweichen. Die Forderung nach dem „gesetzlichen“ Richter setze vielmehr einen Bestand von Rechtssätzen voraus, die für jeden Streitfall den Richter bezeichnen, der für die Entscheidung zuständig sei (BVerfGE 2, 307, 319 f.; 19, 52, 60). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichte demnach auch dazu, Regelungen zu treffen, aus denen sich der gesetzliche Richter ergebe.
Die Regelungen über den gesetzlichen Richter müssen deshalb, wenn sie ihre rechtsstaatliche Funktion wirksam erfüllen sollen, hinreichend bestimmt sein.
Welche Richter in einem bestimmten Verfahren mitwirken, muss sich daraus möglichst eindeutig ergeben (vgl. BVerfGE 9, 223, 226; 17, 294, 298; 23, 321, 325).
Im Plenumsbeschluss vom 08.04.1997 führt das Gericht weiter aus, dass Geschäftsverteilungs- und Mitwirkungspläne eines Gerichts mit Rücksicht auf das Gebot des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG keinen vermeidbaren Spielraum bei der Heranziehung der einzelnen Richter zur Entscheidung einer Sache und damit keine unnötige Unbestimmtheit hinsichtlich des gesetzlichen Richters lassen dürfen (vgl. BVerfGE 17, 294, 300). Das Gebot des gesetzlichen Richters werde nicht erst durch eine willkürliche Heranziehung im Einzelfall verletzt. Unzulässig sei vielmehr auch schon das Fehlen einer abstrakt-generellen und hinreichend klaren Regelung, aus der sich der im Einzelfall zur Entscheidung berufene Richter möglichst eindeutig ablesen lasse. Der Verfassungsverstoß liege in einer derartigen Konstellation nicht erst in der normativ nicht genügend vorherbestimmten Einzelfallentscheidung, sondern schon in der unzulänglichen Regelung von Geschäftsverteilung und Richtermitwirkung, die eine derartige Einzelfallentscheidung unnötigerweise erforderlich gemacht hat (vgl. BVerfGE 18, 65, 69).

Die vorstehenden Ausführungen des Gerichts im Plenumsbeschluss aus dem Jahre 1997 haben selbstverständlich auch für Abschiebungshaftverfahren zu gelten, wo es ggf. an einer hinreichend gesetzlich normierten Zuständigkeit des gesetzlichen Richters jedenfalls bei Haftverlängerungsentscheidungen fehlt.“
(Vgl. hierzu auch LG Lüneburg, B. v. 19.06.2012 – 10 T 12/11 –: „Der enthaltene unbestimmte Rechtsbegriff der Benötigung von Verstärkung ist mithilfe üblicher Auslegungskriterien hinreichend bestimmbar. Er richtet sich entgegen der Auffassung der Betroffenen nicht nach der allein subjektiven Einschätzung des vorrangig zuständigen Bereitschaftsrichters. Der Begriff der "Benötigung" entspricht vielmehr dem der Erforderlichkeit und bezieht sich damit auf objektive, nachprüfbare Umstände. In der Sache bezieht sich das Kriterium der Erforderlichkeit von Verstärkung auf die Verhinderung des vorrangig zuständigen Richters aufgrund von Überlastung oder aufgrund sonstiger Umstände. Es ist damit erfüllt, wenn absehbar ist, dass ein bestimmtes Verfahren aufgrund der Überlastung oder sonstigen Verhinderung nicht mehr in angemessener Zeit erledigt werden kann. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und der von ihr zitierten Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 04.04.2011 (Az 84 T 136/10 Asog) konnte dieser Verhinderungsfall nicht mit Hilfe bestimmterer Begriffe konkreter umschrieben werden. Auch wenn aus Anlass des Castortransports ein hoher Geschäftsanfall zu erwarten war, ist weder eine abstrakte Bestimmung der angemessenen Zeit, innerhalb derer es möglich sein muss, ein Verfahren zu erledigen, noch der Kriterien, wann dies voraussichtlich nicht mehr der Fall sein würde, möglich. Einzelne Verfahren - wie insb. Entscheidungen über Freiheitsentziehungen im Hinblick auf Art. 104 II 2 GG - sind dringlicher und erfordern eher eine Verstärkung. Einzelne Verfahren wiederum sind umfangreicher, binden den mit ihnen befassten Richter länger und begründen daher - bei entsprechender Dringlichkeit neu eingehender Verfahren - eher eine Überlastung. Diese Umstände waren im Einzelfall bei der Entscheidung zu berücksichtigen, ob eine Überlastung und damit ein Vertretungsfall vorlagen. Nicht erforderlich war entgegen der Auffassung der Betroffenen eine ausdrückliche Regelung, wie im Falle des Eintritts einer Überlastung mit den bereits dem Richter vorgelegten Verfahren, aus denen er seine Überlastung herleitet, zu verfahren ist. Dies ist vielmehr anhand allgemeiner Auslegungskriterien hinreichend bestimmbar.“)

 

4. Zuständigkeit bei Abgabeentscheidung

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Der Gesetzgeber muss die fundamentalen Zuständigkeitsregeln selbst aufstellen (vgl. BVerfGE 19, 52), also durch die Prozessgesetze bestimmen, welche Gerichte mit welchen Spruchkörpern für welche Verfahren sachlich, örtlich und instanziell zuständig sind. Ob das dem Gesetzgeber mit den einschlägigen Normen nach § 106 AufenthG und §§ 2, 416 FamFG gelungen ist, darf bezweifelt werden.

Die hierfür nach heutigem Recht einschlägigen Rechtsnormen aus dem AufenthG und dem FamFG sehen folgende Regelungen vor:

Abgabeentscheidungen
§ 106 AufenthG Einschränkung von Grundrechten
(1) …
(2) Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ist über die Fortdauer der Zurückweisungshaft oder der Abschiebungshaft zu entscheiden, so kann das Amtsgericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Zurückweisungshaft oder Abschiebungshaft jeweils vollzogen wird.

„Nach § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG kann eine Zuständigkeit des Gerichts am Haftort für Haftverlängerungsentscheidungen nur dann begründet werden, wenn ein Abgabebeschluss des zuvor zuständigen Gerichts ergeht und der hiervon Betroffene vor Erlass des Abgabebeschlusses hierzu gehört wird (vgl. hierzu BVerfG, B. v. 5.03.2009 – 2 BvR 1615/06 –, bei Winkelmann, a.a.O.; InfAuslR 2009, S. 249 ff. mit Anmerkung Fahlbuschs), so dass ohne Abgabebeschluss das erstmals Haft anordnende Gericht auch für Haftverlängerungsentscheidungen zuständig bleibt.
Nach hiesiger Ansicht verstößt § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gegen Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt von dem Gesetzgeber, Normen, die gerichtliche Zuständigkeiten bestimmen, so zu fassen, dass aus ihnen der im Einzelfall zuständige Richter möglichst eindeutig erkennbar wird (BVerfGE 6, 45; 30, 149; 95, 322), so Fahlbusch.

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Hinzuweisen wäre in diesem Zusammenhang darauf, dass in § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG nur von „Abschiebungshaft“ und „Zurückweisungshaft“ die Rede ist, nicht aber von „Zurückschiebungshaft“ Durch die Neufassung durch das Richtlinienumsetzungsgesetz war der Text um die Abgabemöglichkeit auf die „Zurückweisungshaft“ erweitert worden. Dem Vorschlag gegenüber dem Innausschuss, auch die „Zurückschiebungshaft“ in § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG zu nennen, wurde nicht gefolgt. Ganz allgemein wird durch den Verweis in § 57 Abs. 3 AufenthG die Norm des § 62 AufenthG entsprechend angewandt, daher wird eine zusätzliche Aufführung dieser (nicht eigenständigen) Haftart für entbehrlich gehalten.

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Fraglich ist, inwieweit die übrigen Regelungen geeignet sind, die Abgaberegelung in § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG zu verdrängen.
Zunächst spricht nach dem gegenwärtigen Stand der Betrachtung vieles dafür, dass die Beibehaltung des § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG kein Redaktionsversehen des Gesetzgebers darstellt (so Hoppe, ZAR 2009, 209, 211), denn dies lässt sich jedenfalls mit der Gesetzbegründung zum FamFG nicht vereinbaren.

„Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesbegründung einen Änderungsbedarf nur im Hinblick auf § 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG gesehen. Nur insoweit hat der Gesetzgeber eine Folgeänderung wegen der Übernahme des Inhalts des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen im Buch 7 des FamFG gesehen (vgl. BT-Drucks 16/6308, S. 317 rechte Spalte).“, so Fahlbusch.

§ 2 FamFG Örtliche Zuständigkeit
(1) Unter mehreren örtlich zuständigen Gerichten ist das Gericht zuständig, das zuerst mit der Angelegenheit befasst ist.
(2) Die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts bleibt bei Veränderung der sie begründenden Umstände erhalten.
(3) Gerichtliche Handlungen sind nicht deswegen unwirksam, weil sie von einem örtlich unzuständigen Gericht vorgenommen worden sind.

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Die grundlegende Zuständigkeitsnorm des § 2 Abs. 2 FamFG hingegen ist in der systematischen Stellung hingegen wenig glücklich (vgl. auch Prütting, in: Prüting/Helms, FamFG, Rn. 1 zu § 2). So gehen die spezielleren Regelungen über die örtliche Zuständigkeit aus den jeweiligen Büchern oder Abschnitten des FamFG - so nämlich § 416 Satz 2 FamFG - dieser allgemeinen Regel vor. Hervorzuheben ist aber, dass der Grundsatz perpetuatio fori (s.o. Rn. 4; § 2 Abs. 2) nunmehr ausdrücklich auch im FamFG verankert wurde (aus der Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung (Drucksache 16/6308 vom 07. 09. 2007): Dies ist bereits nach geltender Rechtslage allgemein anerkannt (vgl. Bassenge/Herbst/Roth-Bassenge, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 9. Aufl. 2002, Rn. 3 zu § 4 m. w. N.) und wird nun ausdrücklich gesetzlich geregelt). Der Gedanke der perpetuatio fori ist heute auch anerkannt, wenn durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung eine Änderung der Zuständigkeit ausgelöst wird. Dagegen gilt der Grundsatz nicht im Falle ursprünglicher Unzuständigkeit (Prütting, a.a.O. Rn. 32). Dieser Rechtsgedanke lässt sich auch nicht vor der (an sich spezielleren) Norm des § 416 S. 2 FamFG anders interpretieren. Bei Freiheitsentziehungen bildet die Entscheidung über die Verlängerung der Freiheitsentziehung eine einheitliche Angelegenheit mit der erstmaligen Anordnung der Freiheitsentziehung (Bahrenfuss, in: Bahrenfuss (Hrsg.), FamFG, Rn. 3 zu § 2). Diese einmal begründete Zuständigkeit bleibt bestehen, auch wenn der Betroffene aufgrund der richterlichen Anordnung der Freiheitsentziehung in einer Anstalt im Bezirk eines anderen Gerichts untergebracht wird (OLG Zweibrücken, B. v. 08.05.2000 – 2 AR 28/00 –, bei Winkelmann, a.a.O. mit Verweis auf Saage/Göppinger, FEVG 3. Aufl. § 4 Rn. 1).

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§ 4 FamFG Abgabe an ein anderes Gericht
Das Gericht kann die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Gericht abgeben, wenn sich dieses zur Übernahme der Sache bereit erklärt hat. Vor der Abgabe sollen die Beteiligten angehört werden.

Diese Norm regelt im Grunde, dass in allen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch eine (formlose) Abgabe jederzeit - wohlgemerkt aus einem wichtigen Grund - ermöglicht wird, solange beide Gerichte (also abgebendes und aufnehmendes) sich einig sind. Das aufnehmende Gericht muss die Bereitschaft erklären. Mit der erfolgten Abgabe gehen sämtliche Angelegenheiten auf das übernehmende Gericht über.
Die Angelegenheit ist sodann bei diesem Gericht anhängig (vgl. auch Prütting, a.a.O. Rn. 31 zu § 4).

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§ 416 Satz 2 FamFG Örtliche Zuständigkeit
Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sonst das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entsteht. Befindet sich die Person bereits in Verwahrung einer abgeschlossenen Einrichtung, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Einrichtung liegt.

Die Vorschrift knüpft inhaltlich an den bisherigen § 4 Abs. 1 FEVG an. Der Gerichtsstand des Satzes 2 ist aus Gründen der Zweckmäßigkeit in der Regel vorrangig gegenüber denen des Satzes 1 (OLG Hamm, FGPrax 2006, 183, 184; Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 2. Aufl. 1975, Rn. 8 zu § 8, Begründung des Gesetzesentwurfes zu § 416, S. 291, a.a.O.; s.o. Rn. 2; Budde, in: in Keidel, FamFG, 17. Aufl., § 416 FamFG, Rn. 11 m. w. N.).
Nach Auslegung von Sinn und Zweck dieser Bestimmung - die in ihrem Wortlaut bereits in § 4 Abs. 1 FEVG enthalten war - und im Einklang mit der Grundnorm in § 2 Abs. 2 (s.o.) muss davon ausgegangen werden, dass die einmal begründete Zuständigkeit auch dann unangetastet bleibt, wenn der Betroffene aufgrund erfolgter richterlicher Anordnung in eine geschlossene Einrichtung im Bezirk eines anderen Gerichts verlegt wird (s.o. zu § 2, Rn. 9). Insoweit lässt sich nicht erkennen, dass der Gesetzgeber hiermit etwas Neues bestimmt hat. Vielmehr wird durch den Satz „Befindet sich die Person bereits in Verwahrung einer abgeschlossenen Einrichtung, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Einrichtung liegt“ nach diesseitigem Verständnis lediglich ausgedrückt, dass es im Rahmen der o.g. Zweckmäßigkeitserwägung z.B. wegen der Prüfung der Anordnung einer anderen Haftart, Anschluss- oder Überhaft zu keiner Verlegung in einen anderen Gerichtsbezirk kommen muss.

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Eine Haftfortdauerentscheidung ist am schnellsten und unter Berücksichtigung der regelmäßig durchzuführenden persönlichen Anhörung des Betroffenen am ehesten sachgerecht an dem Ort zu treffen, an dem sich der Betroffene zum Zeitpunkt der gerichtlichen Befassung unter den Bedingungen fortbestehender Freiheitsentziehung aufhält (OLG Hamm, B. v. 01.06.2010 – 15 Sbd 2/10 –, bei Winkelmann, a.a.O.). Für die Abschiebungshaft gilt indes Art. 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG. Es handelt sich um eine Sondervorschrift zu der allgemeinen Vorschrift des § 4 FamFG über die Möglichkeit der Abgabe - anders als sonst im FamFG (s.o. Rn. 10) - durch unanfechtbaren Beschluss (LG Mannheim, B. v. 17.02.2011 - 4 T 19/11 -, juris) des Verfahrens aus wichtigem Grund, die nunmehr auch für Freiheitsentziehungssachen nach den §§ 415 ff. FamFG gilt, so das OLG Hamm, a.a.O.).
Das OLG München, B. v. 19.09.2006 – 34 Wx 080/06 –, bei Winkelmann, a.a.O., entschied dazu:

"Örtlich zuständig, auch zur Entscheidung über die Haftverlängerung und damit gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, ist das die Abschiebungshaft erstmalig anordnende Gericht, dessen Zuständigkeit sich nach § 4 Abs. 1 FreihEntzG bestimmt. Nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann dieses Gericht für die Entscheidung über die Fortdauer der Abschiebungshaft das Verfahren durch Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Abschiebungshaft vollzogen wird. Kommt es zu einer solchen Abgabe nicht, verbleibt es für die Entscheidung über die Haftfortdauer bei der bisherigen Zuständigkeit. Dies ergibt sich aus § 12 FreihEntzG, wonach die in § 4 FreihEntzG genannten, eine örtlich Zuständigkeit des Gerichts begründenden Tatsachen im Verfahren über die Fortdauer der Haft nicht maßgeblich sind."

Ein Zuständigkeitswechsel in Abschiebungshaftsachen richtet sich also - wie bisher auch schon - insoweit weiterhin nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, das diesbezüglich das speziellere Gesetz ist. Diese Norm stellt eine Ausnahme der perpetuatio fori dar.

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So argumentiert auch Fahlbusch weiter:

„Im Übrigen kann nach diesseitigem Verständnis auch nach Inkrafttreten des FamFG ein Zuständigkeitswechsel nur im Wege der Abgabe erfolgen (so auch Jennissen, in: Prütting/Helms, a.a.O, Rn. 4 zu § 416). Es bleibt daher bei dem Grundsatz, dass das speziellere Gesetz (nämlich das Aufenthaltsgesetz) dem allgemeinen Gesetz (nämlich dem FamFG) vorgeht, sodass es weiterhin eines Abgabeverfahrens zur Begründung eines Zuständigkeitswechsels bedarf. Ein derartiges Abgabeverfahren ist insbesondere auch im Interesse der Rechtsstaatlichkeit und im Interesse des jeweils Betroffenen geboten. Wäre nämlich in Abschiebungshaftsachen ohne weitere Abgabe stets das Gericht des Gewahrsamsortes örtlich zuständig, könnte durch die Auswahl des Gewahrsamsortes der spätere Gerichtsstand für die Verlängerung der Abschiebungshaft festgelegt werden (vgl. hierzu die weiteren Ausführungen des BVerfG im erwähnten Plenumsbeschluss aus dem Jahre 1997, s.o. Rn. 5), ohne dass das bereits mit der Sache befasste Gericht noch darauf Einfluss nehmen könnte. Dies ist verfassungsrechtlich bedenklich (vgl. InfAuslR 2009, S. 251).
Es fehlt also an einer abstrakt-generellen und hinreichend klaren Regelung, aus der sich der im Einzelfall zur Entscheidung über einen Haftverlängerungsantrag bei zwischenzeitlich erfolgtem Wechsel des Unterbringungsorts berufene Richter eindeutig ablesen lässt (vgl. im Übrigen auch die Kommentierung von Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., Vorb. Zu § 62, Rz. 13 a, wo es zutreffend heißt, das Verhältnis von § 416 Satz 2 FamFG zu § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei unklar). Bereits insofern liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor.“

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Insgesamt lässt sich feststellen, dass weder nach dem Wortlaut der vorgenannten Regelungen oder dem Sinn und Zweck, noch nach der Gesetzesgenese eine Änderung der Regelungen zur Abgabeentscheidung bewirkt wurde oder werden sollte.
Die Bestimmungen sind indes kompliziert und erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung in § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG ist daher nicht im Verhältnis zu den Normen aus dem FamFG zu verneinen, sondern aus den dargelegten grundsätzlichen Erwägungen in Bezug auf Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Dieses Defizit bestand aber auch schon vor Inkrafttreten des FamFG.

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Soweit das OLG Oldenburg, B. v. 19.03.2007 – 13 W 14/07 –, InfAuslR 2007, 246) die Auffassung vertreten hat, nach der Regelung des § 106 Abs. 2 AufenthG dürfe das Verfahren nur insoweit an das Amtsgericht des Haftortes abgegeben werden, wie über die Fortdauer von Abschiebehaft zu entscheiden ist, hält er nicht mehr an dieser Auffassung fest (OLG Oldenburg, B. v. 19.08.2009 – 13 W 31/09 –; vgl. auch OLG Hamm, B. v. 01.06.2010 – 15 Sbd 2/10 –; KG Berlin, B. v. 30.06.2006 – 1 AR 6/06 –, bei Winkelmann.

icon OLG Oldenburg – 13 W 31/09 – B. v. 19.08.2009

Mit der Abgabe des Verfahrens wechselte auch die Zuständigkeit für die Entscheidung über die sofortige weitere Beschwerde. Das Verfahren war nach Abgabe gem. § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG so anzusehen, als läge ein von Anfang an anhängiges Verfahren vor (a.A. Budde, a.a.O., Rn. 3, 4, m.w.N.;) § 106 Abs. 2 AufenthG könne nicht entnommen werden, dass das Verfahren an das Amtsgericht des Haftortes nur insoweit abgegeben werden dürfe, als über die Fortdauer von Haft zu entscheiden sei, so das OLG weiter. Anzumerken ist, dass seit Inkrafttreten des FamFG sich entsprechende Problematik allenfalls noch bei Abgabe des Verfahrens nach Einlegung der Beschwerde an das Landgericht ergeben kann, da als Rechtsbeschwerdegericht nunmehr immer der Bundesgerichtshof fungiert.

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Entscheidet ein örtlich unzuständiges Gericht über die Haftverlängerung, ist für die Frage, ob das Gericht bei einer zu bewirkenden Zustellung die Bevollmächtigung kennen muss, auch erheblich, ob die Akten des zuständigen Gerichts einen entsprechenden Nachweis enthalten (OLG München, B. v. 26.04.2006 – 34 Wx 044/06 –, bei Winkelmann, a.a.O.).
Im konkreten Fall hatte die Ausländerbehörde einen Haftverlängerungsantrag nicht nur bei dem örtlich unzuständigen Amtsgericht angebracht, sondern es auch noch unterlassen, das Gericht darüber zu informieren, dass ihr eine umfassende Vertretungsvollmacht des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vorliegt, mit der Folge, dass der Bevollmächtigte weder zum Termin hinzugezogen noch vom Gericht über den Verlängerungsbeschluss zeitnah informiert wurde.

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Nach dem OLG Hamm (Beschluss vom 05.07.2012 – 15 SA 4/12 –, InfAuslR 2012, 422) kommt eine Entscheidung über eine Fortdauer der Haft im Sinne des § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG nur dann in Betracht, wenn das zuerst mit der Sache befasste Amtsgericht eine instanzabschließende Entscheidung in der Hauptsache über die Anordnung der Haft getroffen hat. Hat das Amtsgericht lediglich im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG eine vorläufige Haftanordnung getroffen, kann das Hauptsacheverfahren bis zum Erlass der instanzabschließende Entscheidung nicht an das Amtsgericht abgegeben werden, in dem die Haft vollzogen wird. Einem gleichwohl ergangenen Abgabebeschluss kommt keine Bindungswirkung zu. Das LG Frankfurt (Oder) 5. Zivilkammer
(Beschluss vom 13.03.2014 – 15 T 35/14 –, juris) hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen.

 

5. Zur Frage der Beschwerdemöglichkeit bei bloßer Zuständigkeitsrüge

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Zu der bislang in Literatur und Rechtsprechung wenig diskutierten Frage der Unzulässigkeit der Beschwerdemöglichkeit bei reinen Zuständigkeitsproblemen haftanordnender Gerichte sieht das FamFG folgende Bestimmungen vor:

§ 65 Beschwerdebegründung
(1) ...
(2) ...
(3) ...
(4) Die Beschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.


§ 72 Gründe der Rechtsbeschwerde
(1) ...
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.
(3) ...

Nach dem Wortlaut des Gesetzestextes kann die örtliche, sachliche oder instanzielle Zuständigkeit des Amtsgerichts oder Landgerichts nicht durch die Beschwerde wirksam angegriffen werden. Ein Rechtsmittel, mit dem ausschließlich die mangelnde Zuständigkeit des Erstgerichts gerügt wird, soll daher unzulässig sein, soweit keine Frage des richtigen Rechtswegs überprüft werden soll (§ 17 a GVG; Joachim/Kräft, in: Bahrenfuss (Hrsg.), FamFG, § 65, Rn. 7). Nach der Gesetzesbegründung sollen die Rechtsmittelgerichte hierdurch von reinen Streitigkeiten um Zuständigkeitsfragen entlastet werden (vgl. Abramenko, in: Prütting/Helms, a.a.O., § 65, Rn. 19. BT-Drucksache 16/6308, S. 206: „Absatz 4 lehnt sich an die entsprechende Vorschrift des § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO an, die durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) neu gefasst wurde. Die vorgesehene Beschränkung der Beschwerdegründe vermeidet Rechtsmittel, die ausschließlich die fehlende Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts rügen. Hierdurch werden die Rechtsmittelgerichte von rein prozessualen Streitigkeiten entlastet“. Für § 72 Abs. 2 FamFG wird hierauf verwiesen). Für die Revision im zivilgerichtlichen Verfahren wird nach der Rechtssprechung des BGH (U. v. 22.02.2005 – KZR 28/03 –, bei juris) anerkannt, dass die Zuständigkeit des Berufungsgerichts der Überprüfung im Revisionsverfahren entzogen ist. Damit soll es nach Auffassung Joachims (In: Bahrenfuss (Hrsg.), FamFG, § 72, Rn. 9) der Intention der Entlastung des BGH entsprechen, Zuständigkeitsrügen insgesamt aus dem Rechtsbeschwerdeverfahren herauszunehmen.

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So führt die fehlende Zuständigkeit eines Amtsgerichts für die Entscheidung über die Fortdauer einer Freiheitsentziehung im Fortsetzungsfeststellungsverfahren nur dann zur Rechtswidrigkeit, wenn das Amtsgericht willkürlich (so auch Hoppe, ZAR 2009, S. 213) seine Zuständigkeit bejaht hat (Vorlage an den Bundesgerichtshof wegen Abweichung von OLG Oldenburg, B. v. 28.2.2006 – 13 W 0 – = InfAuslR 2006, 333/334); OLG München, B. v. 19.09.2006 – 34 Wx 080/06 –, bei Winkelmann, aa.O.
Es kann dahinstehen, ob ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags voraussetzt, dass der Antrag beim zuständigen Amtsgericht gestellt wird. Zweifelhaft ist dies deshalb, weil im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu dem das Freiheitsentziehungsverfahren gehört (vgl. § 3 Satz 2 FreihEntzG), eine formlose Abgabe an das örtlich zuständige Gericht, jedenfalls nach gerichtlichem Hinweis und auf Antrag, grundsätzlich möglich ist. Im Regelfall wird davon auszugehen sein, dass ein fehlerhafter Abgabebeschluss nicht nichtig ist (OLG München, B. v. 19.04.2007 – 34 Wx 019/07 –, bei Winkelmann, a.a.O.).
So entschied der BGH (B. v. 08.03.2007 – V ZB 149/06 –, bei Winkelmann, a.a.O) in der Vorlagefrage des OLG München (s.o.), dass sowohl das zuständige Amtsgericht Erlangen als auch das tätig gewordene Amtsgericht Nürnberg zum Bezirk des Beschwerdegerichts gehörten. Jedenfalls in einer solchen Konstellation führt ein Verstoß des Amtsgerichts gegen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht zur Rechtswidrigkeit der - in der Sache nicht zu beanstandenden - Haftanordnung oder -verlängerung, mithin wird die erstinstanzielle Entscheidung geheilt. So auch OLG Zweibrücken (B. v. 03.08.2006 – 3 W 152/06 –, bei Winkelmann, a.a.O.):

"Zwar ist grundsätzlich richtig, dass es im Beschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Amts wegen beachtet werden muss, wenn die angefochtene Entscheidung von einem örtlich unzuständigen Gericht erlassen ist und dass die Rechtsfolge der örtlichen Unzuständigkeit regelmäßig die Aufhebung der Entscheidung sowie die - vom Landgericht vorliegend allerdings nicht ausgesprochene - Anweisung an das Erstgericht ist, die Sache an das zuständige Amtsgericht abzugeben. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos, wenn erstinstanzlich das örtlich unzuständige Amtsgericht entschieden hat. Denn nach der in der Rechtsprechung und im Schrifttum herrschenden Meinung kann das Landgericht in einem solchen Fall in der Sache selbst entscheiden, wenn es das gemeinsame Rechtsmittelgericht für das unzuständige und das in Wahrheit zuständige Gericht ist."

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Der BGH führte in seinem Beschluss vom 06.05.2010 (– V ZB 193/09 – bei Winkelmann)

icon BGH – V ZB 193/09 – B. v. 06.05.2010

in ständiger Auffassung aus, die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts sei auch im Fortsetzungsfeststellungsverfahren von dem Senat nicht zu prüfen, § 72 Abs. 2 FamFG. Daher könne die Rüge der Rechtsbeschwerde dahingestellt bleiben, zur Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht habe es eines förmlichen Beschlusses bedurft.

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Die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 65 Abs. 4 und 72 Abs. 2 FamFG, die bei reiner Zuständigkeitsrüge im haftrechtlichen (Rechts)Beschwerdeverfahren generell zur Abweisung führen, sind zu umfassend und verstoßen gegen geltendes Verfassungsrecht.
Soweit Hoppe (a.a.O.) ausführt, dass einiges dafür spräche, dass im Lichte von Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG und der besonderen Bedeutung der gesetzlich vorgegebenen Förmlichkeiten § 65 Abs. 4 FamFG jeglicher Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung des Amtsgerichts nicht entgegenzustehen vermag, ist dem beizupflichten.
Der Gedanke, dass ggf. sowohl das erstinstanzielle Amtsgericht als auch das Beschwerdegericht als unzuständige Gerichte über eine Haftsache rechtswirksam entscheiden können und lediglich aus Gründen der Prozessökonomie auch eine Rechtsbeschwerde vor dem BGH gesetzlich ausgeschlossen wird, ist schlichtweg unerträglich und nach dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG unzulässig.
Wie das Postulat der richterlichen Unabhängigkeit allgemein, soll auch der Grundsatz des gesetzlichen Richters, der mit ihm in engem Zusammenhang steht, gewährleisten, dass die richterliche Entscheidung als Akt der rechtsprechenden Gewalt unparteiisch und frei von sachfremden Einflüssen ergehen kann (Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Einl J). Rein prozessökonomische Gesichtspunkte sind geeignet, eben als solche sachfremde Einflüsse ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu bewirken.

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Nach diesseitiger Auffassung ist daher zu differenzieren (in der Allgemeinheit der BGH-Entscheidung (B. v. 08.03.2007 – V ZB 149/06 –, s.o.) auch nicht folgend: Jennissen, a.a.O., § 416, Rn. 8):

  1. Zuzustimmen ist der Auffassung, dass das zuständige Landgericht die erstinstanzielle Entscheidung des unzuständigen Amtsgerichtes heilen kann, da es als zweite Tatsacheninstanz an die Stelle des Amtsgerichtes tritt.
  2. Ausnahmsweise kann das Landgericht in der Sache selbst entscheiden, wenn es das gemeinsame Rechtsmittelgericht für das unzuständige und das in Wahrheit zuständige Gericht ist.
  3. In Fällen von willkürlich angenommener Zuständigkeit hingegen muss die Entscheidung durch das Beschwerdegericht aufgehoben werden und an das zuständige Amtsgericht zurückverwiesen werden.
  4. Für alle anderen Fälle, in denen das Beschwerdegericht der Zuständigkeitsrüge nicht abhilft, muss die außerordentliche Rechtsbeschwerde vor dem BGH ermöglicht werden, mithin ist § 72 Abs. 2 FamFG rechtsunwirksam.

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