I. Entstehungsgeschichte

II. Allgemeines

1. Eingriffe in das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG)
1.1 Abgrenzung Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung
1.2. Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehung
1.2.1 Bedeutung der so genannten „Kurzzeitklausel“
1.2.2 Geplante Freiheitsentziehungen
1.3. Beschleunigungsgebot
1.4 Rechtsschutzinteresse bei Freiheitsentziehungen

III. Vorbereitungshaft

IV. Sicherungshaft

1. Allgemeines
1.1 Historie
2. Haftgründe
2.1 Entziehungsabsicht
2.2 Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
2.3 Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1a AufenthG
2.4 Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG
2.5 Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG
2.6 Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG
2.7 Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG
3. Kleine Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG
4. Scheitern der Abschiebung
5. Haft von Minderjährigen
6. Haftdauer
6.1 Allgemein
6.2 Problematik der Passbeschaffung
6.3 Verhinderungsverhalten
6.4 Überhaft
6.5 Haftunfähigkeit und Unterbrechung der Haft
7. Kosten

V. Festnahmerecht der Ausländer- und Polizeibehörden

VI. Verfahren und Rechtsschutz

1. Allgemeines
2. Benachrichtigungspflicht bei Freiheitsentziehung
3. Anhörung
4. Anforderung an das Verfahren bei einstweiligen Freiheitsentziehungen
5. Dokumentationspflicht staatlicher Organe
6. Amtsermittlungen contra Bindung an Entscheidungen der Ausländerbehörde
und der Verwaltungsgerichte

Anhang:

Download aller relevanten Entscheidungen zu § 62 AufenthG auf MNet:

I. Grundsatz

Richterliche Entscheidung

Effektiver Rechtsschutz

Verfahrensvorschriften

Schadenersatz

II. Haftarten

Abschiebungshaft

Zurückschiebungshaft

Haft im Asylverfahren

Haft von Minderjährigen

> End


I. Entstehungsgeschichte

1

Die Vorschrift entsprach vormals im Wesentlichen dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 07.02.2003.

icon Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz - BT-Drucks. 15/420 v. 07.02.2003

Aufgrund des Vermittlungsverfahrens wurde nur in Abs. 2 die Nr. 1 a AufenthG2005 (Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG) eingefügt (BT-Drucks. 15/3479, S. 10). § 62 Abs. 2 Satz 5 und Abs. 4 AufenthG wurden durch das Änderungsgesetz mit Wirkung vom 28. August 2007 neu eingeführt.

icon Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (8.14 MB)

§ 62 wurde durch das UmsGes2011 (BT-Drucks. 17/5470 v. 12.04.2011)

icon Entwurf des 2. Richtlinienumsetzungsgesetzes von April 2011

aufgrund der Anpassung an die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie - Rü-Fü-RL) mit Einfügung des neuen Abs. 1 geändert. Zudem wurde § 62 a AufenthG (Vollzug der Abschiebungshaft) neu eingefügt (s. Rn. 3). Dadurch werden nach der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drucks. 17/5470 v. 12.04.2011, S. 46) insgesamt die Art. 15 Abs. 1, 17 Abs. 1 sowie Art. 16 Abs. 1, 2, 4 und 5, Art. 17 Abs. 2-5 RüFü-RL umgesetzt. Zu den Umsetzungen der RüFü-RL insgesamt ausführlich im Beitrag von Winkelmann, MNet.

icon Zur nationalen Umsetzung der Rückführungsrichtlinie

Zur Situation in deutschen Abschiebhaftanstalten siehe Antwort der Bundesregierung in BT-Drucks. 17/7442 sowie in Umsetzung der Abschiebungsrichtlinien der EU und die Praxis der Abschiebungshaft BT-Drucks. 17/7446 v. 04.09.2012.

icon Antwort der Bundesregierung Situation in deutschen Abschiebungshaftanstalten

icon Antwort der Bundesregierung zur Umsetzung der RFRL und die Abschiebungshaft

II. Allgemeines

2

Anders als nach §§ 63, 60 AuslG-1990 u. § 16 AuslG-1965 sowie nach §§ 57, 15 AufenthG (aF) ist die Vorbereitungs- oder Sicherungshaft seit 28. August 2007 nur noch für die Abschiebungshaft und die Zurückschiebungshaft zulässig (die ehemals in § 15 Abs. 4 AufenthG bis 27. August 2007 gültige Verweisung auf § 62 ist gestrichen worden, da dies durch den Gesetzgeber mit Hinweis auf den § 15 Abs. 5 AufenthG für insgesamt entbehrlich gehalten wurde, womit er jedoch fehlgeht (vgl. unter § 15 Rn. 42; zur Zurückschiebungshaft vgl. § 57 Abs. 3 AufenthG). In beiden Fällen hat der Gesetzgeber die Höchstdauer zu begrenzen versucht. Vorschlägen zur Änderung der Zuständigkeiten (Knösel, ZAR 1990, 75; Mac Lean, InfAuslR 1987, 69) ist er nicht gefolgt. Ebenso erfolglos waren Bestrebungen, die Rechte der Abschiebehäftlinge durch ein Vollzugsgesetz ähnlich wie für Straf- oder die Untersuchungshaft zu regeln, was mehr den je durch das Trennungsgebot in der RüFü-RL begründet wäre (s. hierzu die neuere Rechtssprechung in § 62a AufenthG). Nach wie vor werden Erleichterungen wie Besucherempfang, Telefongespräche, Ausgang oder Freizeitaktivitäten grundsätzlich mit der Begründung abgelehnt, dafür sei nach dem Gesetzeszweck kein Raum. Zu der insgesamt unbefriedigenden Lage trägt auch die Zersplitterung der Zuständigkeiten in den Bundesländern bei (z.T. IM, z.T. Justiz). Infolge dessen ist nicht einmal die sozialpädagogische u. seelsorgerische Betreuung durchgehend geregelt. Der Gesetzgeber hat für die Abschiebungshaft nicht einmal wie für die Ausreiseeinrichtungen in § 61 Abs. 2 AufenthG eine Ausreiseberatung ausdrücklich vorgesehen.

3

Mit dem UmsGes2011 wurden mit § 62a AufenthG Mindeststandards für den Vollzug der Abschiebungshaft in speziellen Hafteinrichtungen vorgesehen. Die Abschiebungshaft wird danach in speziellen Hafteinrichtungen oder, sofern solche nicht vorhanden sind, in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Vollzugsanstalt vollzogen. Werden Familienangehörige die in einer familiären Lebensgemeinschaft verbunden sind inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungshäftlingen unterzubringen. Dem Ausländer wird auf Wunsch gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen und den zuständigen Konsularbehörden Kontakt aufzunehmen. Ist der Ausländer minderjährig, sind seine spezifischen Bedürfnisse, insbesondere wenn er unbegleitet ist, zu berücksichtigen. Mitarbeitern von Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen kann auf Antrag gestattet werden, die Vollzugsanstalt zu besuchen. Der Ausländer ist über seine Rechte und Pflichten und die in der Vollzugsanstalt geltenden Regeln zu informieren.

4

Die Ausländerbehörden waren bisher nicht ermächtigt, ihrerseits den Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in vorläufigen Gewahrsam zu nehmen (BVerwG, U. v. 23.6.1981 – I C 93.76 – BVerwGE 62, 317, vgl. dazu § 62 Abs. 5 AufenthG, Rn. 140 f.). Sie durften den Ausländer nicht „verhaften“, um die Abschiebung vorzubereiten oder ihn dem Haftrichter vorzuführen (Heinhold, ZAR 2004, 185; OLG Braunschweig, B. v. 4.2.2004 – 6 W 32/03 – InfAuslR 2004, 166). Die grundsätzlich zulässige Direktabschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers ohne richterliche Haftanordnung muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, entsprechen. Unter besonderen Umständen kann die Direktabschiebung unzumutbar sein, wenn der ausreisepflichtige Ausländer aufgrund des vorhergehenden Verhaltens der Ausländerbehörde nicht mit seiner Direktabschiebung rechnen muss und daher auch keinerlei Vorkehrungen hierfür treffen kann (VG Berlin, U. v. 25.02.2015 - 24 K 14.15 –, juris). Sicherungshaft wird erst notwendig, wenn der Ausländer die Abschiebung in einer Weise behindert, die nicht durch Anwendung einfachen Zwangs überwunden werden kann (BGH, B. v. 6.12.1979 – VII ZB 11/79 – BGHZ 75, 375). Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in dem für die Abschiebung erforderlichen Maß ist keine Freiheitsentziehung, diese Grenze ist aber jedenfalls überschritten beim Festhalten im Polizeigewahrsam über eine Dauer von elf Stunden (BVerfG, B. v. 15.5.2002 – 2 BvR 2292/00 – EZAR 048 Nr. 60; SchlHOLG, B. v. 28.4.2003 – 2 W 207/02 – EZAR 048 Nr. 62.; so auch Melchior, Abschiebungshaft, 08/2007, Nr. 690, bereits mit der Unterbringung in einem geschlossenem Raum; s. näher unter Rn. 7). Solange nur reiseübliche Unterbrechungen auf dem Weg zur Abschiebung (Umsteigepause, Verkehrsstau, Wartezeit vor Abflug u.a.) zu überbrücken sind und der Ausländer nicht für längere Zeit in Gewahrsam genommen werden muss, handelt es sich nicht um Freiheitsentziehung.

5

Abschiebungshaft stellt wie Ausweisung oder Abschiebung keine Strafmaßnahme oder Beugehaft dar (OLG Frankfurt, B. v. 12.1.2005 – 20 W 435/04 – EZAR NF 57 Nr. 1). Die Abschiebungshaft ist zweckgebunden: Die Unterbringung für mehrere Tage in Polizeigewahrsam, bis der Transport in eine in einem anderen Bundesland liegende spezielle Abschiebehafteinrichtung organisiert ist, ist unzulässig (LG Wuppertal, B. v. 26.11.14 – 9 T 165/14 –, juris). Die Zahlen der Abschiebungshaftfälle sind insgesamt rückläufig: 2008 (8.805, davon 214 Minderjährige), 2009 (8.366, davon 142 Minderjährige), 2010 (7.495, davon 114 Minderjährige), 2011 (6.466, davon 61 Minderjährige) vgl. BT-Drucks. 17/10597, S. 90). Es handelt sich um eine Präventivmaßnahme im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Ausreisepflicht (BayObLG, B. v. 24.5.1973 – BReg. 3 Z 31/73 – NJW 1973, 2166; B. v. 19.12.1973 – BReg. 3 Z 118/73 – NJW 1974, 425). Sie setzt deshalb grundsätzlich kein verschuldetes oder sonst vorwerfbares Verhalten des Ausländers voraus, sondern lediglich eine Gefahrenprognose hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung. Während Vorbereitungshaft an verhältnismäßig geringe Voraussetzungen anknüpft, aber i.d.R. nur höchstens sechs Wochen dauern darf, ist Sicherungshaft nur unter wesentlich engeren Voraussetzungen zulässig, kann aber bis zu 18 Monaten ausgedehnt werden. Gemeinsam ist bei den Haftarten das Verbot der Unverhältnismäßigkeit. Das verfassungsrechtliche Übermaßverbot fließt aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und begrenzt jede Freiheitsentziehung auf das nach den Umständen notwendige und erforderliche Maß. Besondere Schutzvorschriften zugunsten bestimmter Personen wie Minderjährige oder Schwangere enthielt das Gesetz bislang nicht. Nunmehr betont darüber hinaus Abs. 1, dass die Abschiebungshaft nur unzulässig ist, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann (ultima-ratio-Gedanke). Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken.Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur solange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Jedenfalls muss jeweils im Einzelfall die Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot und Art. 2 und 6 GG geprüft werden. Generell sollen aber Kinder unter 16 Jahren und Personen über 65 Jahre sowie Schwangere u. Mütter innerhalb der Mutterschutzfrist nicht in Haft genommen werden (Nr. 62.0.5 AVwV).

5a

Bei der Inobhutnahme von Minderjährigen ist zu beachten, dass noch nicht 18-jährige unbegleitete Personen unter die UN-Kinderrechtskonvention fallen (Art. 1 KRK):

Artikel 1
Im Sinne dieses Übereinkommens ist ein Kind jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt.

icon Übereinkommen über die Rechte des Kindes (für Mitglieder)

Die Bundesrepublik Deutschland erkennt mittlerweile - durch Rücknahme ihrer Erklärung vom 15.02.1990 - die KRK vollumfänglich an.
Näher hierzu unter Rn. Vor84.

1. Eingriffe in das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG)

6

Das Recht auf Freiheit der Person ist unverletzlich. Nach dem Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG sind zwar grundsätzlich Eingriffe in dieses Grundrecht möglich, allerdings unterliegen sie dem hohen Maßstab der besonderen Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehungen nach Art. 104 GG. Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche und rechtliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen, also vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (BVerfG, 2 BvR 447/05 vom 13.12.2005, Rn. 34). Zur Dokumentation und Kommentierung der relevanten nachfolgenden Entscheidungen bei Winkelmann, MNet:

icon Unverzüglichkeit der richterlichen Entscheidung in Haftsachen (1.12 MB)

Diese Einschränkung der Freiheit der Person ist stets der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen. Nur wenn überwiegend Belange des Gemeinwohls, wie sie mit den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG bestimmt sind, es zwingend gebieten, muss der Freiheitsanspruch des Einzelnen zurücktreten. Umgekehrt umfasst der Gewährleistungsinhalt jedoch nicht ein Recht, sich unbegrenzt überall aufzuhalten und überall hin bewegen zu dürfen (BVerfG, B. v. 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93 – Rn. 114). Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang. Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (BVerfG, B. v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 – Rn. 35).

1.1 Abgrenzung Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung

7

Freiheitsbeschränkung (Art. 104 Abs. 1 GG) und Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG) grenzt das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität und der Dauer des Eingriffs ab. Freiheitsentziehung ist die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich an einem Ort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Der Tatbestand der Freiheitsentziehung kommt nur in Betracht, wenn die tatsächlich und rechtlich an sich gegebene körperliche Bewegungsfreiheit durch staatliche Maßnahmen nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (BVerfG, B. v. 15.5.2002 – 2 BvR 2292/00 – Rn. 24). Dabei stellt die Unterbringung in einem Gewahrsamsraum - zu welchem Zweck auch immer - stets eine Freiheitsentziehung dar. Dies ist in § 415 Abs. 2 FamFG (siehe dort) ausdrücklich geregelt. Dabei kommt es nicht auf die interne Bezeichnung oder Widmung des Raumes als Haft oder Gewahrsamsraum an. Entscheidend ist ausschließlich die Intensität der Einschränkung der Bewegungsfreiheit.

8

Abschiebungshaft stellt daher eine Freiheitsentziehung und nicht nur eine Freiheitsbeschränkung dar (vgl. Art. 104 Abs. 1 und 2 GG), da die körperliche Bewegungsfreiheit in umfassender Weise beeinträchtigt wird (Knösel, ZAR 1990, 75; Lisken, NJW 1982, 1268). Bei der Direktabschiebung (ohne Abschiebungshaft) kann fraglich sein, ob die Bewegungsfreiheit nur eingeschränkt oder aber entzogen wird (so schon Melchior, Abschiebungshaft, der generell der Auffassung ist, das die Abschiebung, wenn der Betroffene nicht kraft eigener Einsicht reist, stets mit freiheitsentziehenden Maßnahmen einhergeht. Der Tatbestand der Freiheitsentziehung kommt nur in Betracht, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. Die Durchführung der Abschiebung (der Zurückweisung oder Zurückschiebung) mit unmittelbarem Zwang wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht als Freiheitsentziehung eingestuft (BVerwG v. 23.6.1981 – I C 78.77 –; BVerwG v. 17.08.1982 – 1 C 85.80 –; BGH, B. v. 17.12.1981 – VII ZB 8/81 –; BGH, B. v. 25.06.1998 – V ZB 8/98 –, bei Winkelmann), sofern primär die Abschiebung und nur sekundär die Beschränkung der Bewegungsfreiheit bezweckt wird, s. auch schon KG Berlin, B. v. 11.04.1968 – 1 W X X B 2422/67 –, Kurztext bei juris). Sinn und Zweck des Art. 104 Abs. 2 GG, der nach seiner Entstehungsgeschichte vor allem Inhaftierungen vorbeugen soll, wie sie während der nationalsozialistischen Herrschaft gegen politische Gegner angeordnet wurden, gebieten eine so weitgehende Auslegung des Freiheitsentziehungsbegriffs nicht. Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges gegen Personen zur Durchsetzung eines Verhaltens, zu dem der jeweils Betroffene verpflichtet ist, sind demgemäß nicht wegen des mit ihnen verbundenen Eingriffs in die körperliche Bewegungsfreiheit notwendig Freiheitsentziehungen, so das BVerwG 1981 (s.o.).

icon BVerwG – I C 78.77 – U. v. 23.06.1981

icon BVerwG – 1 C 85/80 – U. v. 17.08.1982

icon BGH – VII ZB 8/81 – B. v. 17.12.1981

icon BGH – V ZB 8/98 – B. v. 25.06.1998

Die Abschiebung als solche bedeutet danach keine Freiheitsentziehung, kann aber eine solche erforderlich machen, mit der Folge, dass über Zulässigkeit und Fortdauer der Richter zu entscheiden hat (Art. 104 Abs. 2 GG). Einer generellen Zuordnung der Direktabschiebung in den Bereich der Freiheitsentziehung wird aus rechtssystematischen Gründen nicht gefolgt. Dies ist insbesondere nicht schon allein aufgrund des Zeitmoments und der älteren Rechtssprechung des BVerwG und des BGH (s.o.) begründbar (so aber Jennissen in: Prütting/Helms, FamFG, § 415 Rn. 23; siehe hierzu auch § 415 FamFG, Rn. 6); vgl. auch Dodegge, in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 3. Aufl. 2012, § 415 Rn. 14).

9

Übergänge von Freiheitsbeschränkungen zu Freiheitsentziehungen können fließend sein. Dazu Winkelmann, MNet:

icon Neue Regelungen zum Haftrecht, S. 11

sowie in ZAR, 2007, S 268 (weiterhin Jarass/Pieroth, Art. 104 Rn. 6; Knösel, a.a.O., S. 77 m.w.N. in Fn. 30 bis 32.; Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 3. Aufl., S. 578).

Von einer Freiheitsentziehung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn eine Person

  • in eine Gewahrsamszelle (auch nur kurzfristig) eingeschlossen wird,
  • einen bestimmten, eng umgrenzten Bereich über längere Zeit nicht verlassen darf (z.B. zugewiesener Sitzplatz im Flughafen-Transitbereich, Zimmer in der Dienststelle - auch bei geöffneter Tür -, so nun auch OVG Sachsen, U. v. 24.11.2011 – 3 A 130/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.; im Dienstfahrzeug: VGH München, U. v. 27.01.2012 –10 B 08.2849 – , bei Winkelmann, a.a.O.),
  • den Transitbereich eines Flughafens luftseitig nicht verlassen kann,
  • gefesselt wird (Gewahrsam ist nach den Polizeigesetzen des Bundes und der Länder überwiegend rechtliche Grundvoraussetzung; vgl. jedenfalls § 8 UZwG-Bund),
  • längerfristige Wartezeiten z.B. bei Identitätsfeststellungen oder bei der Vorbereitung einer Rückführung über sich ergehen lassen muss, die über eine übliche und zügige Vorgangsbearbeitung deutlich hinausgehen oder
  • zur Dienststelle (zu jedem anderen Ort im Rahmen einer Identitätsfeststellung oder Durchsuchung, insbesondere auch zur Wohnung) mitgenommen wird.

icon OVG Sachsen, in: Unverzüglichkeit der richterlichen Entscheidung in Haftsachen

icon VGH München - 10 B 08.2849 - U. v. 27.01.2012

10

Falls im Zuge der Vorbereitung der Abschiebung oder auch der Abschiebungshaft unmittelbarer Zwang angewandt wird, kommen als Rechtsgrundlage auch strafprozessuale oder polizeirechtliche Vorschriften in Betracht. Deren Voraussetzungen müssen aber eingehalten und sie dürfen nicht unzulässigerweise zur Durchsetzung der Ausreisepflicht genutzt werden.

1.2. Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehung

11

Für den schwersten Eingriff in das Recht der Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (BVerfG, B. v. 13.12.2005 – 2 BvR, 447/05 – Rn. 36) und soll verhindern, dass der mit der Freiheitsentziehung verbundene schwere Eingriff in die Freiheit der Person allein von weisungsgebundenen Exekutivorganen abhängt. Der Richter wird als Garant eines rechtsstaatlich einwandfreien Verfahrens beim Entzug der Freiheit eingesetzt. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen.

12

Die Erreichbarkeit des zuständigen Richters ist dabei zur Tageszeit (vgl. § 104 Abs. 3 StPO) stets zu gewährleisten (BVerfG, B. v. 15.05.2002 – 2 BvR 2292/00 – Rn. 25). Die Tageszeit wird daher in Abgrenzung zur Nachtzeit gem. § 104 StPO bestimmt:

  • 21.00 – 04.00 Uhr (Sommerhalbjahr)
  • 21.00 – 06.00 Uhr (Winterhalbjahr)

Die Art und Weise der Durchführung des richterlichen Bereitschaftsdienstes gab in der Folgezeit Anlass zu verfassungsrechtlichen Beanstandungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein nächtlicher richterlicher Bereitschaftsdienst nicht stets und unabhängig vom Bedarf auch zur Nachtzeit gefordert. Das Fehlen eines richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit begegnet dann keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn es nur ganz vereinzelt zu nächtlichen Freiheitsentziehungen kommt und kein über den Ausnahmefall hinausgehender praktischer Bedarf besteht. In Fällen von z.B. bevorstehenden Castor-Transporten und den zu erwartenden Massendemonstrationen, ist ein Bedürfnis für die besondere Regelung des richterlichen Eildienstes auch zur Nachtzeit an diesen Tagen sehr naheliegend (BVerfG, Nichtannahmeb. v. 10.12.2003 – 2 BvR 148/02 –; BVerfG, B. v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 –). Ein 24-stündiger richterlicher Eilentscheidungsdienst ist folglich in allen Fällen unabdingbar, in denen ein praktisches Bedürfnis über einen Ausnahmefall hinausgehend wegen zu erwartender Freiheitsentziehungen besteht, wie es sich typischerweise im Zuge von Massendemonstrationen und Großveranstaltungen ergeben kann (VG Aachen für die nächtliche Gewahrsamnahme während der Fußballeuropameisterschaft, U. v. 05.10.2009 – 6 K 1802/08 –). Die Freiheitsentziehung erfordert nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. In Eilfällen kann dies die Anordnung einer einstweiligen Freiheitsentziehung nach § 427 FamFG sein. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. „Unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (LG Görlitz, B. v. 30.08.2012 - GR 2 T 91/12 -, bei Winkelmann).

icon LG Görlitz, B. v. 30.08.2012 - GR 2 T 91/12 -

13

Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen,

  • die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport,
  • die notwendige Registrierung und Protokollierung,
  • ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (BVerfG, B. v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 – Rn. 37).

So entschied der EGMR in der Rs. "Medvedyev vs. Frankreich" am 10.07.2008, dass die Dauer der von den Bf. erlittenen Freiheitsentziehung durch außergewöhnliche Umstände gerechtfertigt war, darunter insbesondere die unvermeidliche Verzögerung eines auf Hoher See aufgebrachten Schiffes bis zum Eintreffen in Frankreich nach 13 Tagen. Der Fall betraf eine Freiheitsentziehung auf Hoher See durch die Besatzung einer franz. Fregatte 5.500 Km vor der eigenen Küste gegen die Besatzung eines unter kambodschanischer Flagge fahrenden mutmaßlichen Drogenfrachters. Der EGMR sah in der „verspäteten“ Richtervorführung nach 15 (!) Tagen keinen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK, da eine derartige Verzögerung aufgrund außergewöhnlicher Umstände – wie hier die notwendige Fahrtdauer – für die Rechtfertigung vorliegen.
Darauf Bezug nehmend VG Köln, U. v. 11.11.2011 – 25 K 4280/09 –, bei Winkelmann, a.a.O.:

icon VG Köln – 25 K 4280/09 – U .v. 11.11.2011

Im Rahmen der EU-Militäroperation "ATALANTA" wurden am 03.03.2009 im Golf von Aden von der Fregatte der deutschen Bundesmarine „Rheinland Pfalz“ wegen des Verdachts eines seeräuberischen Angriffs 9 Personen in Gewahrsam genommenen. Der Vorgabe des Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG ist hier zwar ersichtlich nicht genügt worden. Art. 104 Abs. 3 GG kann bei einem derartigen Einsatz von Bundeswehrkräften auf Hoher See zur Pirateriebekämpfung im Rahmen eines multinationalen Systems kollektiver Sicherheit nicht ohne Modifikationen zur Anwendung kommen (vgl. BVerfG, U. v. 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94, 2420/95 und 2437/95 –, BVerfGE 100, 313 (362) m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen war die Vorführung vor den kenianischen Haftrichter noch als „unverzüglich“ anzusehen, da seit der Festnahme erst 8 Tage verstrichen waren und auch nichts dafür sprach, dass die Fahrt über eine Entfernung von mehr als 1000 Seemeilen vom Festnahmeort im Golf von Aden nach Mombasa in Kenia, dem nächsten zur Strafverfolgung bereiten Staat, länger als notwendig gedauert hat. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass alternative Transportmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten.
Unvermeidbare Verzögerungen sind zu dokumentieren
. Zur Vermeidung von Verzögerungen gehört auch, frühzeitig einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Diesbezüglich besteht die Verpflichtung aller staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (BVerfG, B. v. 15.05.2002 – 2 BvR 2292/00 –).
Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne Weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (BVerfG, B. v. 15.05.2002 – 2 BvR, 2292/00 – Rn. 27). Das Gebot der Unverzüglichkeit des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG entfaltet in zweierlei Hinsicht Wirkungen. Zum einen verpflichtet es die Polizei, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Hat sie eine Person in Gewahrsam genommen, so hat sie alle unter den Umständen des Einzelfalls gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um die nachträgliche richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme unverzüglich nachzuholen (BVerfG, B. v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 – Rn. 38). Die Nachholung der richterlichen Entscheidung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn der Freiheitsentzug vor Ablauf der Frist des Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG endet. Diese Vorschrift setzt dem Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des auf das Ergreifen folgenden Tages eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine solche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (BVerfG, B. v. 15.05.2002 – 2 BvR 2292/00 – Rn. 28). Zum anderen muss auch die weitere Sachbehandlung durch den Richter dem Gebot der Unverzüglichkeit entsprechen (BVerfG, B. v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 – Rn. 38).
Nach dem AG Bremen liegt ein Verstoß gegen das Beschleunigungsverbot vor, wenn der Betroffene sechs Stunden nach der Festnahme noch nicht dem Richter vorgeführt wurde (AG Bremen, B. v. 25.07.2012 – 92 XIV 803/11 –). Das LG Berlin hingegen, sieht einen Verstoß bei Festhaltung im Rahmen von § 62 Abs. 5 AufenthG wegen Zuwartens auf das Ergebnis der erkennungsdienstlichen Behandlung bereits nach mehr als einer Stunde (LG Berlin, B. v. 09.09.2013 – 84 / 109/13 B – in ANA-ZAR 1/2014, 10).

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Scheitert die gebotene Vorführung daran, dass während der Tageszeit (unter Umständen auch während der Nachtzeit, s.o. Rn. 12) ein zuständiger Richter nicht erreichbar ist und damit der Staat dem Verfassungsgebot nicht genügend nachkommt (so, wenn eine von Verfassungs wegen erforderliche richterliche Entscheidung aus objektiven, sachlich gerechtfertigten Gründen nicht unverzüglich ergeht, oder auch die gebotene Anhörung nicht unverzüglich erfolgt. Der bloße Hinweis etwa auf den "Dienstschluss" des zuständigen Amtsgerichts, die Nichtverfügbarkeit einer Schreibkraft oder eines Computers oder gar private Gründe wie der nicht verschiebbare Termin auf dem Golfplatz reichen genauso wie absurde Argumente „kein Call-Center“ für die Behörden zu sein, nicht aus, sind mithin willkürlich), so wird die Freiheitsentziehung ab dem Zeitpunkt des endgültigen Feststellens der Nichterreichbarkeit des Richters rechtswidrig und der Betroffene ist von Amts wegen zu entlassen (SchlHOLG, B. v. 28.04.2003 – 2 W 207/02 – Rn. 9; vgl. für die Abschiebungshaft auch RL 2008/115/EG, Art. 15 Abs. 2 S. 4:

„Ist die Inhaftnahme nicht rechtmäßig, so werden die betreffenden Drittstaatsangehörigen unverzüglich freigelassen“.).

Für den Zeitpunkt, ab wann eine Freiheitsentziehung bei unterbliebener Einholung der richterlichen Entscheidung rechtwidrig wird, führte u.a. LG Lüneburg (B. v. 14.01.2008 – 10 T 63/07 –) zum Castortransport im November 2005 aus,

„[dass dies letztendlich dazu führe], dass die Gewahrsamnahme ab dem Zeitpunkt der Aufnahme in der Gefangenensammelstelle rechtswidrig war. Denn eine hypothetische Betrachtung derart, dass die Vorbereitung der Vorführung vor den Richter ebenfalls Zeit in Anspruch genommen hätte und deshalb die Freiheitsentziehung erst ab dem Zeitpunkt der möglich gewesenen Vorführung rechtswidrig gewesen wäre ist nicht zulässig (vgl. OLG Celle, B. v. 20.09.2007 – 22 W 27/07 –). Das hat dann darüber hinaus auch für den Zeitraum der Gewahrsamnahme zu gelten, der dem möglichen Zeitpunkt der richterlichen Vorführung nachfolgt. Ein Verstoß gegen das Gebot der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung hat die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme ab diesem Zeitpunkt zur Folge und ist nicht heilbar (vgl. OLG Celle a.a.O.)“.

Der Verstoß gegen elementare Verfahrensgarantien wie das Unterlassen der unverzüglichen Einholung der richterlichen Entscheidung oder der unverzüglichen Anhörung stellen regelmäßig einen so schweren Verstoß dar, dass die Maßnahme von Anfang an unheilbar rechtswidrig ist (LG Aurich, B. v. 17.10.2005 – 1 T 323/05 – (InfAuslR 2006, 29 ff.), bei der die Rechtswidrigkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme von der Abholung an der Wohnung bis zum Verwahren in einer Arrestzelle am Flughafen - in Gänze - festgestellt wurde (vgl. hierzu auch OLG Celle, B. v. 20.09.2007 – 22 W 27/07 –.

Die Unterlassung der unverzüglichen Vorführung beim Richter oder die Unterlassung der unverzüglichen herbeizuführung der richterlichen Entscheidung durch den verantwortlichen Polizeibeamten, ist geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen. Die handelnden Beamten können sich auch nicht erfolgreich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen. Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte. Bei einem erfahrenen Polizeibeamten, der mit dem Vollzug von grundrechtsbeschränkenden Gesetzen betraut ist, liegt dies hinsichtlich der sich bereits aus dem Gesetz unzweifelhaft ergebenden Voraussetzungen gängiger Befugnisse zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie einer Freiheitsentziehung derart fern, dass schon die - allenfalls bei einem hier ersichtlich nicht gegebenen Vorliegen gänzlich außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende - Prüfung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht geboten war (BGH, U. v. 04.09.2014 - 4 StR 473/13 -, juris).

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Dabei gilt diese verfahrensmäßige Seite der grundrechtlichen Freiheitsverbürgung nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch bei Freiheitsentziehungen fürsorgerischer Art und bei sonstigen Freiheitsentziehungen (BGH, U. v. 04.09.2014 - 4 StR 473/13 -, juris).

Da alle freiheitsentziehenden Maßnahmen an der Verfassung gemessen werden müssen, ist es daher unerheblich, ob es sich um eine gefahrenabwehrende oder strafprozessuale Maßnahme handelt (BVerfG, B. v. 01.04.2008 – 2 BvR 1925/04 –; LG Lüneburg, B. v. 29.04.2010 – 2 T 17/10 –; LG Hamburg, B. v. 09.03.2009 – 604 Qs 03/09 – im Falle einer vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO).

icon LG Hamburg, B. v. 09.03.2009 – 604 Qs 03/09 –
icon LG Lüneburg, B. v. 29.04.2010 – 2 T 17/10 –

Ein nach § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO vorläufig Festgenommener ist unverzüglich dem Haftrichter vorzuführen, wobei „unverzüglich“ ebenfalls im Lichte von Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG dahingehend auszulegen ist, dass die richterliche Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, herbeigeführt werden muss. Denn die in § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO genannte Frist zur Vorführung spätestens am Tag nach der Festnahme, d. h. mit Ablauf des Kalendertages nach dem Tag der Festnahme, ist eine äußerste Frist.

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Dem verfassungsrechtlichen Gebot wird allerdings nicht schon dadurch Rechnung getragen, dass es lediglich ausreichen mag, wenn die zuständige Behörde die unverzügliche Entscheidung durch „Anhängigmachen“ beim zuständigen Gericht bewirkt. Die Auffassungen des OLG Frankfurt mit Bezug auf VGH Baden-Württemberg werden diesseits ausdrücklich nicht geteilt (so auch: AG Frankfurt/Main B. v. 16.11.2011 – 931 XIV 174/07 B –, Winkelmann, a.a.O.):

„Das Wort „unverzüglich“ schließt eine regelmäßige Ausschöpfung der Maximalfrist von vornherein aus, vielmehr ist die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachzuholen (BVerfG v. 07.09.2006, 2 BvR 129/04, Jurisdok, Abs.38 = InfAuslR 2006, 462 ff m.w.N.; KG, KGR Berlin 2003, 174 ff). In einem solchen Fall genügt die Polizei dem Gebot zur Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung grundsätzlich dadurch, dass sie die Sache beim zuständigen Amtsgericht anhängig macht, d.h. dem Gericht den Sachverhalt vorträgt mit der Bitte um Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams (VGH Baden-Württemberg, DÖV 2005, 165 ff)“;

OLG Frankfurt, B. v. 20.06.2007 – 20 W 391/06 – mit Bezug auf VGH Baden-Württemberg, U. v. 27.09.2004 – 1 S 2206/03 –.
In dem hier zitierten Fall muss zur Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots auch eine wirksame richterliche Entscheidung tatsächlich folgen, und nicht etwa nur telefonisch oder etwa am nächsten Tag. Das sah auch der VGH Baden-Württemberg in der oben erwähnten Entscheidung nicht anders:

„Soweit der Direktor des Amtsgerichts xxx das Absehen von einer richterlichen Entscheidung allerdings damit begründet haben sollte, dass die Polizei die rechtliche Möglichkeit habe, die betreffenden Personen bis zum Ende des 19.10.2000, 24.00 Uhr, in Gewahrsam zu halten, und er deshalb (erst) mit einer Einzelanhörung beginnen werde, wenn die Polizei im Laufe des nächsten Tages die Absicht äußere, den Gewahrsam aufrechtzuerhalten […], wäre diese Auffassung verfassungsrechtlich nicht haltbar.“

Der Umstand, dass eine richterliche Anhörung des Betroffenen am Tage der Gewahrsamnahme nicht erfolgt ist, weil der zuständige Haftrichter an diesem Tag von dem per Fax übersandten Antrag der Bundespolizei keine Kenntnis erlangt hat, ist nicht geeignet, die polizeiliche Ingewahrsamnahme des Betroffenen bis zum nächsten Tag ohne richterliche Entscheidung zu rechtfertigen, weil die Bundespolizei mit der bloßen Absendung des Antrags an das Gericht per Fax noch nicht alles Erforderliche getan hat, um im Sinne des § 40 Abs. 1 BPolG "unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen" (AG Frankfurt/Main B. v. 16.11.2011 – 931 XIV 174/07 B –, a.a.O.).
Es würde die Tragweite und Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt, indem die Inhaftierung des Beschwerdeführers unter Verkennung sowohl des Gebots eines schriftlichen und begründeten Beschlusses (nicht nur telefonischen „Beschlusses“; zur Frage des Schrifterfordernisses s. Kommentierung zum FamFG) als auch des Vorliegens eines Haftantrags als Voraussetzung der Anordnung einstweiliger Freiheitsentziehung für rechtmäßig erachtet werden würde (BVerfG, B. v. 01.04.2008 – 2 BvR 1925/04 –). Siehe dazu LG Osnabrück, B. v. 25.04.2005 – 11 T 311/05 –:

„Nach der im Vermerk niedergelegten Äußerung des diensthabenden Bereitschaftsrichters will er bei einem Telefonat mit dem BGS die weitere Freiheitsentziehung und die Vorführung des Betroffenen für den nächsten Tag angeordnet haben. Soweit der Amtsrichter hiermit eine einstweilige Anordnung nach § 11 FEVG erlassen wollte, wäre eine derartige Entscheidung nicht rechtswirksam, jedenfalls rechtswidrig, gewesen, da gemäß § 3 FEVG ein Antrag notwendig gewesen wäre, dieser lag aber nach dem Inhalt des angefochtenen Beschlusses noch nicht vor; der per Fax gestellte Antrag war dem Richter nicht bekannt, da an ein anderes Faxgerät gesendet. Außerdem wäre gemäß §§ 11 Abs. 2 i.V.m. 6 FEVG ein mit Gründen versehener Beschluss erforderlich gewesen.“

1.2.1 Bedeutung der so genannten „Kurzzeitklausel“

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Der Vorrang der richterlichen Entscheidungsherbeiführung darf nicht zu unvertretbaren, gerade vermeidbaren Zusatzbelastungen führen, die nur deshalb in der Freiheitsentziehung einer Person münden, weil die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung noch pflichtgemäß betrieben werden müsste, obwohl die Freilassung bereits angezeigt wäre. In diesen Fällen, in denen die Verlängerung der Freiheitsentziehung nur wegen der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedingt wird, kann ausnahmsweise von dieser abgesehen werden. Die Zeitspanne während dessen eine Entscheidung durch den zuständigen Richter üblicherweise (aber im Einklang mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG) ergehen würde, darf die Freiheitsentziehung somit nicht verlängern (vgl. z.B. § 40 Abs. 1 BPolG, § 163 c Abs. 1 Satz 2 StPO); s. auch schon KG Berlin, B. v. 11.04.1968 – 1 W X X B 2422/67 –; vgl. auch bestätigend LG Lüneburg, B. v. 18.02.2008 – 10 T 43/06 – zum „Kessel“ in Laase anlässlich des Castortransportes im November 2002.

„Bei dieser Sachlage erweist sich das Unterlassen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, zum damaligen Zeitpunkt durch die Prognose gerechtfertigt, dass die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung die Dauer des Gewahrsams aller Voraussicht nach verlängert hätte (§ 19 Abs. 1 Satz 2 NGefAG). Insbesondere mit Blick darauf, dass die herbeizuführende richterliche Entscheidung zur Gewährung rechtlichen Gehörs grundsätzlich die Anhörung sämtlicher (über 700) im Gewahrsam befindlicher Personen vorausgesetzt hätte, konnte die Polizei davon ausgehen, dass eine richterliche Entscheidung erst nach der im Anschluss an die Maßnahmen zur Identitätsfeststellung vorgesehene Freilassung ergehen könnte“.

Die Zeitspanne, die unter Beachtung der verfassungsmäßigen Grundsätze noch vertretbar erscheint, ist jeweils im Einzelfall zu bestimmen und hängt ganz maßgeblich von dem konkreten Fall und den Rahmenbedingungen ab. Es gibt daher keine "übliche Zeitspanne", schon gar keine feste Zeitspanne. Eine Dauer von bis zu 1 oder max. 2 Stunden kann unter Umständen vertretbar erscheinen (s. nachfolgend Nr. 1.2.2; OVG Sachsen, U. v. 24.11.2011 – 3 A 130/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.). Siehe hierzu auch Wagner in "Die Polizei", Heft 4/2014, S. 93, 94, der mit Bezug auf OVG Münster, NJW 1980, 138 (139) und VG Gera, U. v. 07.09.2005 - 1 K 2240/04 Ge 2-3 Stunden vonnöten hält, bis ein Richter über Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung entscheidet.

Die Kurzzeitklausel kann nicht bereits dann in Anspruch genommen werden, wenn die nach § 40 Abs. 2 Satz 2 BPolG i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG grundsätzlich vorgesehene persönliche Anhörung des Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung mangels Vernehmungsfähigkeit nicht durchgeführt werden kann und eine Prognose ergibt, dass die Anhörung erst erfolgen kann, wenn der Grund für den Gewahrsam wieder weggefallen ist. Denn nach § 40 Abs. 1 Halbs. 2 BPolG kommt es nicht darauf an, ob vor Beendigung des Gewahrsams voraussichtlich eine persönliche Anhörung durchgeführt werden kann, sondern darauf, ob eine richterliche Entscheidung über den Gewahrsam möglich ist. Wollte man die Vorschrift anders verstehen, liefe der Richtervorbehalt im Anwendungsbereich des Schutzgewahrsams nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BPolG bzw. Länder-PolG weitgehend leer, weil bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften der Betroffene häufig zugleich nicht vernehmungsfähig sein wird. Zur regelmäßig erforderlichen einstweiligen Anordnung s. § 427 FamFG i.V.m. § 420 FamFG (VGH Baden-Württemberg, B. v. 10.01.2012 – 1 S 2963/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.).

icon VGH Baden-Württemberg – 1 S 2963/11 – B. v. 10.01.2012

1.2.2 Geplante Freiheitsentziehungen

18

Konkret geplante Freiheitsentziehung müssen nach Maßgabe des Art. 104 GG ausnahmslos durch eine vorherige richterliche Entscheidung angeordnet sein (vgl. BVerfG, B. v. 07.05.2009 – 2 BvR 2367/07 –); vgl. auch Rn. 146.

icon BVerfG, B. v. 07.05.2009 – 2 BvR 2367/07 –

Zur Botschaftsvorführung:
Die Vorführung selbst stellte nur eine Freiheitsbeschränkung dar. Denn wie eine bloße Abschiebung ist sie als sekundäre Begleiterscheinung nicht auf eine Freiheitsentziehung gerichtet, sondern bildet die zwangsläufige Folge der Durchsetzung der Mitwirkungspflicht des Ausländers. Daher wird die Abschiebung, die wie die Vorführung ebenfalls durch Festhalten des Betroffenen und seiner zwangsweisen Verbringung auch in einem Kraftfahrzeug etwa zum Flughafen vorgenommen wird, von der Rechtsprechung nicht als Freiheitsentziehung qualifiziert, die unter den Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG fällt (vgl. BVerfG, B. v. 15.05.2002, NJW 2002, 3161; s. zur Entbehrlichkeit einer richterlichen Entscheidung nach OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 28.09.2012 – OVG 3 M 154.11 –, juris: KG, B. v. 30.09.2008, juris Rn. 11 ff; Heilbronner AuslR, 78. EL August 2012, § 82 Rn. 74 ff; a.A. OVG NRW, B. v. 28.11.2006, juris Rn. 14 ff; OVG Sachsen, U. v. 24.11.2011 – 3 A 130/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.). Insbesondere bedarf es nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VwVG keiner Androhung der Vorführung (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Plant die Ausländerbehörde zur Durchsetzung einer Anordnung nach § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG die zwangsweise Vorführung eines Ausländers vor dessen Auslandsvertretung, ist eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, wenn die Vorführung nach ihrem organisatorischen Ablauf mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist. Für eine solche Entscheidung stellen die §§ 82 Abs. 4 S. 3 AufenthG, 40 Abs. 1 BPolG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar (KG Berlin, B. v. 30.09.2008 – 1 W 225/07 – mit Bezug auf – 1 W 48/08 – v. 23.04.2008; VG Köln, B v. 24.03.2006 – 23 L 477/06 – und bestätigend OVG NRW, B. v. 24.03.2006 – 19 B 464/06 –). § 40 BPolG stellt keine Rechtsfolgen-, sondern eine Rechtsgrundverweisung, dar, die das Vorliegen einer - in dem Vollzugsersuchen nicht angeordneten - Freiheitsentziehung voraussetzt. Dazu OVG Köln in seiner Entscheidung vom 28.11.2006 – 19 B 1789/06 – (siehe dazu auch schon BayOblG – 3Z BR 1/01 – B. v. 11.04.2001, mit Verweis auf BayObLGZ 1993, 82; 1997, 276 u. 287 sowie BayObLGZ 1999, 24 m.w.N.; 2000, 220/221):

„Wegen der Verweisung in § 82 Abs. 4 Satz 3 AufenthG auf § 40 Abs. 1 BPolG steht die zwangsweise Vorführung von Gesetzes wegen unter Richtervorbehalt. Auf die Frage, ob es sich bei der zwangsweisen Vorführung um eine Freiheitsentziehung im verfassungsrechtlichen Sinne (Art. 104 Abs. 2 GG) oder um eine nur freiheitsbeschränkende Maßnahme handelt, kommt es dabei im Rahmen des § 40 Abs. 1 BPolG nicht an. Die Pflicht zur Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung entfällt ausnahmsweise, wenn die Voraussetzungen der sog. Kurzzeitklausel (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 2 BPolG; Anm: vgl. zuvor Rn. 17; auch: OVG Sachsen, U. v. 24.11.2011 – 3 A 130/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.) vorliegen, wenn also der Zeitaufwand für die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung größer wäre als der Zeitaufwand für die Durchführung der Maßnahme.“

Die Ingewahrsamnahme eines Ausländers zur Durchsetzung seines Erscheinens vor einer Behörde des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, kann auch im Zuge der Beschaffung eines Heimreisedokumentes für sein minderjähriges Kind erfolgen. Die zwangsweise Durchsetzung einer Anordnung nach § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG setzt jedoch voraus, dass dem Ausländer zuvor Gelegenheit gegeben worden ist, der Aufforderung zum Erscheinen vor einer Behörde des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, freiwillig nachzukommen. Danach ist es erforderlich, dass der Betroffene der Anordnung zum persönlichen Erscheinen vor der Botschaft nicht nachgekommen ist. Erst bei Vorliegen dieser Voraussetzung kann eine Vollstreckung erfolgen, bei der auch die allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsrechts beachtet werden müssen. Die Androhung der Botschaftsvorführung als Zwangsmittel gegen das mutmaßliche Nichterscheinen bei der Ausländerbehörde ist nicht zulässig. Erst wenn der Ausländer bei der Botschaft zum festgesetzten Termin nicht erschienen ist und sein Nichterscheinen auch nicht hinreichend entschuldigt hat, kann er mit den Mitteln des Verwaltungszwangs zum Erscheinen angehalten werden, was dann auch den zwangsweisen Transport zu diesem Termin beinhaltet (LG Cottbus, B. v. 27.01.2010 – 7 T 214/09 –, bei Winkelmann, a.a.O.). Dies dürfte insoweit gelten, als dass nicht schon vorher mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass der Ausländer bei der Botschaft nicht erscheinen wird, etwa im Falle einer eindeutigen und beharrlichen Weigerung. Nach dem Ende des Termins bei der Botschaft ist der mit § 82 Abs. 4 S. 2 AufenthG verfolgte Sicherungszweck entfallen. Die Anordnung des Gewahrsams und die tatsächlich erlittene Freiheitsentziehung für den Zeitraum nach der Beendigung des Termins bei der Botschaft ist wegen des Fehlens einer Rechtsgrundlage rechtswidrig. Mittels Freiheitsentziehung erzwungen werden kann daher ausschließlich das Erscheinen vor der ausländischen Vertretung, nicht die Teilnahme an der Rückfahrt von dort.

1.3. Beschleunigungsgebot

19

In Haftsachen müssen die beteiligten Behörden in jedem Zeitpunkt des Verfahrens mit der größtmöglichen zumutbaren Beschleunigung tätig sein. Dies folgt aus dem aus Art. 2 Abs. 2 S 2 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot, Freiheitsentziehungssachen vorrangig und beschleunigt zu bearbeiten (BVerfGE 46, 194, 195; 61, 28, 34, jew. m.w.N.), d.h. die Abschiebung ohne unnötige Verzögerungen vorzubereiten und durchzuführen (BayObLGZ 1991, 258, 260). Die aus dem Beschleunigungsgebot resultierenden Anforderungen an die Verfahrensführung erhöhen sich mit zunehmender Dauer der Haft, da der Freiheitsanspruch des Ausländers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Abschiebung immer mehr an Gewicht gewinnt, je länger die Haft vollzogen wird (vgl. BVerfG NVwZ 1996, Beilage 3, 17, 18, m.w.N.). In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass die Ausländerbehörde auch die Zeit zu nutzen hat, während der sich der Betroffene noch in Untersuchungshaft oder Strafhaft oder sonst in öffentlichem Gewahrsam befindet (vgl. BayObLGZ 2000, 203, 205, m.w.N.; OLG Karlsruhe in InfAuslR 2000, 234, 235). Die Pflicht zur beschleunigten Bearbeitung im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG beginnt bereits dann, wenn sich abzeichnet, dass Haft zur Durchsetzung der Abschiebung erforderlich werden könnte. Derartige Vorbereitungen haben unabhängig von einer etwaigen noch fehlenden Zustimmung der Staatsanwaltschaft (s. Rn. 94) mit einer Abschiebung gemäß § 74 Abs. 4 AufenthG zu erfolgen (vgl. OLG Köln JMBlNW 2004, 81 zu § 64 Abs. 3 AuslG); OLG Düsseldorf, B. v. 27.05.2005 – 13 Wx 127/05 –; BGH, B. v. 11.7.1996 – V ZB 14/96 – BGHZ 133, 235; BayObLG, B. v. 1.7.1991 – BReg. 3 Z 105/91 – BayObLGZ 1991, 258; B. v. 17.10.1994 – 3Z BR 286/94 – EZAR 048 Nr. 14; OLG Celle, B. v. 18.12.2003 – 17 W 105/03 – InfAuslR 2004, 118; OLG Frankfurt, B. v. 5.7.1995 – 20 W 279/95 – EZAR 048 Nr. 20; B. v. 22.1.1996 – 20 W 15/96 – NVwZ-Beil 1996, 39).
Die Gerichte müssen, wenn sie auf Grund eines Rechtsmittels oder eines Aufhebungsantrags mit einer nach § 62 Abs. 2 AufenthG erlassenen Haftanordnung befasst sind, stets prüfen, ob die Behörde die Zurück- oder Abschiebung des Ausländers ernstlich und mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt (vgl. Senat, B. v. 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1173 Rn. 21 und v. 18. August 2010 - V ZB 119/10, Rn. 18, juris); BGH, B. v. 07.04.2011 - V ZB 111/10 -

icon Unverzüglichkeit der richterlichen Entscheidung in Haftsachen.

Das Beschleunigungsgebot gilt auch für die Auf- und Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20f., 23f. Dublin III-Verordnung (VO (EU) Nr. 604/2013) und für die Verfahrensgarantien nach Art. 26f. der Verordnung in den für die Sachentscheidung über den von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat der Europäischen Union, wenn sich der Asylbewerber wegen verweigerter oder illegaler Einreise ausnahmsweise gem. Art. 28 Dublin-III-Verordnung in Haft befindet (zur derzeit außer Vollzug gesetzten "Überstellungshaft" s. Rn. 71f.). Versäumnisse des in der Bundesrepublik Deutschland für die Auf- und Wiederaufnahmeersuchen und die Modalitäten der Überstellung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylZBV zuständigen Bundesamts sind der für die Beantragung der Haft zuständigen Ausländerbehörde zuzurechen (Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 14 Rn. 95). Beruht die Nichteinhaltung der für Eilverfahren geltenden Fristen auch auf Versäumnissen des Bundesamts, ist auf einen Antrag des Betroffenen nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG die zur Sicherung der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union angeordnete Zurückschiebungshaft aufzuheben (BGH, a.a.O.).

20

Diese Pflicht ist nicht verletzt, wenn zunächst eine erforderliche ärztliche Behandlung abgewartet wird (BayObLG, B. v. 2.1.1997 – 3Z BR 360/96 – EZAR 048 Nr. 33).

21

Im Zuge der Planung und Durchführung von freiheitsentziehenden Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden ist organisatorisch alles materiell und personell Erforderliche zu veranlassen, damit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot ausreichend Rechnung getragen wird (SchlHOLG, B. v. 28.04.2003 – 2 W 207/02 –).
In Teilen a.A.: OLG Celle, B. v. 25.11.2004 – 16 W 136/04 –:

Notwendige Ermittlungsmaßnahmen und Einsatzbelastungen können die unverzügliche Einholung der richterlichen Entscheidung verzögern. Der Senat teilt insoweit nicht die Ansicht des OLG Schleswig, die Gerichte seien verpflichtet, durch Beweisaufnahme zu klären, ob die Identität eines Ausländers nicht einige Stunden schneller hätte festgestellt und damit seine Inhaftierung nicht einige Stunden hätte abgekürzt werden können, sofern keine Anhaltspunkte für Missbrauch vorliegen. Insoweit sieht der Senat auch keinen Anlass, diese Frage nach § 28 FGG dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Das OLG Schleswig hat in einem Fall entschieden, in dem die Festnahme auf § 127 StPO gestützt worden war. Die Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf diese Norm, um die es im vorliegenden Fall nicht geht [Anm.: Gewahrsamnahme]. Zudem scheidet eine Vorlage aus, wenn ein Gericht, wie hier der Senat, lediglich eine andere Rechtsmeinung äußert, die Entscheidung hierauf aber letztlich nicht stützt, sondern schon aus tatsächlichen Gründen anders entscheidet, als das andere Oberlandesgericht, dessen Rechtsauffassung es nicht teilt.“

Auch, wenn in diesem Einzelfall das OLG Celle keinen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz feststellte, bleibt jedoch festzuhalten, dass grundsätzlich alle Maßnahmen nach der erfolgten Freiheitsentziehung in der behördlichen Ablauforganisation so zu organisieren sind, dass die richterliche Entscheidung „unverzüglich“, dass heißt ohne Verzögerung aus sachlich gerechtfertigten Gründen nachgeholt werden kann. Haftsachen haben damit grundsätzlich „Vorfahrt“.

22

Auch in Bezug auf Großdemonstrationen mit mehreren tausend Protestteilnehmern, bei denen eine große Anzahl an Gewahrsamnahmen zu rechnen ist, führt in Bezug auf die Bewertung organisatorischer Vorkehrungen der verantwortlichen Behörden zu keiner anderen Betrachtung (LG Lüneburg, B. v. 24.07.2008 – 10 T 56/07 –).

23

Sicherheitsmaßnahmen anlässlich eines privaten Großereignisses wie der Fußballweltmeisterschaft können zwar polizeiliche Kräfte in einem Maße binden, dass andere polizeiliche Aufgaben in dieser Zeit nicht wahrgenommen werden können. Unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Verbürgung der persönlichen Freiheit kann dies aber nicht dazu führen, dass der Betroffene – in diesem Fall - weitere rund 40 Tage inhaftiert bleibt. Verwaltungshandeln, zu dessen effektiver Ausführung der Entzug der persönlichen Freiheit des Betroffenen angeordnet wird, unterliegt einem besonderen Beschleunigungsgebot, das sich an alle beteiligten Behörden richtet (LG Bonn, B. v. 30.05.2006 – 4 T 227/06 –).

24

Sofern die für eine Abschiebung in einen anderen Dublin-Staat erforderlichen Unterlagen 9 Tage nach der erfolgten Festnahme immer noch nicht an das DÜ-Referat übersandt wurden und nach den vom Gericht angestellten Ermittlungen in keiner Weise nachvollziehbar ist, warum dies noch nicht geschehen ist und auch nicht erkennbar ist, was die Behörde in dieser Zeit sonst unternommen hat, um das Verfahren zu beschleunigen und die freiheitsentziehende Maßnahme für den Betroffenen so kurz wie möglich zu halten, ist die Haft rechtswidrig (OLG Celle, B. v. 18.12.2003 – 17 W 105/03 –).

25

Eine Untätigkeitsbeschwerde (zum grundsätzlichen Rechtsschutzinteresse siehe Rn. 27; zum Rechtsschutz ausführlich unter Rn. 150 f.) ist nur dann als statthaft zu behandeln, wenn eine über das Normalmaß hinausgehende, den Parteien unzumutbare Verzögerung dargetan wird und die Untätigkeit des Gerichts sich bei objektiver Betrachtung als Verweigerung des Rechtsschutzes darstellt (vgl. OLG Zweibrücken, NJWRR 2003, 1653; OLG Bamberg, FamRZ 2003, 1310; OLG des Landes Sachsen-Anhalt vom 11.10.2005 und vom 1.11.2005, beide OLGR Naumburg 2006, 408; ebenso Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 565 Rn. 21 für das Verfahren nach der ZPO; anders noch OLG Stuttgart vom 20.01.1998, FamRZ 1998, 1128).
Wendet sich ein in einem Abschiebungsverfahren Inhaftierter mit seiner rechtzeitig eingelegten Erstbeschwerde gegen die für drei Monate angeordnete Abschiebungshaft und erlässt das Beschwerdegericht erst über vier Monate später eine Entscheidung, nachdem die Befristung der Haft abgelaufen und der Betroffene in sein Heimatland abgeschoben worden ist, so stellt sich die mehrere Monate andauernde Untätigkeit der Zivilkammer als Verweigerung des Rechtsschutzes dar und begründet die Statthaftigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde (OLG Köln, B. v. 29.01.2007 – 16 Wx 267/03 –).

26

Sind Auslandsbehörden für Verzögerungen verantwortlich, ist dies zwar nicht der Ausländerbehörde zuzurechnen (SchlHOLG, B. v. 7.1.2004 – 2 W 112/03 – In-fAuslR 2004, 167). Diese muss sich aber darauf einstellen, falls solche Verzögerungen üblich sind, und z.B. selbst beurteilen, ob die Fristen von drei und sechs Monaten einzuhalten sind (dazu auch Heinhold, ZAR 2004, 185). Organisatorisch vermeidbare Verzögerungen, etwa in der Zusammenarbeit verschiedener Behörden bei der Passersatzbeschaffung (hierzu siehe vertiefend Rn. 101 f.), können eine objektiv unnötige Haftverlängerung nicht rechtfertigen. Die federführende Ausländerbehörde als verantwortliche Herrin des Abschiebungsverfahrens muss sich deshalb Verzögerungen zurechnen lassen, die auf das Verhalten anderer beteiligter deutscher Behörden zurückgehen, deren Amtshilfe sie sich bei der Aufenthaltsbeendigung des Betroffenen bedient. Auf Dysfunktionen in der Zusammenarbeit von inländischen Behörden zurückgehende Verzögerungen bei der Vorbereitung der Abschiebung fallen jedenfalls nicht in den Risikobereich des inhaftierten Betroffenen und dürfen, weil er sie nicht zu vertreten hat, diesem nicht zum Nachteil gereichen (OLG Zweibrücken, B. v. 03.07.2006 – 3 W 109/06 –).

1.4 Rechtsschutzinteresse bei Freiheitsentziehungen

27

Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es grundsätzlich auch vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem vorhandenen und fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen (vgl. BVerfGE 96, 27; 104, 220). Ein solches Rechtsschutzinteresse ist zu bejahen, solange der Rechtsschutzsuchende gegenwärtig betroffen ist und mit seinem Rechtsmittel ein konkretes praktisches Ziel erreichen kann. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann jedoch ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Dies ist der Fall bei Bestehen einer Wiederholungsgefahr oder einer fortwirkenden Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff (vgl. BVerfGE 96, 27). Darüber hinaus kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe in Betracht. Hierunter fallen vornehmlich solche, die schon das Grundgesetz - wie etwa in dem Fall des Art. 104 Abs. 2 und 3 GG - unter Richtervorbehalt gestellt hat. Bei derart schwerwiegenden Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse unter anderem in Fällen angenommen, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung eröffneten Instanz kaum erlangen kann (vgl. BVerfGE 104, 220 m.w.N.). Siehe dazu auch schon BayOblG, B. v. 11.04.2001 – 3Z BR 1/01 – mit Verweis auf BayObLGZ 1993, 82; 1997, 276 und 287 und BayObLGZ 1999, 24 m.w.N.; 2000, 220/221, das insbesondere zur Bedeutung der Verhältnismäßigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges ausführt).
Das Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit erledigter grundrechtsrelevanter Maßnahmen kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bei einem an sich unbefristeten Antrag entfallen, wenn die verspätete Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt (vgl. BVerfG NStZ 2009, 166).
Zudem kann sich die Frage der Rechtswegzuweisung bei der nachträglichen Überprüfung einer behördlichen Freiheitsentziehung stellen. Einerseits ist in Freiheitsentziehungsangelegenheiten durchgängig die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen worden (vgl. § 23a GVG). Andererseits kann zugleich das Bedürfnis bestehen, z.B. die Art und Weise der Durchführung einer Freiheitsentziehung zu überprüfen, welches grds. (auch) die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte begründet (vgl. § 40 I VwGO:

Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden).

Die Frage der Anordnung einer Freiheitsentziehung und deren Vollzug sind indes grds. voneinander zu unterscheiden. So kann die Anordnung einer Freiheitsentziehung durchaus rechtmäßig sein, während etwa eine einzelne Maßnahme während des Vollzuges, die zum Zeitpunkt der Freiheitsentziehung nicht notwendigerweise vorhersehbar ist, sich als rechtswidrig erweisen kann, ohne dass von einem Durchschlagen dieses Mangels auf die Freiheitsentziehung als solche ausgegangen werden muss (vgl. BVerfG, B. v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 –, bei Winkelmann, a.a.O.; OLG Celle, B. v. 23.06.2005 – 22 W 32/05 –; B. v. 25.10.2004 – 16 W 145/04 –, Nds.Rpfl 2004, S. 348).

icon Unverzüglichkeit der richterlichen Entscheidung in Haftsachen

Jedenfalls muss im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte kraft Sachzusammenhangs auch für die Überprüfung des Vollzuges einer Freiheitsentziehung angenommen werden (BayVGH, U. v. 25.10.1988 – 21 B 88.01491 –, NJW 1989, S. 1754 f.: inzident auch für die inkludierte Durchsuchungsmaßnahme; BGH, B. v. 7.12.1998 – 5 AR (VS) 2/98 –, NStZ 1999, S. 200 ; B. v. 5.08.1998, – 5 ARs (VS) 2/98 –, NStZ 1999, S. 151 f.; B. v. 25.08.1999 – 5 AR (VS) 1/99 –, NJW 1999, S. 3499 f. für die Eröffnung des Beschwerdeweges bei der Durchsuchung von § 105 Abs. 1 StPO über § 98 Abs. 2 S. 2 StPO). Schließlich hat auch das BVerwG im Zusammenhang mit einer behördlich angeordneten Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Durchführung einer Abschiebung entschieden, es entspreche im Hinblick auf Art. 19 Ab. 4 GG einer sinnvollen Ordnung der Rechtswege, dass über einen einheitlichen Lebenssachverhalt möglichst nur in einem Rechtsweg entschieden werde (BVerwG, U. v. 23.06.1981 – 1 C 93/76 –, NJW 1982, S. 536 f.). So entschied der VGH Baden-Württemberg (VGH Baden-Württemberg, B. v. 10.01.2012 – 1 S 2963/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.) in einem PKH-Verfahren inzident auch über die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Freiheitsentziehung in Bezug auf die unverzügliche Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nach § 40 Abs. 1 BPolG i.V.m. FamFG.

icon VGH Baden-Württemberg – 1 S 2963/11 – B. v. 10.01.2012

28

Eine sofortige Beschwerde der Ausländerbehörde, die nur noch mit dem Ziel verfolgt wird, festzustellen, dass ein - inzwischen freiwillig ausgereister - Ausländer in Abschiebungshaft zu nehmen gewesen wäre, ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses (Feststellungsinteresses) unzulässig (LG Frankenthal, B. v. 30.03.2007 – 1 T 110/07 –). Siehe zum „Effektiven Rechtsschutz“ umfassend bei Winkelmann, MNet.

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