Nachrichten Rechtsprechung

Der Versicherungskaufmann

Andreas G.

wurde zum Schleuser

Der Angeklagte ist Versicherungskaufmann und Alkoholiker. Der Alkohol hat ihn eines Tages um seinen gelernten Beruf gebracht, nicht aber um seinen Ehrgeiz. Andreas G. stieß zu einem Menschenhändlerring, und statt Versicherungen zu verkaufen, fuhr er nun nach Polen und pries jungen Frauen ein Leben im goldenen Westen an. Dass es mit Prostitution und Illegalität zu tun haben würde, erwähnte er nicht, das war Teil seines Jobs. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn nun wegen Schleusens zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren.

Es gibt Angeklagte, die ein so bedauernswertes Leben haben, dass es selbst nach einer Verurteilung nur mehr aufwärts gehen kann. Svetla A., 27 Jahre alt und aus Bulgarien, ist so ein Fall. Vor dem Berliner Amtsgericht wird sie wegen schweren Menschenhandels in Tateinheit mit Zuhälterei verurteilt, doch als ihr die Dolmetscherin das Urteil übersetzt, braucht sie zum ersten Mal an diesem Tag kein Taschentuch. "Ich möchte so schnell wie möglich nach Bulgarien zurückkehren", sagt Svetla A. Sie lächelt sogar ein wenig. Wie verzweifelt muss man sein, um in Bulgarien die letzte Rettung zu sehen? (Hier finden Sie Gerichtsreportagen von Verena Mayer Gerichtsreportagen von Verena Mayer!)

 

Als Katharina vom Chauffeur und von den Pelzen hörte, konnte es ihr nicht schnell genug gehen, als Callgirl in Deutschland zu arbeiten. Katharina lebte bei ihrem Großvater, und alles, was sie von der Welt kannte, war die ukrainische Kleinstadt, in der sie als Kellnerin arbeitete. Eines Tages kam eine Bekannte in der Kneipe vorbei und fragte sie, wie lange sie denn noch Aschenbecher abräumen wolle. ?Stell dir vor?, sagte die Frau, ?du kommst im Nerzmantel aus dem Hotel, und draußen wartet ein Mann mit einem teuren Auto.? Katharina hatte noch nie Sex gehabt, und sie dachte, es würde sein wie in ihren ?märchenhaften Träumen?. Beim ersten Freier, den sie in Berlin hatte, war der Traum aus. (Die Namen der Beteiligten wurden geändert.)

Das Erste, was der Angeklagte macht, ist eine Verbeugung. Eine Verbeugung zur Richterbank hin, und dann noch eine ganz tiefe zu seiner Dolmetscherin. Der Angeklagte ist Chinese. Er hat einen Vornamen, den der Richter nicht aussprechen kann, und ist Student eines Faches, das der Richter nicht kennt. "Global Production Engineering", sagt der Chinese. "So etwas wie Maschinenbau, Automatisierung und Fertigung", übersetzt die Dolmetscherin. "'Student' reicht für das Protokoll", sagt der Richter unwirsch. Der Chinese deutet eine Verbeugung an und lächelt. Er ist ein höflicher Mensch. Nur einmal war er kurz wütend, und deswegen steht er jetzt vor Gericht. Er soll einer Polizistin den Mittelfinger gezeigt haben.(immer Mittwochs: Gerichtsreportagen von Verena Mayer!)

Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Beschlüssen vom 6. Juli 2004, die jetzt bekannt gegeben wurden, entschieden, dass der Ausschluss der Inhaber von Aufenthaltsbefugnissen in den 1990er Jahren verfassungswidrig war. Sowohl § 1 Abs. 1 a Bundeserziehungsgeldgesetz in der Fassung von 1993 als auch § 1 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz in der Fassung von 1993 waren mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vereinbar, weil sie den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis zwingend voraussetzten (6.7.2004 1 BvR 2515/95 und 1 BvL 40/97 u.a.; Volltext demnächst in EZAR nF 78 Nr. 1 und 2; Anm. Renner demn. in ZAR 2005, 30).

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