Nachrichten Rechtsprechung

In wohl einem der letzten Verfahren zum Verfahrensrecht bei Abschiebehaft nach dem FGG stellt das OLG Celle klar:

 

  1. Die Amtsermittlungspflicht nach § 12 FGG im Beschwerdeverfahren bezieht sich auch auf Entscheidungen, die letztlich auf formalen bzw. prozessualen Gründen beruhen.
  2. Der Fristenlauf für die sofortige Beschwerde beginnt erst mit ordnungsgemäßer Bekanntgabe nach § 22 I FGG, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers und Aushändigung einer Abschrift der Entscheidung unter Beifügen einer Rechtsmittelbelehrung auf Wunsch.
  3. Die Bekanntgabepflicht obliegt nur dem Richter.

Die Kommentierung bezieht sich auch vergleichend auf das neue FamFG.

Zur Entscheidung im Portal: hier

  1. Zur Rechtswidrigkeit der Überstellung eines Asylsuchenden nach Griechenland.

  2. Zum Anspruch eines Asylsuchenden auf Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland in ein Asylverfahren nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG/Nr. 343/2003). (Bestätigung VG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A (3), NVwZ 2009, 1176 = AuAS 2009, 189 = InfAuslR 2009, 406).

In dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob § 62 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als die Gewährung von Kindergeld im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren noch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird, hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 6. November 2009 (BVerfG – 2 BvL 4/07) entschieden, dass die Vorlage unzulässig ist. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine ivorischen Staatsangehörige, zog 1999 nach der Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen nach Deutschland. In der Folge trennte sie sich von ihrem Ehegatten. Im Jahr 2002 zog der 1988 in Côte d' Ivoire geborene Sohn zur Klägerin. Im November 2002 wurde die Klägerin ausgewiesen. Ihr wurde eine Duldung erteilt, die zunächst bis September 2003 verlängert wurde. Die zuständige Behörde lehnte den Antrag auf Bewilligung von Kindergeld für ihren Sohn ab. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage. Das Finanzgericht Köln hat in diesem Verfahren betreffend den Bewilligungszeitraum ab Januar 2005 dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob es mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist, dass vollziehbar ausreisepflichtige, seit längerer Zeit geduldete Ausländer nach § 62 Abs. 2 EStG von der Kindergeldgewährung ausgeschlossen sind. Auch eine Duldung könne eine Vorstufe zum Daueraufenthalt sein, wie der Fall der Klägerin zeige. Die Vorgängerregelung zu § 62 Abs. 2 EStG, § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2353), wurde mit Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2004 (BVerfGE 111, 160) für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Die Regelung knüpfte den Kindergeldanspruch für Ausländer an den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis, schloss aber Inhaber von Aufenthaltsbefugnissen, einem in erster Linie aus humanitären Gründen zu erteilenden Aufenthaltstitel, aus. Die daraufhin mit § 62 Abs. 2 EStG (Gesetz vom 13. Dezember 2006 [BGBl. I S. 2915]) ergangene, auch im Falle der Klägerin anwendbare Neuregelung des Kindergeldanspruchs für Ausländer gewährt nun im Wesentlichen neben gemeinschaftsrechtlich Freizügigkeitsberechtigten denjenigen Ausländern einen Kindergeldanspruch, die über eine Niederlassungserlaubnis verfügen oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, die zur Erwerbstätigkeit berechtigt. Handelt es sich dabei um eine Aufenthaltserlaubnis, die aus humanitären Gründen erteilt worden ist (§§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG), muss sich der Ausländer seit mindestens drei Jahren wenigstens geduldet in Deutschland aufgehalten haben und erwerbstätig sein oder Leistungen nach dem Dritten Buch des SGB oder Elterngeld beziehen, um einen Anspruch auf Kindergeld zu haben. Personen, deren Aufenthalt im Bundesgebiet nur geduldet ist, sind vom Kindergeldanspruch ausgeschlossen.
Die 1. Kammer des Zweiten Senats entschied, dass die Vorlage des Finanzgerichts Köln unzulässig ist, weil das Gericht im Vorlagebeschluss die Entscheidungserheblichkeit der Verfassungsmäßigkeit von § 62 Abs. 2 EStG nicht ausreichend dargelegt hat. So hat das Finanzgericht den Aufenthaltsstatus der Klägerin für den Zeitraum ab Januar 2005 nicht ermittelt, obwohl dieser für die Sachentscheidung über den Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG entscheidend ist. Außerdem hat das Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 62 Abs. 2 EStG nicht hinreichend dargelegt. Es hat nicht mitgeteilt, aufgrund welcher Tatsachengrundlage es zu dem von ihm für gleichheitswidrig angesehenen Ergebnis gelangt ist, dass dann, wenn sich der gestattete oder geduldete Aufenthalt im Inland auf einen Zeitraum von drei oder mehr Jahren erstreckt und Kinder „vorhanden sind“, davon auszugehen sei, dass der Betreffende faktisch auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden könne und somit die Duldung in diesen Fällen die Vorstufe zum Daueraufenthalt darstelle. Quelle: Pressemitteilung Nr. 132/2009 des BVerfG vom 20. November 2009

Zum Download der Entscheidung

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 22. Oktober 2009 (1 C 18.08 und 1 C 26.08) entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Ausländer gegenüber der Verwaltung die Rücknahme einer Ausweisung verlangen kann, wenn diese ohne Erfolg gerichtlich angefochten worden war, sich nach Änderung der Rechtsprechung inzwischen aber als rechtswidrig erweist.

Die Entscheidungen betreffen einen italienischen und einen türkischen Staatsangehörigen. Beide Kläger sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie wurden 1997 bzw. 2002 ausgewiesen, nachdem sie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. Die gegen die Ausweisungen erhobenen Klagen wurden vom Verwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesen. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht in Umsetzung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im August 2004 die Anforderungen an die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter EU-Bürger und assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger verschärft hatte, beantragten die Kläger die Rücknahme der gegen sie verfügten Ausweisungen. Diese seien bei Zugrundelegung der neuen Maßstäbe rechtswidrig. Die Anträge wurden von der Ausländerbehörde abgelehnt. Die hiergegen erhobenen Klagen hatten vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg keinen Erfolg. Die Wirkungen der Ausweisungen wurden inzwischen in beiden Fällen befristet, so dass für die Kläger das mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht mehr besteht.

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ist in beiden Verfahren den Entscheidungen der Vorinstanzen gefolgt. Bei der Rücknahme einer gerichtlich bestätigten Ausweisung ist § 121 VwGO zu beachten. Diese Vorschrift löst den Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Rechtsfrieden einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits dahin, dass ein rechtskräftiges Urteil ungeachtet der materiellen Rechtslage für die Beteiligten bindend ist. Diese Bindung kann nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden. So wenn der Betroffene einen Rechtsanspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die Behörde das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgreift. Die Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den EuGH und eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellen von Rechts wegen keinen zwingenden Wiederaufnahmegrund nach dem hier maßgeblichen Verwaltungsverfahrensgesetz dar. Die Behörde war auch nicht verpflichtet, die Verfahren nach Ermessen wieder aufzugreifen. Zwar kann sich dieses Ermessen zu Gunsten des Betroffenen im Ausnahmefall zu einem Anspruch verdichten. Dies beispielsweise, wenn die Aufrechterhaltung der Ausweisung wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit schlechthin unerträglich oder wenn die Überprüfung des Verwaltungsaktes aus Gründen des europäischen Gemeinschaftsrechts geboten ist. Beides lag hier nicht vor. Die Ausländerbehörde hatte es in beiden Verfahren ermessensfehlerfrei abgelehnt, das Verfahren wieder aufzugreifen, so dass die Revisionen erfolglos blieben.

Quelle: Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts

Seite 107 von 149