Zweck der Haft ist es, der Behörde die notwendige Zeit einzuräumen, die plant, die Ausreisepflicht durch Erlass einer Ausweisungsverfügung zu begründen (Beichel-Benedetti in: Huber, AufenthG, § 62, Rn. 5). Vorbereitungshaft ist nur statthaft, falls eine Ausweisung beabsichtigt ist. Zur Zurückschiebungshaft als Sicherungshaft in analoger Anwendung s. § 57, Rn. 15). Die von der Behörde beabsichtigte Ausweisung muss hinreichend sicher sein; es müssen konkrete Umstände vorliegen, die den Erlass einer Ausweisungsverfügung mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Diese Voraussetzungen liegen dann nicht vor, wenn mit einer Ausweisungsverfügung nämlich grundsätzlich gar nicht zu rechnen ist, weil der Ausländer bereits wegen unerlaubter Einreise nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes vollziehbar ausreisepflichtig ist. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die Behörde - wie hier - in ihrem Haftantrag und danach auf die gesetzliche Ausreisepflicht des Betroffenen nach unerlaubter Einreise (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 AufenthG) beruft und auch keine (neue) Ausweisungsverfügung ankündigt (BGH, B. v. 12.07.2013 – V ZB 92/12 –, juris). Daher ist die Vorbereitungshaft bei Fällen der Zurückschiebung nicht anwendbar. Die Abschiebung nach einer anderen aufenthaltsbeendenden Maßnahme, z.B. der Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels, darf nicht durch Haft im Vorhinein gesichert werden. Die Ausweisung darf noch nicht ausgesprochen sein, sie muss aber hinreichend sicher bevorstehen (OLG München, B. v. 16.11.2005 – 34 Wx 147/05 –; BGH, B. v. 09.02.2012 – V ZB 305/10 –, Winkelmann, a.a.O.).
OLG München – 34 Wx 147/05 – B. v. 16.11.2005
BGH – V ZB 305/11 – B. v. 09.02.2012
Ausreisepflicht ist nicht verlangt (anders bei Sicherungshaft); dazu Rn. 32 ff. Der Vorbereitungshaft steht ein Aufenthaltsrecht nicht entgegen, zumal es infolge der Ausweisung erlischt (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG); zum fiktiven Aufenthaltsrecht KG, B. v. 24.9.1985 – 1 W XX B 4148/85 – InfAuslR 1986, 66. Über die Ausweisung kann nicht sofort entschieden werden, wenn dazu noch Ermittlungen oder eine Anhörung des Ausländers erforderlich sind, die mehr als nur wenige Stunden in Anspruch nehmen. Ergeht die Ausweisungsverfügung während der Vorbereitungshaft, bedarf es keiner erneuten Gerichtsentscheidung, es sei denn, die angeordnete Haftdauer ist abgelaufen. Es kann also nach Erlass der Ausweisung von der Vorbereitungs- zur Sicherungshaft übergegangen werden (so zu § 16 AuslG-1965 bereits BGH, B. v. 6.12.1979 – VII ZB 11/79 – BGHZ 75, 375; zur Berechnung der Haftdauer Rn. 31, 92).
§ 62 Abs. 2 AufenthG lässt die Anordnung von Vorbereitungshaft nicht zu, wenn es allein an der für die Vollstreckung der Abschiebung des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers erforderlichen Androhung nach § 59 AufenthG fehlt und daher (noch) keine Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG angeordnet werden kann (BGH, B. v. 12.07.2013 – V ZB 92/12 –, juris). Zur Erforderlichkeit der Rückkehrentscheidung für die Anordnung der Sicherungshaft s. unter § 417 FamFG Rn.8.
Ob wesentliche Erschwerung oder Vereitelung der Abschiebung angenommen werden können, ist anhand konkreter Verdachtsmomente festzustellen. Die für die Notwendigkeit der Abschiebung sprechenden Gründe allein reichen grundsätzlich nicht aus. Freilich werden im Einzelfall, insbesondere bei Überwachungsbedürftigkeit (§ 58 AufenthG), die maßgeblichen Überlegungen für die Vorbereitungshaft ebenso zutreffen wie für die Abschiebung selbst. Erforderlichkeit der Haft setzt die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung innerhalb der höchstens zulässigen Haftdauer voraus. Kann die Abschiebung erst nach Ablauf der allenfalls in Betracht kommenden Haftdauer erfolgen, kommt Vorbereitungshaft schon im Hinblick auf deren Zweck nicht in Betracht. Feststellungen der Ausländerbehörde zur Abschiebbarkeit im Rahmen des § 60 a Abs. 2 AufenthG binden den Haftrichter nicht, weil diese keine Rücksicht auf eine bestimmte Zeitgrenze zu nehmen haben.
Die Dauer der Vorbereitungshaft ist i.d.R. auf sechs Wochen begrenzt. Sie darf nur ausnahmsweise darüber hinaus verlängert werden, wenn sich der Erlass aus besonderen nicht vorhersehbaren Gründen verzögert. Ist die Überschreitung der regulären Höchstdauer von vornherein absehbar, kommt Vorbereitungshaft i.d.R. von Anfang an nicht in Betracht; es wäre unverhältnismäßig, die Freiheitsentziehung sofort auf eine längere Dauer festzulegen (BGH, B. v. 09.02.2012 – V ZB 305/10, Rn. 14 –; BGH, B. v. 12.07.2013 – V ZB 92/12 –, juris). Beim Übergang in Sicherungshaft ist die bereits zurückgelegte Zeit in die Berechnung der Höchstdauer von sechs Monaten einzubeziehen. Bei deren Berechnung ist außerdem zu beachten (vgl. Rn. 92), dass Untersuchungs- oder Strafhaft die Abschiebungshaft unterbrechen (Vorrang strafprozessualer Haft). Befindet sich der Ausländer bereits in Haft, wird diese fortgesetzt und Abschiebungshaft im Anschluss daran angeordnet (Überhaft, Rn. 115).
Sicherungshaft setzt im Grundsatz zweierlei voraus: Ausreisepflicht und Gefahr der Vereitelung der Abschiebung. Die Regelungen des § 62 Abs. 3 S. 1 AufenthG würden auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen, wenn die Abschiebehaft auch dann zwingend angeordnet werden müsste, wenn dies - ausnahmsweise - zur Sicherung der Abschiebung, jedenfalls im angeordneten zeitlichen Umfang - gar nicht erforderlich wäre; denn § 62 Abs. 3 AufenthG sieht in allen tatbestandlichen Alternativen der Nummern 1 - 5 die Abschiebungshaftanordnung als Mittel "zur Sicherung der Abschiebung" vor (OLG Braunschweig, B. v. 13.02.2009 – 6 W 2/09 –). Das gilt, wenn die Abschiebung eines Betroffenen nicht durchgeführt werden, weil der Antragsteller - aus welchen Gründen auch immer - das Verfahren nicht angemessen fördern kann (s. u. Rn. 95 f.). Außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Feststellung der Haftvoraussetzungen wie bei der Dauer der Haft zu beachten. Abschiebungshaft ist nicht erforderlich, wenn schon die Anwendung unmittelbaren Zwangs genügte, um dem erwarteten Widerstand gegen die Abschiebung wirksam zu begegnen. Sie ist nur verhältnismäßig, wenn die Ausländerbehörde die Abschiebung mit größtmöglicher Beschleunigung (s.o. Rn. 19 f.) betreibt. Es verstößt gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wenn Abschiebungshaft aufgrund bloßer Tatbestandserfüllung angeordnet wird, obwohl sich der Ausländer offensichtlich nicht der Abschiebung entziehen will (BVerfG-K, B. v. 13.7.1994 – 2 BvL 12/93 ua – EZAR 048 Nr. 13). Zudem gebietet dieser Grundsatz eine Interessenabwägung und ein Absehen von der Sicherungshaft, wenn die Abschiebung nicht durchführbar ist (BVerfG-K, B. v. 28.11.1995 – 2 BvR 91/95 – EZAR 048 Nr. 23).
Bei Minderjährigen (s. Rn. 84 f.) bedarf es der sorgfältigen Prüfung milderer Mittel (Heinhold, ZAR 2004, 185). In Betracht kommen Meldeauflagen, Unterbringung im Heim oder räumliche Beschränkungen (vgl. OLG Köln, B. v. 5.2.2003 – 16 Wx 247/02 – NVwZ-Beil 2003, 48; B. v. 11.9.2002 – 16 Wx 164/02 – NVwZ-Beil 2003, 64). Außerdem ist bei Kindern und Jugendlichen das Beschleunigungsgebot (s.o. Rn. 19 f.) besonders erst zu nehmen (BayObLG, B. v. 7.7.2000 – 3Z BR 197/00 – EZAR 048 Nr. 50).
Worauf die Ausreisepflicht beruht, ist gleichgültig; sie kann auf eine Ausweisung oder auf einen sonstigen Umstand zurückgehen, der den Aufenthalt unrechtmäßig sein oder werden lässt (§ 50 AufenthG). Die Ausreisepflicht muss vollziehbar (§ 58 Abs. 2 AufenthG) sein; die Abschiebung muss nicht angedroht (§ 59 Abs. 1 AufenthG) sein. Das Verhältnis von Ausreisepflicht und Haftgründen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Ausreisepflicht nur in Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ausdrücklich erwähnt wird, aber auch den anderen Gründen konkludent zugrunde liegt. Das Merkmal der Ausreisepflichtigkeit war schon in § 16 Abs. 2 AuslG-1965 nicht ausdrücklich enthalten. Es ergab sich nur mittelbar aus dem Merkmal der Erforderlichkeit der Haft und dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (dazu noch BGH, B. v. 6.12.1979 – VII ZB 11/79 – BGHZ 75, 375). Die Ausreisepflichtigkeit des Ausländers war schon vom Haftrichter zu prüfen und festzustellen. Dagegen verlangte das Gesetz nicht die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht und den Erlass einer Abschiebungsandrohung (KG, B. v. 22.3.1983 – 1 W XX B 890/83 – EZAR 135 Nr. 4) oder den Ablauf der Ausreisefrist (a.A. OLG Frankfurt, B. v. 14.1.1998 – 20 W 11/88 – EZAR 135 Nr. 9). Ein Anspruch auf Duldung oder deren Erlass beseitigten nicht die Ausreisepflicht.
Bis 1992 war der Grund für die Anordnung der Sicherungshaft in einer einzigen Klausel umschrieben, und zwar dahin, dass "ein ausreisepflichtiger Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen ist, wenn der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will". Durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26.06.1992 (BGBl. I 1126 ff) wurde in der genannten Klausel das Wort "ausreisepflichtiger" gestrichen (ohne zu erläutern, weshalb). Außerdem wurden die jetzigen Haftgründe Nr. 1 bis Nr. 4 hinzugefügt. Schließlich wurde die fakultative (kleine) Sicherungshaft nach (ehemals) § 57 Abs. 2 Satz 2 eingeführt (heute § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG); die ursprüngliche Haftdauer von 1 Woche ist später auf 2 Wochen erweitert worden.
Nach der Begründung sollte durch die Neuregelung die Anordnung der Sicherungshaft erleichtert werden. Außerdem heißt es in der Begründung, dass in Satz 1 zwingende Haftgründe geregelt seien, bei deren Vorliegen Abschiebungshaft angeordnet werden müsse, sofern die Haft nicht nach Satz 3 unzulässig sei.
Nach der Einführung bestand längere Zeit Unsicherheit, ob es für die Haft tatsächlich ausreicht, wenn die neuen Tatbestände (Nr. 1 bis Nr. 4) ihrem Wortlaut nach erfüllt sind, ohne hinterfragen zu dürfen, weshalb z.B. im Falle des Nr. 2 die Ausländerbehörde über den Wechsel des Aufenthaltsorts nicht informiert wurde. Es ging dabei insbesondere um Fälle, in denen der Betroffene die Mitteilung einfach vergessen hatte oder nur das Einwohnermeldeamt (statt die Ausländerbehörde) unterrichtet hatte oder in denen der Betroffene überhaupt nicht wusste oder damit rechnen konnte, dass gegen ihn eine Abschiebung betrieben wird, oder in denen zwar einmal die Meldung eines Wohnsitzwechsels unterlassen worden war, der Ausländer in der Folgezeit aber wieder Kontakt zur Ausländerbehörde aufgenommen hatte. Eine Klärung hat dann die Entscheidung des BVerfG vom 13.07.1994 (InfAuslR 1994, 342 ff) gebracht, in der es u.a. wörtlich wie folgt heißt:
„Die Regelung des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG stieße indes auf verfassungsrechtliche Bedenken, sofern nach ihr Abschiebungshaft auch dann zwingend angeordnet werden müsste, wenn dies – ausnahmsweise – zur Sicherung der Abschiebung nichts beitragen kann.“
§ 57 Abs. 2 AuslG sah in allen tatbestandlichen Alternativen der Nr. 1 – 5 die Abschiebungshaftanordnung als Mittel "zur Sicherung der Abschiebung" vor. Wollte sich der Ausländer im Einzelfall offensichtlich nicht der Abschiebung entziehen, erschient allein die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale der Nr. 1 – 5 des § 57 Abs. 2 AuslG nach dem – hier in der Benennung des Haftzwecks zum Ausdruck gebrachten – verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend, um zwingend die Rechtsfolge der Anordnung der Sicherungshaft auszulösen.
Soweit behauptet wird, es gelte zwar grundsätzlich für die Anordnung von Abschiebehaft, dass ihr vorrangiger Zweck allein die Sicherung der anstehenden Abschiebung sei, es könne aber von dieser Regel bei Vorliegen besonderer Umstände abgewichen werden, wird mit dieser Auslegung § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine Normstruktur gegeben, die in der Vorschrift nicht angelegt ist und für die es bei einer systematischen Betrachtung des Aufenthaltsgesetzes keinen Anhalt gibt (vgl. z.B. § 53, § 54 AufenthG zu Ist- und Regelausweisung). Darin liegt zugleich ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, weil die in dieser Verfassungsvorschrift geforderte strikte Gesetzesbindung jeglicher Freiheitsentziehung zugunsten der Möglichkeit aufgegeben wird, bei besonderen Umständen eine Freiheitsentziehung auch aus anderen als den im Gesetz genannten Gründen anzuordnen.
„Das Oberlandesgericht hat die Aufrechterhaltung der Haft über den für eine Durchführung der Abschiebung erforderlichen Zeitraum hinaus unter Berufung auf eine Vorgehensweise der Ausländerbehörde gerechtfertigt, die nicht der Sicherung der Abschiebung, sondern der Verhinderung weiterer illegaler Einreisen dienen sollte“, BVerfG, B. v. 16.05.2007 – 2 BvR 2106/05 –.
Die Festhaltung des Betroffenen bis zur Entscheidung über den Verlängerungsantrag wird durch den Sicherungszweck nicht getragen, soweit nicht unmittelbar die Sicherung der Abschiebung bezweckt werden soll (lediglich mittelbare Sicherung); BGH, B. v. 21.03.2013 – V ZB 122/12 –, juris.
Einige neuere Entscheidungen befassten sich mit der Frage der Ausreisepflicht als Haftvoraussetzung bei der Sicherungshaft. Dies beruht u.a. darauf, dass nur noch im Haftgrund Nr. 1 die Ausreisepflicht ausdrücklich genannt ist. Es ist in diesem Zusammenhang erforderlich, Missverständnissen vorzubeugen, die sich bei der Erörterung von Voraussetzungen der Sicherungshaft ergeben können. Man findet in Haftentscheidungen regelmäßig Formulierungen der Art, dass nicht die Haftgerichte, sondern die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte zu prüfen hätten, ob die Abschiebung zu Recht betrieben wird (vgl. z.B. BayObLGZ 1998, 137, 139; BayObLGZ 1999, 97,99). Auch heißt es, dass eine Prüfung der Ausreisepflicht und der übrigen Abschiebungserfordernisse seit der Gesetzesänderung 1992 dem Haftrichter grundsätzlich nicht mehr zustehe oder obliege, soweit es nicht um den Haftgrund Nr. 1 oder die asylrechtliche Aufenthaltsgestattung geht (vgl. z.B. KG in FGPrax 1997, 76 f; OLG Naumburg, B. v. 24.02.2000 – 10 Wx 4/00 – = FGPrax 2000, 211 f., juris). Diese und ähnliche Formulierungen dürfen jedoch nicht zu dem Missverständnis verleiten, dass es für die Zulässigkeit der Sicherungshaft gleichgültig sei, ob eine Ausreisepflicht besteht und/oder ob die übrigen Abschiebungserfordernisse vorliegen. Es geht bei diesen Formulierungen ausschließlich darum, ob die Prüfungskompetenz (s.u. Rn. 202 f.) allein bei der Ausländerbehörde (bzw. dem Verwaltungsgericht) liegt oder ob auch der Haftrichter eine bestimmte Frage selbständig prüfen und entscheiden darf. Unabhängig von der Frage, wer was im Einzelnen zu prüfen und zu verantworten hat, ist die vollziehbare Ausreisepflicht immer Grundvoraussetzung für eine Sicherungshaftanordnung. Das ist auch nicht streitig. Es genügt, hierzu auf die AVwV-AufenthG (Nr. 62.0.3.2 AVwV-AufenthG) zu verweisen:
Sicherungshaft darf nur beantragt werden, wenn der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Ausreisefrist abgelaufen ist (§ 50 Absatz 2) und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er ausgereist ist. Bereits bei der Antragstellung ist zu prüfen, ob die beabsichtigte Maßnahme mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist (§ 62 Absatz 2 Sätze 3 und 4). Die Erforderlichkeit der Sicherungshaft setzt das Vorliegen von Haftgründen voraus (§ 62 Absatz 2 Satz 1 und 2).
Zur Ausreisepflicht als eine der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft: BGH, B. v. 28.02.2001 – V ZB 8/01 – (BGHReport 2001, 341 f; NWwZ 2001 Beilage I S. 62). Die vollziehbare Ausreisepflicht ergibt sich entweder unmittelbar aus dem Gesetz (Hauptfall: unerlaubte Einreise) oder aus der Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes, der die Ausreisepflicht begründet. Zur Prüfungskompetenz des Haftrichters s. Rn. 202 f.).
Nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG kann von der Anordnung der Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Etwas ausführlicher mit dieser Regelung befasste sich eine Entscheidung des BayObLG in NVwZ 2000 Beilage I S. 150 f = InfAuslR 2001, 174. Es ging in dieser Sache um einen ausgewiesenen (und danach wieder unerlaubt eingereisten) Ausländer, der in Deutschland Ehefrau und Kind hatte. Das BayObLG hatte im Zusammenhang mit einer Zurückverweisung an das Landgericht darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Beurteilung nach § 57 Abs. 2 Satz 3 AuslG (aF) den sozialen Bindungen des Betroffenen besonderes Gewicht zukommen könne und dass deshalb, wenn – wie im gegebenen Fall - die bisher bekannten Umstände eine zuverlässige Beurteilung von Art und Intensität der familiären Bindungen des Betroffenen nicht zulassen, das Landgericht die relevanten Umstände mit dem Ehepartner erörtern und sich von diesem auch einen persönlichen Eindruck verschaffen müsse. Ausreichende Standards dafür, was als Glaubhaftmachung dafür, dass man sich der Abschiebung nicht entziehen will, zu verlangen ist, sind bisher in der Rechtsprechung nicht entwickelt (vgl. Nr. 62.2.0.1 AVwV-AufenthG).
Selbst für den Fall der Beantragung und Anordnung von Zurückweisungshaft - also Haft zur Sicherung der Zurückweisung nach § 15 Abs. 5 AufenthG (s. dort. Rn. 39 f.) - gehört nach verfassungskonformer Auslegung des § 15 Abs. 5 AufenthG mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Erforderlichkeit einer Haftordnung zur Sicherstellung der Zurückweisung. Dabei ist das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit abzuwägen gegenüber dem Freiheitsanspruch des Betroffenen. Wenngleich in § 15 Abs. 5 AufenthG eine ausdrückliche Verweisung auf § 62 Abs. 3 AufenthG fehlt, ist für die Zulässigkeit der Haft dennoch in der Regel eine dem § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 AufenthG vergleichbare Sachlage erforderlich (OLG Köln, B. v. 01.07.2008 – 16 Wx 76/08 –, siehe bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht/Zurückweisungshaft).
OLG Köln, B. v. 01.07.2008 – 16 Wx 76/08 –
Aufgrund der Direktanwendung der RL 2008/115/EG seit 24.12.2010 (s. Rn. 3) sind die Vorgaben der Haftbedingungen aus Art. 16 und 17 der Richtlinie zu beachten. Der Gesetzentwurf (s. Rn. 3) berücksichtigt dies jedoch nicht für Zurückweisungshaft, sondern führt lediglich zur Ergänzung der §§ 57 und 62 AufenthG (Zurückschiebung und Abschiebung) einen neuen § 62a AufenthG ein. Im Einzelnen siehe bei Winkelmann, Beitrag zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie (s.o. Rn. 3).
Mit der Feststellung der Freiwilligkeit der Ausreise im Rahmen der beabsichtigten Zurückschiebung entfällt lediglich das Hafterfordernis, mithin ist bereits der Haftantrag unzulässig. Es entfällt jedoch nicht die Erforderlichkeit der Zurückschiebung als solches (ausführlich zu diesem Problem: § 57, Rn. 5, 9). Als Minusmaßnahme zur - in anderen Fällen - möglicherweise erforderlichen Haft ist immer auch die Möglichkeit von Auflagen in Erwägung zu ziehen. Der Wegfall des Hafterfordernisses ist auch insbesondere deshalb nicht anders zu betrachten, weil der Grenzübertritt mangels gültiger Papiere illegal wäre und der Aufenthalt in der Bundesrepublik unerlaubt und deswegen nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG strafbar gewesen wäre. Denn dies rechtfertigt nicht die Anordnung der Sicherungshaft, die ausschließlich der Sicherstellung der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht und nicht der allgemeinen Gefahrenabwehr dient (BGH, B. v. 17.06.2010 – V ZB 13/10 –, bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht/Zurückschiebungshaft).
BGH, B. v. 17.06.2010 – V ZB 13/10 –
Siehe dazu auch:
OLG München, B. v. 05.02.2009 – 34 Wx 075/08 –
OLG Düsseldorf, B. v. 16.10.2006 – I‐3 Wx 217/06 –
OLG Düsseldorf, B. v. 13.06.2006 – I-3 Wx 140/06 –
SchlHOLG, B. v. 10.11.2005 – 2 W 187/05 –
LG Stade, B. v. 20.02.2012 – 9 T 138/12 –
Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn er aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Die Auslegung dieser Regelung hatte seit ihrer Einführung durch das Gesetz vom 26.06.1992 keine besonderen Schwierigkeiten bereitet. Es bestand jedenfalls insbesondere Einvernehmen darüber, dass die Haft nach dieser Vorschrift nur zulässig ist, wenn der Ausländer noch unmittelbar auf Grund seiner unerlaubten Einreise und damit ununterbrochen seit seiner Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist, wie dies auch in der Gesetzesbegründung bereits wie folgt erläutert wurde (vgl. BT-Drucks. 12/2062 Seite 45 ):
"Satz 1 Nr. 1 setzt voraus, dass der Ausländer nach § 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 AuslG wegen unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Allein der Umstand, dass der Ausländer unerlaubt eingereist war, genügt nicht. Vielmehr muss der Ausländer noch unmittelbar auf Grund seiner unerlaubten Einreise und damit ununterbrochen seit seiner Einreise vollziehbar ausreisepflichtig sein."
Der Begriff der Einreise im § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG ist allein nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Versehentliche Einreisen genügen daher zur Begründung eines Haftgrunds, wenn die weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Denn in dem hier in Rede stehenden Regelungszusammenhang (die verwaltungsrechtlich unerlaubte Einreise nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) kommt es für den Begriff der Einreise nicht auf ein willensgetragenes, zweckgerichtetes oder gar schuldhaftes Verhalten des Betroffenen an (BGH, B. v. 21. Oktober 2010 – V ZB 56/10 –).
Anforderungen an Beantragung und Anordnung von Sicherungshaft
Die sofort vollziehbare Ausreisepflicht ist aufgrund unerlaubter Einreise selbständiger Haftgrund (Abs. 3 Satz 1 Nr. 1); anders noch BayObLG, B. v. 14.8.1991 – BReg. 3 Z 122/91 – EZAR 048 Nr. 1. Ausreisepflicht und Vollziehbarkeit (§§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG) sowie unerlaubte Einreise (§ 14 Abs. 1 AufenthG, s. dort) sind ausreichend, insbesondere sind Ablauf der Ausreisefrist und Abschiebungsandrohung nicht verlangt. Die unerlaubte Einreise muss kausal für die Ausreisepflicht sein (vgl. § 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). Von jeglicher weiterer Prüfungsverpflichtung befreit ist der Haftrichter dagegen nach Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 58 a (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a), mit deren Bekanntgabe Aufenthaltstitel erlöschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 a AufenthG). Ihr Vollzug wird erforderlichenfalls von dem IM selbst ausgesetzt oder erfolgt nach Ablauf von sieben Tagen oder nach der Entscheidung des BVerwG über den Eilantrag (§ 58 a Abs. 3 und 4 AufenthG).
Der Haftrichter hat im Rahmen der Haftprüfung nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu klären, ob überhaupt eine unerlaubte Einreise im Sinne des § 58 AufenthG vorliegt. Dies kann weit in aufenthaltsrechtliche Fragen hineinführen, wie z.B. schon eine Entscheidung des OLG Köln in NVwZ 1998 Beilage S. 39 belegte, in der es bei einem Positivstaater um die Anrechnung von Aufenthaltszeiten in den Vertragsstaaten des Schengener Abkommens nach dem damaligen Rechtszustand ging. Bei Anordnung von Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG („unerlaubte Einreise“) hat der Haftrichter auch dann eigenverantwortlich zu prüfen, ob der Ausländer infolge unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde eine auf diesen Tatbestand gestützte, nicht bestandskräftige Zurückschiebungsverfügung erlassen hat. Zwar unterliegt die Tätigkeit der Prüfung der verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Bei einer auf § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützten Haftanordnung liegt dies insofern anders, als die sofort vollziehbare Ausreisepflicht aufgrund unerlaubter Einreise den unmittelbaren Haftgrund bildet. Ergibt sich diese weder aus einer bestandskräftigen Zurückschiebungsverfügung noch aus einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, muss der Haftrichter die erforderliche Prüfung selbst vornehmen (BGH, B. v. 16.12.2009 – ZB 148/09 –; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., Rn. 13 zu § 62).
BGH, B. v. 16.12.2009 – V ZB 148/09 –
Andernfalls, so der 5. Senat weiter, würde es der Bedeutung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen und den Anforderungen in Bezug auf die tatsächlichen Grundlagen richterlicher Haftentscheidungen nicht gerecht werden, wenn dem Haftrichter im Rahmen des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG durch eine noch nicht bestandskräftige Verfügung über die Zurückschiebung nach § 57 AufenthG bereits die wesentlichen Voraussetzungen für die Haftanordnung vorgegeben wären. Die Kernvoraussetzung für die Zurückschiebung ist die „unerlaubte Einreise“ (s. dort § 57). Insoweit besteht Stoffgleichheit mit dem gleichlautenden Haftgrund. Hinzu kommt jedoch noch die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht, die sich allerdings hier nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes ergibt. Diese Ausführungen des BGH sind - soweit auf die bestandskräftige Zurückschiebungsverfügung Bezug genommen wird - missverständlich. Die Zurückschiebung ist gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO eine unaufschiebbare Maßnahme von Polizeivollzugsbeamten und sofort vollziehbar und erlangt damit jedenfalls materielle Bestandskraft. Auch ein formell bestandskräftiger, aber dennoch widerrechtlicher Verwaltungsakt kann Bestandskraft erlangen, sofern er nicht ausnahmsweise nichtig ist. Die Zurückschiebung kann mit einem Stoppantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO angegriffen werden, der - solange er nicht gestellt und ihm nicht stattgegeben wurde - nicht an der Bestandskräftigkeit rüttelt. Sicherheit über die Haftvoraussetzung kann nach diesseitigem Verständnis nur bestehen, wenn dies durch eine gerichtliche Prüfung der Verwaltungsgerichte festgestellt wurde und nicht nur mit Hinweis auf die (formelle) Bestandskraft. Da ein solches Verfahren der haftrichterlichen Prüfung regelmäßig nicht vorangeht (s. u. Rn. 202 f.), müsste der Haftrichter daher jedenfalls im Rahmen der Amtsermittlungspflicht die Voraussetzung des Haftgrundes nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eigenverantwortlich prüfen.
Bei Bestehen eines unbefristeten Einreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF ist nachträglich von Amts wegen einzelfallbezogen über eine Befristung zu entschieden, sofern eine Maßnahme (Abschiebung) beabsichtigt ist, die an ein Einreiseverbot anknüpft. Ohne eine solche nachträgliche Entscheidung darf die Einreise nicht als unerlaubt angesehen werden. Der BGH weist darauf hin, dass in vergleichbaren Übergangsfällen Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung über die erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise danach immer noch unerlaubt war und ein Zeitraum verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Betroffenen nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies muss auch der Haftrichter im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht prüfen (BGH, B. v. 08.01.2014 – V ZB 137/12 –, juris). Ist die Einreise eines Ausländers aus anderen Gründen unerlaubt, darf der Haftgrund der unerlaubten
Einreise auch angenommen werden, wenn eine nachträgliche Entscheidung über die Befristung eines bestehenden altrechtlichen unbefristeten Einreiseverbots nicht getroffen worden ist. Diese ist nur, aber auch stets erforderlich, wenn sich die unerlaubte Einreise gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG allein aus dem Verstoß gegen das Einreiseverbot ergibt. Nur dann ist die Anordnung von Abschiebungshaft eine an dieses Verbot anknüpfende Maßnahme (BGH, B. v. 22.10.2014 – V ZB 64/14 –, juris).
Die Vorschrift nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 findet keine Anwendung auf Ausländer, die bei ihrer unerlaubten Einreise an der Außengrenze (also direkt aus einem Drittstaat) oder nach ihrer unerlaubten Einreise im Bundesgebiet - ohne dass eine Einreise aus einem sicheren Drittstaat erfolgte - um Asyl nachsuchen und dadurch kraft Gesetzes die Aufenthaltsgestattung erwerben. Dies tritt im Übrigen bei der Einreise aus einem sicheren Drittstatt (im Falle der Entscheidung des LG Stuttgarts, B. v. 16.02.2015 - 19 T 43/15 – Österreich) auch erst mit Eingang des Asylantrags beim BAMF ein. Art. 16a Abs. 1 GG steht dieser Bewertung nicht entgegen. Denn der Betroffene reist nicht unmittelbar aus dem Verfolgerstaat, sondern aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier: Österreich) in die Bundesrepublik Deutschland ein und kann sich schon deshalb nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf das Asylgrundrecht berufen.
Der Haftrichter hat die Aufenthaltsgestattung bei unmittelbarer Einreise aus dem Verfolgerstaat von Amts wegen zu beachten (BayObLG, B. v. 5.5.1988 – BReg. 3 Z 50/88 – EZAR 135 Nr. 10; EZAR 048 Nr. 5). Ebenso hat er zu prüfen, ob eine Aufenthaltsgestattung erloschen ist (z.B. nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG); BayObLG, B. v. 29.7.1992 – 3Z BR 90/92 – NVwZ 1993, 102; OLG Frankfurt, B. v. 8.12.1995 – 20 W 530/95 – EZAR 048 Nr. 24; OLG Karlsruhe, B. v. 13.4.1993 – 11 Wx 24/93 – NVwZ 1993, 811; zum früheren Recht vgl. BayObLG, B. v. 5.5.1988 – BReg. 3 Z 50/88 – EZAR 135 Nr. 10; B. v. 11.9.1989 – BReg. 3 Z 125/89 – EZAR 135 Nr. 14). Zwar ist der Haftrichter an den der Ausweisung und Abschiebung zugrunde liegenden Verwaltungsakt gebunden und an deren Überprüfung aufgrund eines Asylantrags gehindert (BGH, B. v. 25.9.1980 – VII ZB 5/80 – BGHZ 78, 145); dieser Gesichtspunkt beschränkt aber nicht die Kompetenzen des Haftrichters im Hinblick auf die Ausreisepflicht bei Sicherungshaft. Die Ausreisepflicht entfällt nicht nur bei zwischenzeitlich erteiltem Aufenthaltstitel oder fiktiver oder gesetzlich verlängerter Aufenthaltserlaubnis (Fiktionsbescheinigung, § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG), sondern auch durch das gesetzliche Aufenthaltsrecht des Asylbewerbers nach § 55 AsylVfG (Ausnahme in § 14 Abs. 3 AsylVfG). § 55 Abs. 1 S. 1, 3 AsylVfG macht die Entstehung des gesetzlichen Aufenthaltsrechts nicht von weiteren Voraussetzungen als der förmlichen Asylantragstellung abhängig. Dies gilt auch, wenn ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG unzulässig ist, weil ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der EU oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Denn auch in den Fällen des § 27a AsylVfG ist eine Entscheidung des BAMF über den Asylantrag erforderlich (§ 31 Abs. 1 S. 4, Abs. 6 AsylVfG). Erst dessen Entscheidung führt unter den weiteren Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Nr. 5 oder Nr. 6 AsylVfG zum Erlöschen der Aufenthaltsgestattung (BGH, B. v. 01.03.2012 – V ZB 183/11 –, juris, m.w.N.: vgl. OLG Schleswig, OLGR 2005, 586, 587; LG Saarbrücken, B. v. 9.10.2008 – 5 T 468/08 – Rn. 27, juris; Bergmann in Renner, 10. Aufl., § 55 AsylVfG Rn. 8; Hailbronner, Ausländerrecht, § 55 AsylVfG Rn. 18)
Das AG Oldenburg i.H., B. v. 20.02.2014 20b XIV 20/14 B, erklärt § 55 Abs. 1 S. 1 AsylVfG daher gleichwohl für anwendbar, auch wenn der Betroffene in Deutschland neben dem im Ausland anhängigen Asylverfahren einen (förmlichen) Asylantrag stellt, wenn das Ausland zum Dubliner Abkommen gehört.
Der BGH hat entschieden, dass momentan Haftanordnungen zum Zweck der Überstellung von Ausländern in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, die auf Fluchtgefahr gestützt werden, nicht ergehen dürfen (BGH, B. v. 26.06.2014 – V ZB 31/14 –, mit Berichtigungsanmerkungen aufgrund BGH, B. v. 23.07.2014 zu – V ZB 31/14 –, juris). Siehe dazu näher unter Nr. 71.
Von besonderer Bedeutung ist die Frage, welche Bedeutung der im EU-Ausland gestellte Asylerstantrag auf die aufenthaltsrechtliche Stellung in Deutschland im Rahmen einer Dublin III-Rücküberstellung hat. Das BVerfG (B. v. 10.12.2007 – 2 BvR 1033/06 –, bei Winkelmann, a.a.O.; siehe Gesamtdokument zum Asylrecht unter Rn. 50) führte zur Dublin-II-Verordnung - sich noch nicht festlegend - aus:
„Eine Beschränkung der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung aufgrund der offensichtlich nicht juristischen Kategorien folgenden Einlassung des Beschwerdeführers, dass der Asylantrag „nicht geklappt" habe, wird den erhöhten Pflichten zur genauen Sachverhaltserforschung gemäß § 12 FGG nicht gerecht. Die nach § 5 Abs. 1 FreihEntzG notwendige Anhörung des Betroffenen dient der Aufklärung von Tatsachen und gibt ihm die Möglichkeit zu rechtlichen Ausführungen, die rechtliche Bewertung der Tatsachen bleibt aber Aufgabe des Gerichts. Insbesondere ist - soweit ersichtlich - die Frage, welche Bedeutung einem im Ausland gestellten (Erst-) Asylantrag nach der Rücküberstellung des Antragstellers in Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zukommt, noch nicht geklärt, so dass ein solcher Antrag der Anordnung von Abschiebungshaft - jedenfalls bis zu einem etwaigen Erlöschen einer auf ihm beruhenden Aufenthaltsgestattung - entgegenstehen könnte.“
Hingegen bejaht das OLG Celle - 22 W 16/06 - im Folgebeschluss vom 06.02.2008 (bei Winkelmann, a.a.O.; siehe Gesamtdokument zum Asylrecht unter Rn. 50) zu Recht die Frage:
„Hierbei hat sie außer Acht gelassen, dass die erstmalige Stellung eines Asylantrags aus der Freiheit heraus wegen des Umkehrschlusses aus § 14 Abs. 3 AsylVerfG die Anordnung von Abschiebungshaft hindert. Diese für den Fall einer Asylantragsstellung in Deutschland geltende Regelung findet nach Auffassung des Senats auch für Erstasylanträge innerhalb des Geltungsbereichs der VO 343/2003 (Dublin II) Anwendung, wenn aufgrund dieser eine Zuständigkeit deutscher Behörden für die Bearbeitung des Asylverfahrens begründet ist.“
Somit führt die Stellung eines Erstasylantrages im EU-Ausland bei zuständigkeitsbedingter Rücküberstellung nach Deutschland zu der Wirkung eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG (Folgerechtsprechung OLG Saarbrücken, B. v. 26.08.2011 – 5 W 131/08 – 45, 5 W 131/08 –; vgl. dazu auch § 22a AsylVfG: „Ein Ausländer, der auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages zur Durchführung eines Asylverfahrens übernommen ist, steht einem Ausländer gleich, der um Asyl nachsucht.“).
Der Haftgrund Nr. 1 lebt auch nicht wieder auf, nachdem das Bundesamt das Asylbegehren (aus welchen Gründen auch immer) abgelehnt hat (vgl. OLG Frankfurt in InfAuslR 1998, 459 ff; OVG des Saarlandes in InfAuslR 2001, 172 ff; a.A. wohl OLG Naumburg vom 26.01.2001 – 10 Wx 2/01 –). Die Position des BGH zu dieser Frage in seiner Entscheidung vom 28. 02.2001 – V ZB 8/01 – BGHReport 2001, 341 f = NVwZ 2001 Beilage I S. 62) ist unklar.
Im Falle des § 18 Abs. 2 AsylVfG entfällt die Ausreisepflicht nach Nichtzurückweisung.
Die bloße Stellung eines Folgeantrages beseitigt nicht den Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (und auch nicht die übrigen Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AufenthG), weil dieser Vorgang keinen Einfluss auf die vollziehbare Ausreisepflicht hat (vgl. §§ 55 Abs. 1, Satz 1, 63 Abs. 1, 71 AsylVfG). Vgl. OLG Karlsruhe, B. v. 13.4.1993 – 11 Wx 24/93 – NVwZ 1993, 811; ähnlich zum früheren Recht betreffend unbeachtlichen Folgeantrag BayObLG, B. v. 6.6.1988 – BReg. 3 Z 77/88 – EZAR 135 Nr. 11; KG, B. v. 22.3.1983 – 1 W XX B 890/83 – EZAR 135 Nr. 4; betreffend § 14 Abs. 1 AuslG-1965 BayObLG, B. v. 27.4.1989 – BReg. 3 Z 38/89 – EZAR 135 Nr. 12; BayObLG in NVwZ 1998 Beilage S. 54; OLG Karlsruhe in InfAuslR 2001, 179, 181; BT-Drucks. 12/2062 Seite 45; vgl. auch BVerfG, B. v. 22.01.01 – 2 BvR 783/00 – sowie Pfälz. OLG Zweibrücken vom 22.01. 2001– 3 W 7/01– für den Fall, dass der Betroffene 3 ½ Jahre nach Abschluss des Erst-Asylverfahrens erneut eingereist ist). Siehe hierzu auch Nr. 62.0.3.3 AVwV-AufenthG. Zur Gesamtproblematik siehe ausführlich im Kommentar zur Haft im Asylverfahren bei Winkelmann, MNet.
Zur Haft im Asylverfahren (1.2 MB)
Folgeantragsteller sind zwar in der Zwischenzeit gegen Abschiebung in den Verfolgerstaat geschützt (siehe zu § 55 AsylVfG); dies ändert aber nichts an ihrer vollziehbaren Ausreisepflicht, solange sie keinen Aufenthaltstitel oder (nach Eröffnung eines neuen Asylverfahrens) eine Aufenthaltsgestattung erhalten (siehe zu § 71 AsylVfG). Es wäre bedenklich, gegen Folgeantragsteller zeitlich unbegrenzt Haft zuzulassen, auch wenn nach der Mitteilung des BAMF nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG vorläufiger Rechtsschutz gewährt worden ist (BVerfG-K, B. v. 28.11.1995 – 2 BvR 91/95 – EZAR 048 Nr. 23; z.T. a.A. noch BayObLG, B. v. 16.3.1995 – 3Z BR 67/95 – EZAR 048 Nr. 18).
Eine Ausnahme ist nur für Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 nach Abs. 3 Satz 3 zugelassen (vgl. aber Rn. 40 zur generellen Ausnahme bei offensichtlicher Ausreisebereitschaft). Der Ausländer muss die Vermutung aufgrund unerlaubter Einreise, er werde sich der Abschiebung entziehen, glaubhaft widerlegen (BGH, B. v. 17.06.2010 – V ZB 13/10 –, bei Winkelmann, a.a.O.; BGH, B. v. 10.11.2011 – V ZB 317/10 –, juris).
BGH – V ZB 13/10 – B. v. 17.06.2010
Gelingt die Glaubhaftmachung, entfällt der Haftgrund. Ermessen ist nicht zusätzlich eröffnet (trotz der Formulierung „kann“). Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen z.B. Flugticket und Rückfahrkarte in Betracht.
Nach Nr. 62.2.1.2 AVwV-AufenthG ist der Sicherungshaftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nummer 1a erfüllt, wenn eine nach § 58a erlassene Abschiebungsanordnung auf Grund bestehender Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 1 bis 8 (§ 58a Absatz 3) oder auf Grund eingelegter Rechtsbehelfe (§ 58a Absatz 4) nicht sofort (d.h. nur vorübergehend nicht) vollzogen werden kann. Zu den verfassungsrechtlichen Problemen grundlegend bei Erbslöh, NvwZ 2007, 155 ff., Beichel-Benedetti in: Huber, AufenthG, Aufl. 2010, Rn. 12 zu § 62 und Dienelt in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., Rn. 8 f., 17, zum Schriftformerfordernis Rn. 50 zu § 58 a. Danach wird eine den Ansprüchen aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Frist für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes von drei Tagen gesehen, die auf Antrag eine Nachfrist von vier Tagen vorsehen muss (analog BVerfG, U. v. 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93 –).
Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist Sicherungshaft anzuordnen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 wird im Wesentlichen das Untertauchen erfasst, das bereits nach früherem Recht ausreichend die Absicht der Vereitelung der Abschiebung indizieren konnte (dazu OLG Köln, B. v. 11.12.1991 – 16 Wx 142/91 – InfAuslR 1992, 178). Zusätzlich muss die Ausreisefrist (§§ 50 Abs. 3, 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG abgelaufen sein, falls eine solche gesetzt war.
Der nicht gemeldete Wohnortwechsel begründet lediglich eine widerlegbare Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme erschwert oder vereitelt wird (BGH, B. v. 09.02.2011 – V ZB 16/11– ; B. v. 01.07.1993 – V ZB 19/93 –, NJW 1993, 3069, 3070 zu § 57 Abs. 2 AuslG) und muss auf der Absicht des Untertauchens zu beruhen (so auch OLG Karlsruhe, B. v. 11.2.1993 – 4 W 20/93 – NVwZ 1993, 813). Will sich der Ausländer offensichtlich nicht der Abschiebung entziehen, ist der nicht angezeigte Aufenthaltswechsel allein kein ausreichender Haftgrund (BVerfG, InfAuslR 1994, 342, 344; Hailbronner, AuslR, 61. Aktualisierung, § 62 AufenthG Rn. 44). Feststellungen der unterlassenen Anzeige des Wohnortwechsels können einem Ausländer nur dann im Rahmen des Haftgrundes entgegengehalten werden, wenn die Ausländerbehörde auf die Anzeigepflicht hingewiesen hat (OLG Celle, B. v. 16.10.2003 – 17 W 72/03 –, LG Stade, B. v. 26.11.2003 – 9 T 180/03 –, und OLG München, B. v. 09.11.2005 – 34 Wx 148/05 –, BGH, B. v. 19.05.2011 – V ZB 36/11 –, bei Winkelmann). Die objektive Erfüllung von Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 allein genügt indes nicht für die Haftanordnung (BVerfG-K, B. v. 13.7.1994 – 2 BvL 12/93 u.a. – EZAR 048 Nr. 13, z.T. a.A. BGH, B. v. 1.7.1993 – V ZB 19/93 – EZAR 048 Nr. 6; BGH, B. v. 09.02.2011 – V ZB 16/11 –), wenn der Ausländer sich z.B. in öffentlichem Gewahrsam befindet (OLG Frankfurt, B. v. 26.10.1994 – 20 W 477/94 – EZAR 048 Nr. 15; BGH, B. v. 19.05.2011 – V ZB 15/11 –, bei Winkelmann), wenn der Ausländer nach Verbüßung der Strafhaft und ohne Anhörung und Hinweis der Ausländerbehörde auf die Meldeverpflichtungen den Wohnort wechselt (BGH, B. v. 09.06.2011 – V ZB 16/11 –, bei Winkelmann) oder sich auf Aufforderung hin bei der Ausländerbehörde meldet und sich zur Ausreise bereit erklärt (OLG Frankfurt, B. v. 21.4.1998 – 20 W 121/98 – EZAR 048 Nr. 44) oder mit einem Abschiebungsverfahren nicht zu rechnen brauchte (BayObLG, B. v. 14.8.1997 – 3Z BR 317/97 – EZAR 048 Nr. 36). Der Aufenthaltsort muss ohne Angabe einer entsprechenden Anschrift gewechselt und der Ausländer daraufhin unerreichbar sein. Die Voraussetzungen sind dann z.T. strenger als für die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 5 AufenthG. Nur der Aufenthaltsort, nicht die Wohnung muss gewechselt sein. Aufenthaltsort ist aber mehr als der Ort des jeweiligen Sich-Aufhaltens. Er wird nicht schon durch eine Reise aufgegeben, gleich, ob sie weniger oder mehr als drei Tage dauert und aus dem Bezirk der Ausländerbehörde hinausführt oder nicht (vgl. aber Abs. 2 Satz 1 Nr. 3). Allein der Umstand, dass der Betroffene bei einem Abschiebungsversuch in seiner Unterkunft nicht aufgegriffen werden konnte und daher am selben Tag seine Abmeldung bei der Meldebehörde veranlasst wurde, reicht hierfür nicht aus. Mit einem einmaligen Nichtantreffen des Betroffenen an einem bestimmten Tag lässt sich ohne weitere Feststellungen ein Wechsel des Aufenthaltsortes nicht belegen (HK-AuslR/Keßler, § 62 AufenthG Rn. 26; Beichel-Benedetti in: Huber, AufenthG, § 62 Rn. 13), BGH, Beschluss vom 12.05.2011 - V ZB 299/10 -. Der neue Aufenthaltsort braucht nicht vor Haftanordnung ermittelt zu werden (BayObLG, B. v. 1.7.1993 – V ZB 19/93 – EZAR 048 Nr. 6). Der Haftgrund entfällt aber, wenn sich der Ausländer zwischenzeitlich angemeldet hat und zusätzliche Tatsachen eindeutig gegen die Absicht sprechen, sich der Abschiebung zu entziehen. Die Meldung des Aufenthaltswechsels ist an keine bestimmte Form gebunden. Es genügt, wenn die Behörde aus der Mitteilung erkennen kann, wo sich der Betroffene aufhält (vgl. OLG Hamm, B. v. 26.02.2002 – 15 W 53/02 –).
Nr. 62.2.1.3 AVwV-AufenthG:
"Kommt der Ausländer der Anzeigepflicht nach § 50 Absatz 5 nicht nach, kann er den Haftgrund des § 62 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 erfüllen. Dieser Sicherungshaftgrund setzt die Unerreichbarkeit des Ausländers infolge eines unangemeldeten Wechsels des Aufenthaltsortes nach Ablauf der Ausreisefrist voraus. Der Haftgrund entfällt, wenn der Ausländer im Zeitpunkt der Entscheidung über den Haftantrag seine ordnungsgemäße Anmeldung veranlasst hat und zusätzliche Umstände gegen die Notwendigkeit einer Sicherung der Abschiebung durch Anordnung der Haft sprechen (Nr. 62.2.0.1). Die Sicherungshaft aus den genannten Gründen muss in unmittelbarem Zusammenhang mit der Abschiebung stehen. Liegt der Haftgrund vor und ist der Ausländer wegen unbekannten Aufenthalts tatsächlich nicht erreichbar, kann die Haftanordnung ohne vorherige persönliche Anhörung erfolgen. Diese ist unverzüglich nach seinem Ergreifen nachzuholen."
Nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 genügt auch eine nur kurzfristige Abwesenheit von dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort. Dabei kann es sich um die ständige Wohnung, einen nach § 50 Abs. 5 AufenthG vom Ausländer genannten Ort oder um einen anderen Ort handeln, an dem der Ausländer vermutet wird. In den ersten beiden Fällen wird der Ausländer ein Nichtantreffen i.d.R. zu vertreten haben, nicht aber im letzten Fall. Immer ist eine ordnungsgemäße Bekanntgabe des Abschiebetermins vorausgesetzt.
Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ist Sicherungshaft anzuordnen, wenn sich der Betroffene in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat. Danach werden Verhaltensweisen erfasst, die nicht schon in Nr. 2 und 3 geregelt sind oder die dortigen Voraussetzungen nicht vollständig erfüllen. Entziehen in sonstiger Weise erfordert aber außer der Verhinderung der Abschiebung eine dahingehende, mindestens billigende, Absicht. In Betracht kommen Verstecken der Ausreisepapiere (BGH, B. v. 6.12.1979 – VII ZB 11/79 – BGHZ 75, 375), gewaltsames Verwehren des Zutritts zum Aufenthaltsort, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Allein der Umstand, dass passiver Widerstand gegen die Abschiebung geleistet wird, begründet jedoch keinen Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 AufenthG (LG Landau/Pfalz, B. v. 05.04.2012 – 3 T 71/12 –). Der Ausländer entzieht sich der Abschiebung auch dann, wenn er durch falsche Angaben über seine Staatsangehörigkeit den Rückflug erzwingt (BayObLG, B. v. 13.3.1998 – 3Z BR 65/98 – EZAR 048 Nr. 43.) oder in der Transitzone eines ausländischen Flughafens randaliert (BayObLG, B. v. 9.1.1998 – 3Z BR 5/98 – EZAR 048 Nr. 41). Passlosigkeit allein ist kein Verhinderungstatbestand, wohl aber die Verletzung gesetzlicher Mitwirkungspflichten (OLG Frankfurt, B. v. 4.12.1997 – 20 W 432/97 – EZAR 048 Nr. 40 m.w.N., auch über z.T. differenzierende Rechtsprechung).
Der Ausländer entzieht sich nicht der Abschiebung in einer die Anordnung von Haft nach dieser Vorschrift rechtfertigenden Weise, wenn er bei dem Versuch seiner Abschiebung keinen aktiven Widerstand leistet, sondern sich ruhig verhält und sachliche Gründe gegen die Durchführung der Abschiebung auf dem Luftwege wegen einer seine Flugtauglichkeit ausschließenden oder beeinträchtigenden Erkrankung vorbringt (vgl. OLG Köln, InfAuslR 2004, 396; HK-AuslR/Keßler, AufenthG, § 62 Rn. 28; BGH , B. v. 12.12.2013 – V ZB 220/12 –, juris).
Gesichert erscheint, dass der Anwendungsbereich der Generalklausel durch Einführung der besonderen Haftgründe in § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 AuslG gegenüber der früheren Rechtslage weitgehend eingeengt wurde (Hailbronner, Ausländerrecht, LoseBl., Stand Oktober 2003, § 57 Rn. 36). Sie kommt erst in Betracht, wenn der Fall nicht von einem der besonderen Haftgründe erfasst wird (BGH, B. v. 03.02.2005 – V ZB 48/04 –). Zum alten Recht war eine Abgrenzung des Haftgrundes nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG zu den anderen Haftgründen nur andeutungsweise, und zwar hinsichtlich des Haftgrundes Nr. 2 zu finden. So führte das OLG Düsseldorf in NVwZ 2000 Beilage I S. 135, 136 aus, dass es für die Annahme des Haftgrundes Nr. 5 grundsätzlich nicht ausreiche, dass der Betroffene den Wechsel seines Aufenthaltsortes der Behörde einmal nicht angezeigt habe, weil dann der Tatbestand des Nr. 2 entbehrlich wäre (ähnlich OLG Karlsruhe in FGPrax 1998, 116). Nach OLG Hamm (B. v. 26.02.2002 – 15 W 53/02 –) konnte ein Verhalten, das nach Nr. 2 nicht zur Annahme eines Haftgrundes führen kann, im Rahmen der allgemeinen Vorschrift der Nr. 5 nicht anders bewertet werden. Nach OLG Köln (B. v. 11.01.2002 – 16 Wx 283/01 –) schlossen die verschiedenen Haftgründe des § 57 Abs. 2 AuslG sich nicht gegenseitig aus, und zwar auch dann nicht, wenn der Verdacht, dass sich Betroffene der Abschiebung entziehen werde (Haftgrund Nr. 5), auf Umstände anlässlich der Art und Weise der Einreise gestützt wird.
Der begründete Verdacht, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen will (Abs. 3 Satz 1 Nr. 5), kann sich aus entsprechenden Erklärungen oder aus dem Verhalten des Ausländer ergeben. Nur der Wille ist festzustellen, nicht auch die Realisierbarkeit. Weder auf eine gewisse noch auf eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Abschiebung ohne vorherige Haft nicht durchgeführt werden kann, ist abzustellen (dazu noch BGH, B. v. 6.12.1979 – VII ZB 11/79 – BGHZ 75, 375). Maßgeblich ist nunmehr allein der begründete Verdacht der Entziehungsabsicht (s. näher unter Rn. 59 f.; vgl. hierzu die erforderliche Ermessensausübung und Verhältnismäßigkeitsprüfung bei OLG Düsseldorf, B. v. 24.10.2006 – I-3 Wx 182/06 –). Diese Voraussetzung ist nicht bereits dann erfüllt, wenn der Ausländer keine festen sozialen Bindungen im Bundesgebiet besitzt, keine verwandtschaftlichen Beziehungen im Bundesgebiet hat oder mittellos (§ 58 Abs. 3 Nr. 4) ist (vgl. auch LG Stuttgart, B. v. 16.02.2015 - 19 T 43/15 –, juris). Die Verweigerung der freiwilligen Ausreise allein genügt nicht, hinzukommen müssen vielmehr konkrete Umstände, die den Verdacht der Absicht begründen, die Abschiebung zu verhindern o ihr sonst zu entgehen (allgemein dazu Noltze/Ernecke, NVwZ 1986, 24). Liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Ausländer voraussichtlich in einer Weise der Abschiebung entziehen will, die bereits durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden kann, ist die Anordnung von Sicherungshaft unzulässig (vgl. Nr. 62.2.1.6 AVwV-AufenthG).
Der BGH hatte in FGPrax 2000, 130 nochmals darauf hingewiesen, dass allgemeine Vermutungen für die Annahme des Haftgrundes nicht ausreichen, vielmehr ist die Feststellung konkreter Umstände erforderlich, die den Verdacht der Entziehungsabsicht rechtfertigen. Nach BayObLG in InfAuslR 1999, 83, 84 war der begründete Verdacht im Sinne des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG nicht schon dann gegeben, wenn es möglich erscheint, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen will, sondern erst dann, wenn konkrete Umstände hierauf mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hindeuten, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Betroffenen eine solche Absicht nahe legen. Nach Pfälz.OLG Zweibrücken (B. v. 07.02.2001 – 3 W 37/01 – in InfAuslR 2001, 341 f.) reichen die bloße Ausreiseverweigerung oder das Unterlassen gebotener Mitwirkungshandlungen allein für die Haftanordnung nicht aus.
Das OLG Naumburg (OLG Naumburg, B. v. 24.02.2000 – 10 Wx 4/00 – = FGPrax 2000, 211 f., juris) hat eine Reihe von Umständen zusammengestellt, von denen nicht oder nicht ohne weiteres auf eine Entziehungsabsicht geschlossen werden dürfe. Es sind dies:
Nach Pfälz.OLG Zweibrücken (s. zuvor) ist es auch unzulässig, die Haft in der Beschwerdeinstanz allein damit zu rechtfertigen, dass die einmal getroffene Haftanordnung nunmehr die Gefahr des Untertauchens begründe. Das OLG Celle (B. v. 08.04.2002 – 17 W 16/02 – in InfAuslR 2002, 320) hat den Umstand, dass der Betroffene selbständig und freiwillig bei der Ausländerbehörde erschienen ist, obwohl er nach dem Verstreichen der Frist für eine freiwillige Ausreise mit Maßnahmen der Ausländerbehörde rechnen konnte und musste, als entscheidendes Indiz gegen die Annahme einer Fluchtgefahr gewertet. Auch das LG Saarbrücken (B. v. 06.12.2010 – 5 T 514/10 – geht davon aus, dass der verbotene Grenzübertritt allein nicht den gemäß § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 AufenthG erforderlichen Verdacht zu begründen vermag, dass sich der betroffene Ausländer der Abschiebung entziehen will.
Auch der Umstand, dass der Betroffene sich aus freien Stücken bei der Bundespolizei gemeldet hat um ein Asylbegehren zu äußern, kommt große Bedeutung zu, die nicht ohne weiteres hinter die nach Ansicht des Beschwerdegerichts maßgeblichen Umstände - den fehlenden festen Wohnsitz, die fehlenden sozialen Bindungen in Deutschland und die zweimalige Ausreise aus Griechenland - zurücktreten kann (BGH, B. v. 21.10.2010 – V ZB 176/10 – bei Winkelmann, Anhörung im Haftverfahren).
Außer einer dahingehenden ausdrücklichen Erklärung des Ausländers kommen als einen Verdacht begründende Umstände und Verhaltensweisen in Betracht:
Verstecken der Ausreisepapiere (BGH, B. v. 6.12.1979 – VII ZB 11/79 – BGHZ 75, 375); Weggabe der Reisedokumente vor Inhaftierung (BGH, B. v. 11.7.1996 – V ZB 14/96 – EZAR 048 Nr. 30); Vorenthalten des Reisepasses (BayObLG, B. v. 26.9.1995 – 3Z BR 258/95 – EZAR 048 Nr. 21). Nicht ausreichend: Verweigerung der Passverlängerung (BayObLG, B. v. 19.3.1992 – 3Z BR 29/92 – EZAR 048 Nr. 2); Notwendigkeit der Abschiebung auf dem Luftwege (BGH, B. v. 12.6.1986 – V ZB 9/86 – EZAR 135 Nr. 6; OLG Düsseldorf, B. v. 6.7.1984 – 3 W 216/84 – EZAR 135 Nr. 5; a.A. früher BayObLG, 04.06.1974 – BReg. 3 Z 41/74 – BayObLGZ 1974, 249; offen gelassen von OLG Zweibrücken, B. v. 27.8.1986 – 3 W 148/86 – EZAR 135 Nr. 7); Inanspruchnahme von Rechtsmitteln gegen Ausweisung u. Abschiebung (BGH, B. v. 12.6.1986 – V ZB 9/86 – EZAR 135 Nr. 6).
Die Einreise mit einem verfälschten Pass kann einen entsprechenden Verdacht rechtfertigen (BayObLG, B. v. 18.3.1993 – 3Z BR 50/93 – NVwZ 1993, 811; OLG Stuttgart, B. v. 2.6.1995 – 8 W 259/95 – NVwZ-Beil 1995, 80). Die Ausländerbehörde muss aber ihrerseits tätig werden, um die Identität zu klären und Passpapiere zu beschaffen (BayObLG, B. v. 1.2.1996 – 3Z BR 29/96 – EZAR 048 Nr. 25). „Beugehaft“ zur Erzwingung der Angabe von Personalien ist unzulässig (OLG Frankfurt, B. v. 4.5.1995 – 20 W 179/95 – EZAR 048 Nr. 19).
Nach der Rechtsprechung legen Identitätstäuschungen in der Regel die Entziehungsabsicht nahe:
Wenn der Betroffene, der abgeschoben werden soll, über seine Identität täuscht oder diese verheimlicht (vgl. OLG Naumburg, B. v. 24.02.2000 – 10 Wx 4/00 – = FGPrax 2000, 211 f., juris), Verwendung eines für eine andere Person ausgestellten Passes (BayObLG vom 02.08.2001 – 3Z BR 237/01 – in InfAuslR 2002, 314 f), Einreise mit falschem Pass (BayObLGZ 1998, 137, 139), Verwendung eines gefälschten Personaldokuments bei der Festnahme (BayObLGZ 2000, 203, 204), Identitätstäuschung durch Angabe falscher Personalien (BayObLG in InfAuslR 2000, 228, 229; BayObLG, B. v. 08.10.2001 – 3Z BR 330/01 –), Verheimlichung der wahren Identität (BayObLG in InfAuslR 2000, 454), Betreiben des Asylverfahrens unter falscher Identität (BayObLG in InfAuslR 2000, 453), Verwendung falscher Personalien (BayObLG, B. v. 02.01.2001 – 3Z BR 398/00 –). Identitätstäuschungen werden u.a. deshalb als starkes Indiz für eine Entziehungsabsicht angesehen, weil solche Täuschungen ebenso zu bewerten sind, wie wenn der Betroffene sich verborgen hält (vgl. hierzu bereits BayObLGZ 1993, 127/128).
Das BayObLG in InfAuslR 2001, 174 f hat es aus Rechtsgründen nicht beanstandet, dass das LG aus den Umständen der Einreise mit Hilfe eines Schleusers die konkrete Befürchtung einer Entziehungsabsicht abgeleitet hat. Vgl. hierzu auch BGH in FGPrax 2000, 130, wo darauf hingewiesen wird, dass solche Schleuserdienste nach allgemeiner Erfahrung nur gegen Zahlung erheblicher Geldbeträge geleistet werden, die der Betroffene nicht vergeblich aufgewendet haben will, wie dies bei einer Abschiebung der Fall wäre. In einer weiteren Entscheidung des BayObLG (B. v. 21.02.2001 – 3Z BR 57/01 – (in NVwZ 2001 Beilage I S.56 = EZAR 048 Nr. 54 = InfAuslR 2001, 343 f)) hat es aus dem Umstand, dass der Betroffene für Schleuserdienste rund 9000,- DM aufgewendet hatte und dieses Geld im Falle seiner Abschiebung das Geld vergeblich aufgewendet hätte, den Verdacht abgeleitet, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen wolle. Zur Indizwirkung früheren Untertauchens und Bedeutung erheblicher rechtsfeindlicher Gesinnung für die Beurteilung nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG vgl. BayObLG, B. v. 22.03.2001 – 3Z BR 91/01 – in InfAuslR 2001, 345, 346.
Zur Indizwirkung von Straftaten (BayObLG, B. v. 08.10.2001 – 3Z BR 330/01 –; B. v. 21.08.2001 – 3Z BR 277/01 –; B. v. 17.08.2001 – 3Z BR 276/01 –). Wird der Verdacht, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen will, auf die in einer Straftat zum Ausdruck kommende rechtsfeindliche Einstellung gestützt, setzt dies allerdings voraus, dass das Haftgericht von der Täterschaft des Betroffenen und von der Art und Schwere der Straftat überzeugt ist, wobei es sich in Fällen noch nicht rechtskräftiger Verurteilung diese Überzeugung auch aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden bilden kann (BayObLG, B. v. 21.08.2001 – 3Z BR 277/01 –; B. v. 17.08.2001 – 3Z BR 276/01 – in NVwZ 2002 Beilage I S. 56 – nur Leitsatz). Der Betroffene muss dann aber natürlich auch zu diesem Punkt angehört werden. Mit der Frage, welchen Straftaten eine Indizwirkung im Rahmen der Nr. 5 zukommen kann, befasst sich eine Entscheidung des OLG Hamm v. 26.02.2002 – 15 W 53/02 –. Nach BayObLG vom 20.04.2001 – 3Z BR 136/01 – ist die Annahme des Landgerichts gerechtfertigt, der Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen, wenn dieser in den letzten Jahren die Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber fünfmal jeweils für längere Zeit mit unbekanntem Ziel unerlaubt verlassen hat, wobei er zuletzt nach Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung über seinen Asylantrag etwa drei Monate untergetaucht war. Zum mehrmaligen illegalen Verlassen des zugewiesenen Aufenthaltsorts (OLG Zweibrücken, B. v. 27.8.1986 – 3 W 148/86 – EZAR 135 Nr. 7). Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf (B. v. 01.07.2002 – 3 Wx 186/02 –) begründet die Erklärung des Betroffenen, nicht in die Türkei zurückkehren zu wollen (die nur so verstanden werden könne, dass er nicht freiwillig ausreise), den Verdacht, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle. Zur Verstrickung in den Rauschgifthandel (BayObLG, B. v. 11.9.1989 – BReg. 3 Z 125/89 – EZAR 135 Nr. 14); erheblichen kriminellen Energie eines „reisenden Straftäters“ (BayObLG, B. v. 19.3.1992 – 3Z BR 29/92 – EZAR 048 Nr. 2); zu schwerwiegende Straftaten und Hungerstreik (BayObLG, B. v. 4.10.1996 – 3Z BR 257/96 – EZAR 048 Nr. 31).
Die Annahme des Beschwerdegerichts, die Haftanordnung auf den Haftgrund Fluchtgefahr stützen zu können, weil der begründete Verdacht bestünde, der Betroffene werde sich der vorgesehenen Abschiebung aufgrund der vorangehenden Strafhaft und des fehlenden Wohnsitzes entziehen, ist haltbar, wenn nicht verlässliche Anzeichen dieser Annahme entgegenstehen. Die mehrfache Angabe falscher Personalien, die Missachtung von Bewährungsauflagen steht dem Ziel des nach § 2 Satz 1 StVollzG entgegen, den Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Das besagt ohne zusätzliche Anhaltspunkte aber nicht, dass dieses Ziel durch den Vollzug auch erreicht worden ist. Hinzukommt, dass der Strafvollzug nach § 2 Satz 2 StVollzG auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dient. es müssen verlässliche Anzeichen dafür vorliegen, dass sich der Betroffene in der Strafhaft grundlegend verändert hat und sich dem Vollzug der Ausweisung nicht mehr entziehen wird (BGH, B. v. 28.04.2011 – V ZB 14/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.).
Zum Aufenthalt im „Kirchenasyl“ (BayObLG, B. v. 19.3.1997 – 3Z BR 73/97 – EZAR 048 Nr. 35 betreffend „offenes Kirchenasyl“; vgl. dazu auch Müller, ZAR 1996, 170). Mit der Frage des Kirchenasyls befasst sich auch eine Entscheidung des LG München in AuAS 2001, 17 f (= NVwZ 2001 Beilage I S. 63). Der Betroffene hatte sich am 26.09.1995 zusammen mit seiner Ehefrau und 6 Kindern zum offenen Kirchenasyl in das Kloster St. Ottilien begeben. Bei einem Spaziergang außerhalb des Klosters am 25.6.2000 wurde der Betroffene festgenommen und in Sicherungshaft genommen. Das LG München hat im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens die Voraussetzungen für eine Haft nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 verneint und sich von der bekannten Entscheidung des BayObLGZ 97, 125 ff. mit der Begründung abgegrenzt, dass sich in jenem Fall der Betroffene zunächst zeitweise ins verdeckte Kirchenasyl begeben hatte. Die sofortige weitere Beschwerde der Ausländerbehörde gegen den Beschluss des LG München wurde als unzulässig verworfen (BayObLG, B. v. 08.01.2001 – 3Z BR 358/00 – in InfAuslR 2002, 308 f.), wobei sich das BayObLG ausdrücklich einer Entscheidung der Frage enthalten hat, ob und inwieweit der Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG bei offenem Kirchenasyl eingreifen kann.
Zur Problematik bei dreijährigem Untertauchen nach Ablauf der Ausreisefrist (vgl. BayObLG in InfAuslR 2001, 177, 178), bei rund 10-monatigem Untertauchen nach Ablauf der Ausreisefrist (vgl. BayObLG in InfAuslR 2001, 178, 179) und bei rund 18-monatigem Untertauchen nach Ablauf der Ausreisefrist (BayObLG, B. v. 02.01.2001 – 3Z BR 398/00 – ); beharrliche und durch bestimmtes Verhalten bestätigte Ausreiseverweigerung (OLG Düsseldorf, B. v. 6.7.1984 – 3 W 216/84 – EZAR 135 Nr. 5); „Untertauchen“ bei ähnlichem Anlass in der Vergangenheit; nicht ausreichend: gänzlich fehlende Bindungen im Inland (BayObLG, B. v. 29.10.1987 – BReg. 3 Z 171/87 – DÖV 1988, 182; B. v. 2.9.1993 – 3Z BR 167/93 – EZAR 048 Nr. 8).
Die - lange zurückliegende - Einreise ohne Passdokumente und unter falschem Namen, die bloße Weigerung, freiwillig auszureisen oder das Unterlassen gebotener Mitwirkungshandlungen reichen hier weder für sich noch in der Gesamtschau aus, um den Verdacht zu begründen, die Abschiebung hätte nicht ohne die Festnahme der Betroffenen durchgeführt werden können (vgl. OLG Zweibrücken, B. v. 07.02.2001 – 3 W 37/01 – bei juris sowie OLG Düsseldorf, B. v. 20.06.1997, InfAuslR 1997, 407). Diese Umstände rechtfertigen nur die Durchführung der Ausreisepflicht mittels Abschiebung. Aus der Erforderlichkeit der Abschiebung lässt sich nicht ohne weiteres auf die Notwendigkeit der Sicherungshaft schließen. Enge soziale Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland lassen ebenso wenig den Schluss auf eine Entziehungsabsicht zu (OLG Oldenburg, B. v. 14.12.2009 – 13 W 32/09 –).
Große Bedeutung hatte dieser Haftgrund zudem in der Haft im Asylverfahren (s.o. Rn. 47 f.; zum alten Rechtsstand bei Winkelmann, Haft im Asylverfahren).
Zur Haft im Asylverfahren (1.2 MB)
Die haftverschärfenden, weil einschränkenden, Bedingungen des speziellen § 14 Abs. 3 AsylVfG greifen nur dann ein, wenn der Betroffene erstmals ein Asylbegehren geltend macht, während er sich in einer (bereits) richterlich angeordneten Haft befindet und es sich dabei handelt um Untersuchungshaft, Strafhaft, Vorbereitungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG, Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil er sich nach der unerlaubten Einreise länger als einen Monat (Monatsprivileg) ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten hat, oder Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG. Die privilegierende Regelung ist somit unwirksam, wenn auch der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vorliegt. Wenn sich hingegen lediglich der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, d.h. der Haftgrund wegen illegaler Einreise ergibt, der aber nach förmlicher AsylantragsteIlung ein weiteres Festhalten nur dann rechtfertigt, wenn der Betroffene sich bereits mehr als einen Monat im Bundesgebiet illegal aufgehalten hat, besteht mit förmlicher AsylantragsteIlung durch den Betroffenen beim Bundesamt keine Rechtfertigung für eine Inhaftierung des Betroffenen mehr (vgl. auch LG Saabrücken, B. v. 06.12.2010 – 5 T 514/10 –).
Der BGH hat entschieden, dass momentan Haftanordnungen zum Zweck der Überstellung von Ausländern in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, die auf Fluchtgefahr gestützt werden, nicht ergehen dürfen (BGH, B. v. 26.06.2014 – V ZB 31/14 –, mit Berichtigungsanmerkungen aufgrund BGH, B. v. 23.07.2014 zu – V ZB 31/14 –, juris).
In der Dublin-III-Verordnung, die auf alle seit dem 01.01.2014 an andere Mitgliedstaaten gerichteten Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme anzuwenden ist, sind erstmals durch das Unionsrecht auch die Voraussetzungen für eine Inhaftnahme geregelt. Danach darf eine Person zur Sicherstellung ihrer Überstellung nur dann in Haft genommen werden, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen (Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung). Die Verordnung bestimmt zudem den Begriff der "Fluchtgefahr" als das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, dem gegen ihn laufenden Überstellungsverfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte (Art. 2n Dublin-III-Verordnung). Der Bundesgesetzgeber hat bisher keine gesetzlichen Bestimmungen zur Ausfüllung des Art. 2n Dublin- III-Verordnung geschaffen. Nach der zuvor geltenden Dublin-II-Verordnung erfolgte die Inhaftierung zur Sicherung der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Deutschland nach der Vorschrift des § 62 AufenthG. In den meisten Fällen wurde die Haft auf der Grundlage von § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG angeordnet, wonach ein Ausländer in Haft zu nehmen ist, wenn der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Unter Geltung der Dublin-III-Verordnung sind auf § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gestützte Inhaftnahmen von Ausländern zum Zwecke der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nun aber rechtswidrig. Denn diese Norm legt (anders als § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG keine objektiven Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr fest und genügt daher nicht den durch Art. 2n Dublin III-Verordnung gestellten Anforderungen. Das hat zur Folge, dass zurzeit Haftanordnungen zum Zweck der Überstellung von Ausländern nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung nicht ergehen dürfen.
Siehe hierzu auch schon AG Hannover, B. v. 20.05.2014 – 43 XIV 36/14 B –, InfAuslR 7/8 2014. Das AG Wenningsen (B. v. 27. 01.2015 - 2 XIV 2/15 B – 2 XIV 2/15 B –, juris) stellt fest, dass der Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 lit. n) Dublin III-Verordnung mit demjenigen des Art. 15 Abs 1 i.V.m. Art. 3 RFRL weitgehend identisch ist; deshalb sind Voraussetzung der Feststellung von Fluchtgefahr als Grund für die Verhängung von Abschiebungshaft - heute nicht vorhandene - gesetzliche Kriterien.
Ein erster Referentenentwurf "zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung", der u.a. die Kritierien für die "Dublin-Haft" neu definieren sollte, wurde teils heftig kritisiert (s. u.a. der Kommentar von Heribert Prantl, http://www.sueddeutsche.de/politik/gesetzentwurf-zur-asylpolitik-perfidie-in-paragrafenform-1.1955012, v. 09. Mai 2014.
Grundsätzlich ist aber in Ausnahmefällen - soweit der dt. Gesetzgeber nachregelt - eine Überstellungshaft möglich, so im Einklang mit der Richtlinie 2003/9/EG (Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten) und der Richtlinie 2005/85, soweit ein Asylantrag einzig und allein zu dem Zweck gestellt wurde, den Vollzug der Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden, und es objektiv erforderlich ist, die Haftmaßnahme aufrechtzuerhalten, um zu verhindern, dass sich der Betreffende endgültig seiner Rückführung entzieht (EuGH, U.v. 30.05.2013 Rs. C-534/11 "Arslan").
Zur bisherigen Folgerechtsprechung des BGH in dieser Sache:
BGH, B. v. 23.09.2014 – V ZB 130/14 –; BGH, B. v. 22.10.2014 – V ZB 124/14 – (klarstellend auch für Absatz 3 Satz 1 Nr. 1- unerlaubte Einreise) ; BGH, B. v. 30.10.2014 – V ZB 68/14 –; BGH, B. v. 30.10.2014 – V ZB 138/14 –; BGH, B. v. 05.11.2014 – V ZB 45/14 –; BGH, B. v. 05.11.2014 – V ZB 59/14 –; BGH, B. v. 06.11.2014 – V ZB 144/14 –; BGH, B. v. 26.11.2014 – V ZB 150/14 –; BGH, B. v. 26.11.2014 – V ZB 151/14 –; BGH, B. v. 27.11.2014 – V ZB 149/14 –; BGH, B. v. 07.01.2015 – V ZB 193/14 –; BGH, B. v. 23.02.2015 – V ZB 80/14 –; BGH, B. v. 03.03.2015 – V ZB 48/14 –; BGH, B. v. 03.03.2015 – V ZB 104/14 –; BGH, B. v. 03.03.2015 – V ZB 120/14 –, juris.
Nach § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann ein Ausländer für die Dauer von längstens zwei Wochen in Sicherungshaft genommen werden, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Wegen der kurzen Haftdauer kommt die Rechtsbeschwerdeinstanz naturgemäß selten dazu, sich mit diesem Haftgrund zu befassen. Die Abschiebung muss innerhalb dieser Zeit sowohl vollziehbar sein (§§ 58 bis 60 a AufenthG) als auch vollzogen werden können. Erforderlich sind u.a.: Fehlen von Duldungsgründen (§ 60 a), ausreichende Ausweispapiere, Transportmöglichkeit, Aufnahmebereitschaft des Zielstaats. Diese Voraussetzungen müssen sicher, nicht nur wahrscheinlich sein, nämlich feststehen; allerdings reicht es, wenn sie innerhalb der Zweiwochenfrist erfüllt sein werden. Hauptanwendungsfall dürfte die Sammelabschiebung auf dem Luftweg sein. Die damit verbundenen Organisationsarbeiten sollen erleichtert werden (BT-Drucks. 12/2062 S 45 f.). Dies allein kann aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht genügen (Heinhold, ZAR 2004, 185). Es muss im Einzelfall eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sonst die Abschiebung wesentlich erschwert oder vereitelt wird (OLG Hamburg, B. v. 3.2.2004 – 2 Wx 128/02 –).
Außerdem führt die Vorschrift in vielen Gerichtsbezirken ohnehin eher ein Schattendasein. Die Anwendung der Vorschrift setzt voraus, dass die Abschiebung innerhalb von längstens zwei Wochen seit Haftanordnung durchgeführt werden kann. Das OLG Karlsruhe hat zum alten Recht in FGPrax 1999, 79 f deshalb festgestellt, dass die Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG (aF) nicht in der Weise angeordnet werden könne, dass sie erst mit dem Ende einer zum Zeitpunkt der Entscheidung noch andauernden Untersuchungshaft beginnen soll (also nicht als "Überhaft"). Die Ausländerbehörde hatte hier keine Ausreisefrist gesetzt. Das OLG hatte die Frage, ob eine Ausreisefrist Voraussetzung für die Anwendung des § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG sei, offengelassen. Weiterhin hieß es in der genannten Entscheidung, dass die Haft nach § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG auch dann angeordnet werden könne, wenn kein Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 AuslG vorliege (ebenso Pfälz. OLG Zweibrücken vom 30.07.2002 – 3 W 138/02 – und wohl auch BayObLG vom 30.01.2002 – 3Z BR 244/01 –). Nach einer Entscheidung des OLG Naumburg vom 13.03.2000 – 10 Wx 25/99 – kommt es für die Erforderlichkeit der Haft im Gegensatz zu der Haft nach § 57 Abs. 2 Satz 1 AuslG bei der Haft nach § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG nicht auf das Verhalten des Betroffenen an (ebenso BayObLG, B. v. 11.10.2001 – 3Z BR 336/01 –), allerdings müsse auch hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet und die Angemessenheit und Zumutbarkeit im Einzelfall geprüft werden; zudem komme bei der vorzunehmenden Abwägung (fakultativer Haftgrund) dem Ausmaß des zur Vorbereitung der Abschiebung notwendigen Verwaltungsaufwandes eine maßgebliche Bedeutung zu.
Die Voraussetzung „Ablauf der Ausreisefrist" stellt lediglich klar, dass sämtliche Voraussetzungen für eine Abschiebung erfüllt sein müssen. Insbesondere handelt es sich nicht um einen selbständigen Haftgrund. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/2062 S. 45 f.):
„Der neu eingefügte Satz 2 regelt einen fakultativen Haftgrund, der voraussetzt, dass sämtliche Abschiebungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Vorschrift soll vor allem bei Sammelabschiebungen und in sonstigen Fällen, in denen die Abschiebung einen erheblichen organisatorischen Aufwand erfordert oder nur - z.B. im Hinblick auf die Gültigkeitsdauer der Reisedokumente - in einem begrenzten Zeitraum möglich ist, den Vollzug der Abschiebung sichern." (OLG Hamm, B. v. 02.09.2004 – 15 W 84/04 –).
Das BVerfG (B. v. 13.07.1994 – 2 BvL 12/ 93 – und – 45/93 – (= NVwZ-Beil. 1994, 57 = InfAuslR 1994, 342 = DVBl. 1994, 1404 = EZAR 048 Nr. 13) entschieden, dass allein die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale der Haftgründe des § 57 Abs. 2 Satz 1 AuslG nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend erscheint, um zwingend die Rechtsfolge der Anordnung der Sicherungshaft auszulösen, wenn sich der Ausländer offensichtlich nicht der Abschiebung entziehen will. Nach Auffassung des Senats muss dies in gleicher Weise für den Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG gelten (OLG Frankfurt/Main, B. v. 15.03.2004 – 20 W 426/03 –).
Die Anordnung der „kleinen“ Sicherungshaft gem. § 62 Abs. 3 S. 2 AufenthG ist durch das Wort „kann“ in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Die tatrichterliche Entscheidung muss auch die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gründe erkennen lassen (§ 6 Abs. 1 FreihEntzG; siehe zur vergleichbaren Rechtslage im allgemeinen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Bassenge/Herbst/Roth FGG 10. Aufl. § 25 Rn. 2). Das Rechtsbeschwerdegericht kann zwar nicht die sachliche Richtigkeit der tatrichterlichen Ermessensentscheidung nachprüfen. Zu überprüfen ist jedoch, ob der Tatrichter ein Ermessen überhaupt ausgeübt oder die Notwendigkeit dazu verkannt hat (z.B. BayObLG NJW-RR 1990, 52/53; 1992, 1159; Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 23), OLG München, B. v. 16.01.2006 – 34 Wx 172/05 –; OLG Köln, B. v. 26.07.2006 – 16 Wx 151/06 –; KG Berlin, B. v. 06.09.2006 – 25 W 9/06 –; OLG Hamm, B. v. 06.11.2006 – 15 W 299/06 –; OLG Düsseldorf, B. v. 08.12.2006 – I-3 Wx 244/06 –). Das Beschwerdegericht berücksichtigt bei seiner Ermessensausübung wesentliche Gesichtspunkte nicht, wenn es einseitig die Kosten der Luftabschiebung, die im Falle eines Untertauchens des Betroffenen umsonst aufgewendet worden wären, zur Rechtmäßigkeitsbegründung der Abschiebungshaft heranzieht (vgl. OLG München, B. v. 14.06. 2007 – 34 Wx 071/09 –). Die Voraussetzung einer Haftanordnung setzt die Annahme einer wesentlichen Erschwerung oder Vereitelung der Abschiebung aufgrund konkreter Umstände im Einzelfall voraus, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit begründet, gerade dieser Betroffene stehe der geplanten Abschiebung ohne Vollzug von Haft nicht zur Verfügung (Anschluss an OLG Hamburg, B. v. 3.2.2004 – 2 Wx 128/02 –, OLG München, B. vom 17.11.2009 – 34 Wx 069/09 –).
Wie schon der Gesetzeswortlaut belegt ("kann"), ist die Haftanordnung nämlich in das Ermessen des Gerichts gestellt. Aus diesem Grund hat der Tatrichter im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG festzustellen, ob auf den Einzelfall bezogene Tatsachen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür ergeben, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen wird (OLG Düsseldorf, InfAuslR 2007, 111 f.; OLG München, InfAuslR 2010, 71, 72 f.; HK-AuslR/Keßler, § 62 AufenthG Rn. 30 mwN; Huber/Beichel-Benedetti, AufenthG, § 62 Rn. 16; Marschner in Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, Abschnitt E Rn. 28; Renner/Dienelt, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 62 AufenthG Rn. 21; einschränkend OLG Hamm, FGPrax 2005, 90, 91 f. und InfAuslR 2007, 159, 160 f.; BGH, B. v. 13.02.2012 – V ZB 46/11 –, juris). Denn der Umstand, dass er nicht freiwillig ausreist, ist für sich genommen kein Haftgrund, sondern Voraussetzung für die Abschiebung. Die Entscheidung selbst erfordert eine Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und dem staatlichen Interesse an der zügigen Durchführung der Abschiebung, das umso schwerer wiegt, je höher die Gefahr der Entziehung einzuschätzen ist. Die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gründe sind - wenn auch in knapper Form - in der Entscheidung darzulegen (§ 38 Abs. 3 Satz 1, § 69 Abs. 2 FamFG). Das Rechtsbeschwerdegericht darf zwar nicht das Ermessen des Tatrichters durch eine eigene Entscheidung ersetzen. Es hat aber zu überprüfen, ob eine Ermessensausübung überhaupt stattgefunden hat und ob sie fehlerfrei - insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - erfolgt ist (vgl. zum Ganzen OLG Düsseldorf, InfAuslR 2007, 111 f.; OLG Hamm, InfAuslR 2007, 159, 160 f.; OLG München, InfAuslR 2010, 71, 72 f.), BGH, B. v. 19.01.2012 - V ZB 221/11 -, bei Winkelmann, a.a.O.; BGH, B. v. 10.05.2012 – V ZB 35/12 –, juris.
Anforderungen an Beantragung und Anordnung von Sicherungshaft
Ist eine Haftanordnung bei Widerruf einer Duldung auf § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gestützt, kann diese keinen Bestand haben, wenn sie nur zur Sicherung einer Abschiebung innerhalb von zwei Wochen geeignet war, die Betroffene jedoch Anspruch hatte, die Abschiebung einen Monat vorher angekündigt zu erhalten (§ 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG aF, jetzt § 60a Abs. 5 S. 4 AufenthG), BayObLG, B. v. 11.05.2004 – 4 Z BR 029/04 –.
Die Ausweitung der Möglichkeiten behördlichen Gewahrsams sind erkennbar auf eine enge Frist von zwei Wochen beschränkt und lassen keinen Raum für die Ausweitung der Vorschrift. Würde man bei einer Änderung der Sachlage zulassen, dass ein neuer Antrag mit erneutem Fristlauf möglich wäre, könnte dies zur Folge haben, dass eine Person, die gemäß § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG inhaftiert worden ist und der keinerlei Entziehungsversuche bzw. Entziehungsabsicht zur Last gelegt werden, über deutlich längere Zeiträume als die im Gesetz normierten 14 Tage festgehalten werden könnte (OLG Frankfurt/Main, B. v. 12.02.2008 – 20 W 42/08 –).
Der Haftantrag ist unzulässig, wenn nicht feststeht, dass die Abschiebung innerhalb von 2 Wochen durchgeführt werden kann. Zur Bedeutung im Rahmen der Pass(ersatzpapier)beschaffung s. Nr. 6.2, Rn. 101 f. und mit weiteren Nachweisen bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht).
Passbeschaffung in Dreimonatsfrist nach § 62 Abs. 3 S. 4 AufenthG
Ist die antragstellende Behörde jedoch zum Zeitpunkt der Antragstellung noch gar nicht im Besitz eines für die Abschiebung zwingend erforderlichen Heimreisedokuments für den Betroffenen und hegt sie die Hoffnung, anlässlich der Festnahme des Betroffenen und der Durchsuchung seiner Wohnung seinen Reisepass sicherstellen zu können, ist es aber gerade nicht als feststehend anzusehen, dass die Abschiebung innerhalb von 2 Wochen durchgeführt werden kann (insbesondere dann nicht, wenn der Pass des Betroffenen sich nicht in seiner Wohnung befand, sondern beim (…) Generalkonsulat, das dessen Herausgabe oder die Ausstellung eines Laissez-passer verweigerte; AG Frankfurt/Main, B. v. 29.08.2008 – 934 XIV 1724/08 –.
Die „kleine“ Sicherungshaft setzt voraus, dass die Abschiebung auch durchgeführt werden kann. Die Voraussetzung entfällt in dem Moment, in dem das Flugzeug ohne den Betroffenen startet. Damit bestand der Haftgrund nicht mehr und der Betroffene wäre, da es auf der Hand lag, dass in den verbleibenden Tagen kein neuer Rückflug mehr organisiert werden konnte, sofort zu entlassen gewesen. Die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde hat auch dann, wenn sie sich hierfür im Wege der Rechtshilfe einer anderen Behörde bedient, organisatorisch sicherzustellen, dass bei Fortfall der Haftvoraussetzungen eine unverzügliche Entlassung des Betroffenen erfolgen kann (OLG Köln B. v. 04.05.2005 – 16 Wx 61/05 –).
Die Haftanordnung dient dazu, den Vollzug der Abschiebung zu ermöglichen (vgl. Melchior in ZAR 2000, 110, 114). Hieraus folgt an sich, dass die Haftanordnung nicht ihre Wirksamkeit verliert, wenn die versuchte Abschiebung – aus welchen Gründen auch immer – vorzeitig abgebrochen werden muss. Die Regelung des § 62 Abs. 2 S. 5 findet im Rahmen der Zurückweisungshaft keine Anwendung. Bei der Rückführung aus der Zurückweisungshaft heraus gilt die grundsätzliche völkerrechtliche Sichtweise, wonach die bisherige Haftanordnung bei einem Scheitern der Rückführung erhalten sein kann. Unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten ist anzumerken, dass die Haftanordnung, solange sich das Luftfahrzeug, z.B. bei Rückführungen auf dem Luftweg, noch auf oder über deutschem Hoheitsgebiet befindet, ihre Gültigkeit nicht verliert (Winkelmann, „Neue Regelungen zum Haftrecht“, Nr. 2.4 (Scheitern der Abschiebung), Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht).
So wird diese in Bezug auf die ggf. begleitenden Beamten der BPOL auch nicht durch die Bordgewalt des Luftfahrzeugführers verdrängt (ebenso und ausführlich dazu Westphal/Stoppa, a.a.O., S 609). Nach Verlassen des deutschen Hoheitsraumes fehlt bei Flug mit ausländischen Luftfahrzeugen jeglicher Anknüpfungspunkt zum deutschem Recht, während bei Flugzeugen mit deutschem Hoheitszeichen bei Flug über staatsfreiem Gebiet sowie im Rahmen geltenden Völkervertragsrechts (Verträge über Rück- oder Durchbeförderung) und des Europarechts (z.B. RL 2003/110/EG; § 74a AufenthG) Ausnahmen bestehen (so Westphal/Stoppa, a.a.O., S 613). Unsicherheiten waren insoweit allerdings wegen der Entscheidung des OLG München, B. v. 19.07.2006 – 34 Wx 074/06 – (vorzeitiger Abbruch einer unbegleiteten Rückführung in Doha/Katar), aufgekommen. So bislang überwiegend davon ausgegangen worden war, dass sich eine Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung erst dann erledigt, wenn die Abschiebung durch Einreise/Rückkehr in den Zielstaat tatsächlich abgeschlossen ist (so Melchior, Abschiebungshaft, Anhang, Rundbrief 14/2006), widersprach das OLG dieser Ansicht. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jede Haftanordnung der Abschiebungs- oder Zurückschiebungshaft bei einem Scheitern der Abschiebung unwirksam wird, es sei denn der Betroffene hat das Scheitern zu vertreten (a.A. Nr. 62.2.5.0 AVwV: Der Vorschriftengeber geht offenbar von der - hier nicht geteilten - Auffassung aus, dass eine Abschiebung nur gescheitert ist, wenn diese nach den objektiven Umständen nicht zeitnah nachgeholt werden kann).
§ 62 Abs. 3 Satz 5, gilt aber nur für die Sicherungshaft nach Satz 1, nicht für die so genannte „kleine Sicherungshaft“ nach Satz 2 (s.o. Rn. 72 f.). Eine Abschiebungshaftanordnung verliert ihre Wirksamkeit, wenn der konkrete Abschiebungsversuch vorzeitig abgebrochen werden muss und der Betroffene dies nicht zu vertreten hat. In diesem Fall bedarf es zum weiteren Vollzug der Freiheitsentziehung einer neuen richterlichen Entscheidung (OLG Frankfurt, B. v. 30.01.2009 – 20 W 154/08 – (Scheitern der Abschiebung bei Abbruch des Fluges wegen Defekts des Flugzeugs); BVerfG, B. v. 23.09.2010 – 2 BvR 1143/08 –, bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht).
Scheitern der Abschiebung nach § 62 Absatz 2 Satz 5 AufenthG
OLG Frankfurt am Main, B. v. 16.09.2010 – 20 W 223/08 –
Auslegungsschwierigkeiten wird die Frage bereiten, ob der Betroffene im Einzelfall die Gründe für das Scheitern der Abschiebung zu vertreten hat. In der Gesetzesbegründung wird der Fall genannt, dass der Betroffene im Flugzeug randaliert. Weitaus schwieriger wird die Beurteilung, wenn z.B. der Betroffene (was ihm nicht verwehrt sein kann) dem Flugzeugführer lediglich mitteilt, dass er nicht freiwillig reise, oder wenn er seine Befürchtungen, die er mit einer Rückkehr in sein Heimatland verbindet, darlegt und der Flugzeugführer daraufhin von sich aus die Mitnahme ablehnt. Inwieweit bei der Auslegung des § 62 Abs. 3 Satz 5 die (allerdings auch keineswegs einheitliche) Rechtsprechung zu § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG hilfreich sein kann, soweit es um die Frage geht, ob der Ausländer die Gründe für das Scheitern der Abschiebung zu vertreten hat, erscheint zweifelhaft (auszugsweise aus Melchior, Abschiebungshaft, 08/2007, Nr. 290). Die Sach- und Rechtslage ist im Falle des Abs. 3 Satz 4 im Unterschied zu Abs. 3 Satz 5 eine andere. Gegenüber dem Ausländer muss nunmehr festgestellt werden, dass der Betroffene die Gründe für das Scheitern der Abschiebung zu vertreten hat. Ist dies nicht oder nicht eindeutig feststellbar, ist die Haftanordnung mit dem Scheitern des Abschiebevorgangs verbraucht. Im Anschluss daran hat das zuständige Gericht auf (erneuten) Antrag der Behörde über eine (erneute) Haftanordnung zu befinden (§ 62 Abs. 5, so auch Budde, in: Keidel, FamFG, 17. Aufl., § 422 FamFG, Rn. 15). Zu den Anforderungen an die örtliche Zuständigkeit haftantragstellender Behörden und zur Frage des zuständigen Gerichts bei Abgabeentscheidungen nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, §§ 2 Abs. 2 und 416 S. 2 FamFG bei Winkelmann, Migrationsrecht.net Portal Haftrecht:
Zu den Anforderungen an die örtliche Zuständigkeit haftantragstellender Behörden
Zur Zuständigkeit der Gerichte bei Abgabeentscheidungen nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG
Die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) ist in der letzten Zeit vermehrt in den Blickpunkt geraten. Dies hängt maßgeblich mit Rücknahme der Vorbehaltserklärung der Bundesrepublik Deutschland von Juli 2010 zusammen, die damit die KRK vollumfänglich anerkennt.
Die Konvention wurde durch Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen 44/25 vom 5. Dezember 1989 angenommen und trat am 02.09.1990 - für die Bundesrepublik Deutschland am 05.04.1992 in Kraft.
Die Zahl der Vertragsstaaten beträgt aktuell 193.
Übereinkommen über die Rechte des Kindes (für Mitglieder)
Die Frage, inwieweit die KRK als völkerrechtlicher Vertrag geeignet ist individuell einklagbare Rechte zu verleihen, ist nach objektiven Kriterien nach der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK), Art. 31-33, zu beurteilen (so zu Recht bejahend Dr. Hendrik Cremer, Menschenrechtsverträge als Quelle von individuellen Rechten, AnwBl 3/2011; siehe auch news in MNet vom 04.06.2006). Insbesondere Art. 20 KRK ist hierbei von zentraler Bedeutung, der in konkreten Notsituationen ein Recht auf Betreuung und Unterbringung zum Wohl des Kindes vorschreibt.
Artikel 20 KRK
Deutschland ist schon aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebots völkerrechtsfreundlichen Verhaltens an die KRK gebunden. Zusätzlich erfolgte die notwendige Transformation über Art. 59 Abs. 2 GG in Form des Vertragsgesetzes im Februar 1992 (BGBl. 1992 II, S. 121). Damit sind die deutschen Rechtsprechungsorgane, die Gerichte und die vollziehende Gewalt an die Bestimmungen der KRK gebunden (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG). Nach Rücknahme der Erklärung besteht auch kein innerstaatlicher Anwendungsvorbehalt mehr; damit gilt insbesondere der so genannte "Ausländervorbehalt" nicht mehr ("auch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, daß sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthaltes zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen").
Entscheidend bei der Rechtsanwendung innerstaatlichen Rechts ist jedenfalls die völkerrechtskonforme Auslegung und Anwendung in der Weise, dass dem Völkerrechtsvertrag auch praktische Wirksamkeit verliehen wird.
Daher ist unbhängig von der Weiterentwicklung nationalen Rechts aufgrund der Umsetzung der RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) die völkerrechtliche Implikation der KRK bei der Behandlung von Minderjährigen in Bezug auf Abschiebungshaft zu beachten. Art. 20 KRK hat uneingeschränkte Bedeutung für unbegleitete ausländische Minderjährige, so dass sie in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe unterzubringen sind. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen und jedenfalls dessen Sicherung haben zu unterbleiben, wenn sie nicht im Lichte des Kindeswohlmaßstabs erfolgen (Cremer, a.a.O.).
Dies hat in der Vergangenheit in der deutschen Rechtsprechung nicht immer ausreichend Rückhalt gefunden.
Zu Feststellungen von minderjährigen Alleinreisenden bis zum 16. Lebensjahr an deutschen Grenzen liegen der Bundesregierung folgende Erkenntnisse vor: 2008: 174; 2009: 173 und 2010: 282 Reisende. Die meisten Alleinreisenden wurden danach an deutschen Flughäfen aufgegriffen und stammten aus Afghanistan. Etwa 2/3 davon wurden an die Jugendämter übergeben. Minderjährige werden bei der Ein- und Ausreise unter Anwendung der einschlägigen Normen des Ausländer- und Asylrechts wie Erwachsene kontrolliert. Spezielle Dienstanweisungen oder Verwaltungsvorschriften zur Behandlung von minderjährigen Alleinreisenden gibt es für die Bundespolizei nicht. Die besonderen Belange minderjähriger Alleinreisender fließen nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles in die Entscheidungen und Maßnahmen der Bundespolizei ein. Im Jahr 2008 sind 8 unbegleitete Minderjährige zurückgewiesen und 12 zurückgeschoben worden. Im Jahr 2009 gab es 5 Zurückweisungen und 27 Zurückschiebungen und im Jahr 2010 3 Zurückweisungen und 21 Zurückschiebungen von minderjährigen Alleinreisenden. Zu Freiheitsentziehungen liegen keine Erkenntnisse vor (Antwort der Bundesregierung v. 21.10.2011 (BT-Drucks. 17/7433).
Grundsätzlich kommt bei minderjährigen Ausländern der Anordnung von freiheitsentziehenden Maßnahmen zur Sicherung der Abschiebung / Zurückschiebung / Zurückweisung wegen deren besonderer Schutzbedürftigkeit und der Schwere des Eingriffs ganz besondere Bedeutung zu. In einem solchen Fall sind daher sowohl an das Beschleunigungsgebot (s.o. Rn. 19 f.) als auch an die Verhältnismäßigkeit besondere Anforderungen zu stellen (vgl. auch AG Frankfurt/Main – 934 XIV 1877/08 – v. 24.10.2008; Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht).
AG Frankfurt/Main, B. v. 24.10.2008 – 934 XIV 1877/08 –
Haft bei Minderjährigen und Altersfeststellung
Bei einem 16-jährigen ist eine Dauer von mehr als drei Monaten unverhältnismäßig, wenn er keinen Kontakt zu Familienmitgliedern oder Bekannten hat, sich nicht strafbar gemacht hat und die Abschiebung selbst nicht behindert (OLG Frankfurt, B. v. 10.1.1994 – 20 W 477/93 – EZAR 048 Nr. 9).
Die Voraussetzungen für eine Haftanordnung sind nicht gegeben, wenn die Ausländerbehörde in ihrem Haftantrag nicht darlegt, warum mildere Mittel als Haft zur Sicherung der zwangsweisen Ausreise nicht in Frage kommen (LG Passau, B. v. 24.07.2012 – 2 T 113/12 – ; B. v. 13.08.2012 – 2 T 129/12 –, bei Winkelmann,
LG Passau – 2 T 113/12 – B. v. 24.07.2012 und – 2 T 129/12 – B. v. 13.08.2012.
Das OLG Köln (B. v. 11.09.2002 – 16 Wx 164/02 – führte hierzu aus:
„(...) gerade Minderjährige werden von der Vollziehung einer Haftanordnung erheblich betroffen und können hierdurch dauerhafte psychische Schäden davontragen. Nach dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allen Verwaltungshandelns, der die Ausländerbehörde in jedem Fall zwingt, das Abschiebungsverfahren mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben und unverzüglich die notwendigen Vorbereitungen für die Abschiebung zu treffen, ist die Verwaltungsbehörde im Falle der Minderjährigkeit darüber hinaus verpflichtet, alle Möglichkeiten zu prüfen, die auf mildere und weniger einschneidende Weise die beabsichtigte Abschiebung sichern zu können. Dies gilt nicht erst seit dem Erlass des Innenministers vom17.7.2002 zur Ergänzung der Richtlinien zur Vorbereitungs- und Sicherungshaft vom 25.4.1996, sondern folgt unmittelbar aus der Verfassung. Mildere Mittel zur Vermeidung der Abschiebehaft könnten die Unterbringung in Jugendeinrichtungen, Meldeauflagen, räumliche Beschränkungen des Aufenthaltsortes u.ä. sein. Dass derartige mildere Mittel von der Verwaltung geprüft wurden und warum sie im Einzelfall nicht in Betracht kommen, ist von der Verwaltung bereits in ihrem Haftantrag ausführlich darzustellen. Dazu genügt es nicht, dass ein vom Betroffenen selbst genanntes milderes Mittel als untauglich qualifiziert wird. Fehlt es an einer solchen ausführlichen Darlegung, ist davon auszugehen, dass die Verwaltung die erforderliche Prüfung unterlassen hat und dass daher die Haftvoraussetzungen derzeit nicht vorliegen (...)."
Die Aufklärung des tatsächlichen Alters einer ausweislosen Betroffenen, die angibt noch minderjährig zu sein, gehört im Rahmen der Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG zur unerlässlichen Aufgabe des Gerichtes (vgl. OLG München, B. v. 28.04.2005 – 34 Wx 045/05 – zu § 12 FGG). Die Minderjährigkeit eines von Abschiebungshaft Betroffenen bestimmt sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 80 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), also nach § 2 BGB. Dafür kommt neben der Gewinnung eines unmittelbaren Eindrucks von dem Betroffenen im Rahmen der grundsätzlich auch im zweiten Rechtszug gebotenen persönlichen Anhörung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 FEVG und Umkehrschluss aus § 7 Abs. 5 FEVG, heute § 34 i.V.m. § 420 FamFG) auch die Einholung von sachverständigem Rat in Betracht (z.B. Überprüfung des Lebensalters durch Röntgen des Handwurzelknochens oder Untersuchung der Gebissentwicklung, vgl. Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken, B. v. 09.03.2006 – 3 W 36/06 –). So auch der BGH, B. v. 29.09.2010 – V ZB 233/10 –:
Bei Zweifeln über die Minderjährigkeit des Betroffenen sind hohe Anforderungen an die Ausfüllung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 26 FamFG) zu stellen, und im Zweifel ist zugunsten des Betroffenen zu entscheiden (vgl. OLG Köln, OLGR 2009, 811, 812). Der Rechtsbeschwerde ist auch zuzugeben, dass die auf ein großes Erfahrungswissen gestützte Einschätzung des Haftrichters, der Betroffene sei volljährig, in der Regel nicht ausreicht, um ein sicheres Bild zu gewinnen. Vielmehr sind die nach § 49 Abs. 3 i.V.m. Abs. 6 AufenthG vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen Bei minderjährigen Ausländern kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wegen der Schwere des Eingriffs besondere Bedeutung zu. Die Anordnung von Abschiebungshaft gegen Minderjährige ist nur geboten und zulässig, wenn anderweitige geeignete Sicherungsmaßnahmen nicht gegeben sind (weiterführend BGH, B. v. 14.10.2010 – V ZB 78/10 –).
Der Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG gilt ebenso in Kindschaftssachen gem. § 151 Abs. 1 Nr. 5 FamFG. Das Amtsgericht genügt seiner Amtsermittlungspflicht gem. § 26 FamFG nicht ausreichend, wenn bei Zweifeln über das Alter des Betroffenen nicht alle Möglichkeiten, das Alter festzustellen, ausgeschöpft werden. Nach Auffassung des OLG München (B. v. 25.05.2011 – 12 UF 951/11 –, bei Winkelmann), hätte das Amtsgericht insbesondere klären müssen, inwiefern der Betroffene mit der Fertigung von Röntgenbildern der Handwurzel, des kompletten Armskeletts, des Gebisses oder des Brust- und Schlüsselbeins durch die Rechtsmedizin zur Altersfeststellung einverstanden gewesen war. Auch ohne Röntgenuntersuchung bliebe die Möglichkeit der Altersbestimmung durch Inaugenscheinnahme durch einen medizinischen Sachverständigen. Soweit die Entscheidung jedoch allein auf die Feststellung von Mitarbeitern der Verwaltungsbehörde gestützt wurde, war nicht ersichtlich, dass diese die erforderliche medizinische Kompetenz hatten, das Alter des Betroffenen festzustellen.
OLG München - 12 UF 951/11 - Beschluss vom 25.05.2011
Gegen die Feststellung des Alters im Rahmen der so genannten forensischen Altersdiagnostik, bestehen erhebliche rechtliche Bedenken (siehe hierzu näher: Schmehling, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 101, Heft 18 v. 30.04.04 und Institut für Rechtsmedizin - Charité Universitätsmedizin Berlin; Dokumente abrufbar unter Rn. 84, Dokument Haft bei Minderjährigen und Altersfeststellung):
Die Kombination der einzelnen medizinischen Methoden (Körperliche Untersuchung, Röntgen der linken Hand und ggf. Röntgen des Schlüsselbeins, Begutachtung mit Erfassung der Körpermaße, Reifezeichen, Entwicklungsstörungen sowie Erhebung des Zahnstatus und Nutzung ggf. vorhandener Untersuchungsergebnisse) ergibt eine annähernd Erfolg versprechende Streubreite von +/- 1 Jahr. Da keine medizinische Indikation bei den Untersuchungen vorliegt, wird nach § 25 Röntgenverordnung eine gesetzliche Grundlage gefordert, die mit dem Richtlinienänderungsgesetz vom 27.08.2007 (vgl. § 49 Abs. 6 AufenthG n.F.) eingefügt wurde. Wenn mit Rückgriff auf diese Norm nur ein eingeschränktes Methodenspektrum verwandt wird und nicht eine Kombination der medizinisch möglichen und vertretbaren Untersuchungen (s.o.), ergibt sich ggf. eine kaum gerichtsverwertbare Aussage, die nach § 26 FamFG (Amtsermittlungspflicht) zur Unaufklärbarkeit führen kann (in dubio pro libertate), da die Aussagekraft eine Schwankungsbreite von mehreren Jahren haben dürfte.
Das LG Braunschweig (B. v. 30.12.2009 – 3 T 1065/08, 3 T 464/09 – nahm zu der Problematik der alleinigen Handwurzeluntersuchung einer nach eigenen Angaben 17-jährigen wie folgt Stellung:
„Die röntgenologische Untersuchung des Handwurzelknochens ist im Gesetz weder erwähnt noch ausgeschlossen. Nach § 49 Abs. 2 AufenthG sind bei Zweifeln über das Lebensalter des Ausländers die zur Feststellung seines Lebensalters erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Maßnahmen im Sinne von § 49 Abs.2 sind gemäß Abs. 4 die Vornahme von Messungen und ähnlichen Maßnahmen. Die Röntgenstrahlung am Menschen ist aber nach § 25 Abs. 1 S. 1 der Verordnung über den Schutz vor Röntgenstrahlen nicht für den Zweck der Altersbestimmung vorgesehen und kann damit nicht als "ähnliche Maßnahme" nach § 49 Abs. 4 anerkannt werden (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 49 Rn. 16). Darüber hinaus hält die Kammer die alleinige Durchführung einer derartigen Handwurzeluntersuchung als Methode zur Altersbestimmung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht für ausreichend, um eine sichere Erkenntnis über das Lebensalter zu erzielen. In Anlehnung an die Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin sind sowohl eine körperliche Untersuchung mit Erfassung anthropometrischer Maße (Körperhöhe und - gewicht, Körperbautyp), der sexuellen Reifezeichen sowie möglicher altersrelevanter Entwicklungsstörungen und eine zahnärztliche Untersuchung mit Erhebung des Zahnstatus und Gebissbefundes, wobei Röntgenaufnahmen nicht durchgeführt werden sollen, durchzuführen. Derartige Untersuchungen sind hier weder erfolgt, noch in Erwägung gezogen worden. Gemessen an diesen Empfehlungen war insbesondere im vorliegenden Fall die alleinige Handwurzeluntersuchung unzureichend, zumal das Ergebnis: erwachsene ca. 19 Jahre alte weibliche Person, vage bleibt. Der Altersunterschied zwischen 17 Jahren und 3 Monaten und ca. 19 Jahren ist derart gering, dass es hier weiterer Untersuchungen bedurft hätte.“
Die Abschiebungshaft war damit rechtswidrig.
Das europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) hat eine Studie zur Praxis der Altersbestimmung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Europa veröffentlicht (EASO, Praxis der Altersbestimmung in Europa, Dezember 2013, http://easo.europa.eu/). In der Studie wird festgestellt, dass es zurzeit keine verlässliche Methode zur exakten Altersfeststellung gibt. Aus diesem Grund wird vom Unterstützungsbüro auch keine bestimmte Methode empfohlen. Vielmehr sollten laut dem EASO die Staaten ihre Verfahren zur Altersbestimmung vereinheitlichen, um ein effizientes und wirksames System zu schaffen, dass mit EU-Normen im Einklang steht und bei dem die Kinderrechte gewahrt werden.
Zu den wichtigsten Empfehlungen der Studie gehören (vgl. hierzu auch BAMF, Entscheiderbrief 10/2014):
Sofern im Verfahren auf die ggf. zwischenzeitlich eingetretene Volljährigkeit eines Betroffenen abgestellt wird und deshalb die Minderjährigenproblematik nicht zu berücksichtigen sei, ist dem nicht beizupflichten. Als rechtsfehlerfrei erweist es sich zwar, wenn das Beschwerdegericht davon ausgeht, dass es grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung seiner Beurteilung zugrunde zu legen habe, allerdings darf dadurch ein Verfahrensverstoß nicht zu Lasten des Betroffenen geheilt werden. Dem steht die Bedeutung des hier maßgeblichen Grundrechtseingriffs entgegen (vgl. KG Berlin, B. v. 14.10.2005 – 25 W 66/05 –).
Bei der Wahl der geeigneten Unterkunft für Minderjährige kommt nicht nur die Unterbringung in einer für die Aufnahme von Jugendlichen geeigneten Justizvollzugsanstalt in Betracht. Insbesondere reicht es nicht aus, wenn der Antragsteller die Möglichkeit der Unterbringung in einem Jugendheim oder einer ähnlichen Jugendhilfeeinrichtung mit dem Hinweis auf die nicht bestehende Möglichkeit der ständigen Beaufsichtigung durch eigenes Personal ausschließen will. Denn die in § 13 Abs. 2 S. 2 AufenthG geregelte Fiktion der Nichteinreise und die hierzu erforderliche mögliche Kontrolle des Aufenthaltes durch die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden muss nicht zwingend von dieser Behörde selbst ausgeübt werden. Sie kann vielmehr auch von der tatsächlichen Kontrolle anderer Behörden wie etwa des Jugendamtes, einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung oder einer Justizvollzugsanstalt abgeleitet werden (vgl. OLG Frankfurt/Main, B. v. 15.05.2006 – 20 W 124/06 –).
Die Vorlage eines privatärztlichen Attestes steht einer Haftanordnung grundsätzlich nicht entgegen. Die ärztliche Bescheinigung kann für das Verfahren unter verschiedenen Gesichtspunkten bedeutsam sein, so für die Frage der Haftfähigkeit und/oder die Flugtauglichkeit, ferner ob ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG besteht. Ein etwaiges inlandsbezogenes Abschiebehindernis aufgrund der Reiseunfähigkeit spielt aber für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaft grundsätzlich keine Rolle. Denn über die Grundvoraussetzungen der Haft hat die Ausländerbehörde zu befinden, so dass die Rechtmäßigkeit der ausländerbehördlichen Maßnahmen nur in einem Verfahren vor den Verwaltungsgerichten einer Überprüfung zugeführt werden kann Der Haftrichter hat grundsätzlich keine Kompetenz, das Vorliegen solcher Abschiebungshindernisse zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob und inwieweit sie einer Abschiebung entgegenstehen. Dies ist allein Aufgabe der Verwaltungsgerichte (vgl. OLG München, B. v. 13.11.2007 – 34 Wx 121/07 –).
Die Haftdauer ist mehrfach beschränkt. Schon zu Beginn muss sicher sein, dass die Abschiebung binnen drei Monaten durchgeführt werden kann. Nach der Antwort der Bundesregierung in der BT-Drucks. 17/7446 dauerte ein Viertel aller Abschiebungshaftfälle länger als 6 Wochen. In über 99% der Fälle dauert die Haft weniger als 6 Monate. Auffällig viele über 6-wöchige Inhaftierungen gab es in Hessen (231 von 661 Fällen = 35% im Vergleich zum Bundesdurchschnitt = 25%). Von den im Jahr 2011 inhaftierten ca. 60 Kindern war die Hälfte (29) länger als 2 Wochen inhaftiert. 8 Kinder waren sogar länger als 6 Wochen in Abschiebungshaft (u.a. in Bayern und Hessen). Im Zeitraum 2008 bis 2011 gab es bundesweit fünf Fälle, in denen die Abschiebungshaft länger als 15 Monate dauerte (nach Hohlfeld, Fraktion DIE LINKE vom 07.09.2012).
Abs. 3 Satz 4 stellt eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar.
Die Regelung des § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG lässt erkennen, dass im Regelfall die Dauer von drei Monaten Haft nicht überschritten werden soll und eine darüber hinausgehende Haftdauer nicht ohne weiteres als verhältnismäßig angesehen werden darf (BGH, B. v. 14.04.2011 – V ZB 76/11 –; B. v. 25.03.2010 – V ZA 9/10 –). Daraus folgt, dass die Verlängerung einer auf drei Monate befristeten Haftanordnung unzulässig ist, wenn die Abschiebung aus Gründen unterblieben ist, die von dem Ausländer nicht zu vertreten sind (BGH, B. v. 11. Juli 1996 – V ZB 14/96 –, BGHZ 133, 235, 238 f. zu § 57 Abs. 2 AuslG). Dies erfordert eine Prognose, dass die Abschiebung innerhalb von drei Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt der (ersten) Haftanordnung (BGH, B. v. 10.06.2010 – V ZB 204/09 –, NVwZ 2010, 1172 Rn. 18; BGH, B. v. 01.03.2012 – V ZB 183/11 –, juris), überhaupt, also ohne Berücksichtigung der von dem Ausländer zurechenbar veranlassten Verzögerung, hätte durchgeführt werden können.
Diese Prognose hat der Haftrichter grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können, zu erstrecken. Hierzu sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und zu dem Zeitraum, in welchem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können, erforderlich (vgl. BGH, B. v. 14.04.2011 – V ZB 76/11 –, BGH; B. v. 30.06.2011 – V ZB 139/11 –; BGH, B. v. 09.06.2011 - V ZB 230/10 - bei Winkelmann, a.a.O.; BGH, B. v. 27.10.2011 – V ZB 311/10 –; BGH B. v. 19.01.2012 – V ZB 70/11 –; BGH B. v. 31.01.2012 – V ZB 127/11 –; BGH B. v. 14.02.2012 – V ZB 4/12 –; vgl. OLG Brandenburg, B. v. 23.09.2008 – 11 Wx 46/08 – Rn. 30, juris; s. a. Rn. 101; BGH, B. v. 09.02.2012 – V ZB 305/10 –; BGH, B. v. 03.05.2012 – V ZB 84/11 –, bei Winkelmann a.a.O.; BGH, B. v. 14.06.2012 – V ZB 48/12 –, juris). Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen (BGH, B. v. 10.05.2012 – V ZB 246/11 –, juris). Diese Angaben sind auch nicht deshalb entbehrlich, weil bei Rückübernahmen nach der Dublin II-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 343/2003) grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Zurückschiebung in einen Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten seit der Haftanordnung wird erfolgen können. Denn das gilt nur, wenn festgestellt ist, dass der Mitgliedstaat zur Rückübernahme verpflichtet ist (BGH, B. v. 29.09.2010 – V ZB 233/10 –, Rn. 13, juris). Kann die Behörde unmittelbar nach der Verhaftung des Betroffenen noch keine solchen Angaben machen, muss sie sich darauf beschränken, eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen (BGH, B. v. 31.05.2012 – V ZB 167/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.; s. darauf Bezug nehmend LG Saarbrücken, B. v. 20.09.2012 – 5 T 396/11 –, juris). Dass die Abschiebung des Betroffenen tatsächlich innerhalb des beantragten Haftzeitraums durchgeführt worden ist, ändert an der Unzulässigkeit des Haftantrags nichts. Zwar hat der Senat für eine fehlende Prognose im Sinne von § 62 Abs. 3 S. 4 AufenthG entschieden, dass aus den späteren Abläufen auf den mutmaßlichen Inhalt einer gebotenen, aber unterlassenen Prognose geschlossen werden kann mit der Folge, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auswirkt (BGH, B. v. 22.07.2010 – V ZB 29/10 –, InfAuslR 2011, 27, 29 Rn. 24). Ein unzulässiger Antrag wird aber durch den späteren tatsächlichen Geschehensablauf nicht zulässig (BGH, B. v. 26.01.2012 – V ZB 235/11 –, juris).
Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kann die Sicherungshaft zwar bis zu einer Dauer von sechs Monaten angeordnet werden. Es handelt sich bei dieser Regelung allerdings um eine Höchstdauer. Das Gesetz kennt - schon weil die Abschiebungshaft keinen Strafcharakter hat - weder Mindest- noch Regelhaftzeiten, sondern hat für unterschiedliche Sachverhalte jeweils nur eine unterschiedliche Höchstdauer der Abschiebungshaft festgeschrieben, die auf keinen Fall überschritten werden darf. Die Anordnung von Abschiebungshaft in der Form von Sicherungshaft setzt dabei nicht nur einen Haftgrund voraus, sondern ebenso, dass die Abschiebung des Ausländers tatsächlich und mit der gebotenen Beschleunigung betrieben wird und dass die Haft auch sonst zulässig ist. Die Ausländerbehörde ist deshalb verpflichtet, alles zu tun, um die Abschiebungshaft zu vermeiden bzw. so kurz wie möglich zu halten. Dies folgt bereits aus dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen (BVerfGE 36, 264; NStZ 1994, 93; 1995, 195); s.o. Rn. 19 (KG Berlin, B. v. 08.092003 – 25 W 135/03 – zur Unzulässigkeit der Sicherungshaft bei passlosen indischen Staatsangehörigen).
Auch wenn der Haftrichter Abschiebungshaft für einen Zeitraum von weniger als drei Monaten anordnet, muss er eine Prognose darüber treffen, ob die Abschiebung bei realistischer Betrachtung innerhalb dieser Zeit erfolgen kann (BGH, B. v. 11.05.2011 – V ZB 265/10 –, bei Winkelmann, a.a.O.; BGH, B. v. 14.06.2012 – V ZB 28/12 –, juris).
Erlangt die Behörde Kenntnis von der Ablehnung des Asylantrages des Betroffenen als offensichtlich unbegründet, so gebietet das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot grundsätzlich, dass unverzüglich die für die Durchführung der Abschiebung erforderlichen Maßnahmen eingeleitet werden. Sobald vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, muss die Behörde alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um die erforderlichen Papiere zu beschaffen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann. Vor diesem Hintergrund durfte die Behörde nicht die Bestandskraft des Bescheides abwarten, ehe sie weitere Maßnahmen einleitete (BGH, B. v. 26.09.2013 – V ZB 2/13 –; BGH, B. v. 10.10.2013 – V ZB 25/13 –; BGH, B. v. 17.10.2013 – V ZB 172/12 –, juris). Ist die Abschiebung von der beteiligten Behörde nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben worden, stellte sich die Fortdauer der Haft als ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen dar. Die Haftverlängerung wäre deshalb auf den Antrag des Betroffenen (§ 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG) aufzuheben gewesen. Auf den im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Feststellungsantrag ist entsprechend § 62 Abs. 1 FamFG auszusprechen, dass der Betroffene durch die Anordnung der Haftverlängerung in seinen Rechten verletzt worden ist (BGH, B. v. 07.10.2013 – V ZB 24/13 –, juris).
Die Haft kann wegen Überschreitung dieser Frist unzulässig sein, wenn die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Aufenthaltsbeendigung gerichtlich angeordnet und die Widerspruchsentscheidung nicht absehbar ist (BVerfG-K, B. v. 15.12.2000 – 2 BvR 347/00 – EZAR 048 Nr. 53). Der Ausländer hat die Verzögerung zu vertreten, wenn er die Ausreisedokumente vor der Inhaftierung weggibt (OLG Frankfurt, B. v. 19.01.1994 – 20 W 12/94 – EZAR 048 Nr. 10). Die Höchstdauer von sechs Monaten darf nicht als ohne weiteres verhältnismäßig verstanden werden (OLG Frankfurt, B. v. 19.01.1994 – 20 W 12/94 – EZAR 048 Nr. 10). Sie kann nur hingenommen werden, wenn die Ausländerbehörde die Abschiebung nicht entgegen dem Beschleunigungsgebot (s.o. Rn. 19) verzögert (BayObLG, B. v. 2.1.1997 – 3Z BR 360/96 – EZAR 048 Nr. 33; a.A. zu § 16 Abs. 2 Satz 2 AuslG-1965 BayObLG, B. v. 15.6.1989 – BReg. 3 Z 81/89 – EZAR 135 Nr. 13).
Die rechtsfehlerfreie Annahme des Vorliegens von Abschiebungshaftgründen bedingt konkrete Feststellungen, dass aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Nicht ausreichend sind formelhafte Feststellungen, dass solche Gründe nicht erkennbar sind. Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Das Erfordernis des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG dient nicht dem Schutz des Ausländers vor einer Ausweisung oder Abschiebung, sondern soll verhindern, dass durch Ausweisung und Abschiebung eines Ausländers eine Strafverfolgung gegen den Betreffenden wesentlich erschwert oder vereitelt wird (VGH Baden-Württemberg, B. v. 08.12.2011 – 11 S 3155/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.; VG Augsburg, B. v. 09.02.2011 – Au 1 E 11.179 –, juris). Das Einvernehmen kann nur durch die Staats- oder Amtsanwälte der Staatsanwaltschaft und ihre Vorgesetzten, nicht durch ihre Ermittlungspersonen erteilt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn gegen einen Ausländer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde und er sich deswegen in Untersuchungshaft befindet. Die Anordnung von Abschiebungshaft verletzt das Grundrecht des Ausländers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn eine Abschiebung wegen fehlender Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht durchgeführt werden darf. Ein überwiegendes Interesse an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs gegenüber einem sich illegal im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer kann aber nicht nur im Falle der Abschiebung und Ausweisung, sondern ebenso bei einer Zurückschiebung bestehen (siehe dort Rn. 15). Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die Annahme, die Vorschrift des § 72 Abs. 4 AufenthG lasse die Absicht des Gesetzgebers erkennen, unerlaubte Einreisen vorrangig mit dem Mittel der Zurückschiebung zu bekämpfen und in Fällen, in denen die Zurückweisung möglich ist, den staatlichen Strafanspruch zurücktreten lassen nicht ohne Weiteres. Das Strafverfolgungsinteresse besteht danach bei Zurückschiebung nach Lage des Einzelfalles, was wiederum durch die Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG im Wege der Beteiligung zu klären ist. Die Systematik der Wortverwendung oder -unterlassung „Zurückschiebung“ ist im Aufenthaltsrecht nicht einheitlich und spricht für die Auslegung des BGH. So ist teleologisch auch in § 72 Abs. 4 AufenthG die Zurückschiebung unter den Begriff der Abschiebung zu subsumieren.
Zuvor schon: Die Haft kann wegen Überschreitung der Dreimonatsfrist unzulässig sein, wenn Anklage erhoben ist und nicht das Einverständnis der Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Abschiebung feststeht (OLG Zweibrücken, B. v. 30.12.2002 – 3 W 242/02 – EZAR 048 Nr. 61).
Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft kann auch allgemein erteilt werden kann. In diesen Fällen müssen alle ein Verfahren führende Staatsanwaltschaften nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG der Aufenthaltsbeendigung zustimmen. In dem Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG dargelegt werden, dass die zuständige(n) Staatsanwaltschaft(en) allgemein oder im Einzelfall ihr Einvernehmen mit der Abschiebung nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erklärt hat (haben), wenn sich aus dem Antrag selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig ist. Der Haftantrag muss aber auch dann Ausführungen zu dem generellen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung enthalten, wenn dies gerichtsbekannt ist. Fehlen sie, ist der Antrag mangels ausreichender Begründung unzulässig (BGH, B. v. 17.06.2010 – V ZB 93/10 –, B. v. 18.08.2010 – V ZB 211/10 –, B. v. 20.01.2011 – V ZB 226/10 –, B. v. 21.01.2011 – V ZB 323/10 –; OLG München, B. v. 03.03.2009 – 34 Wx 014/09, 34 Wx 14/09 –, BGH, B. v. 03.02.2011– V ZB 224/10 –, B. v. 10.02.2011 – V ZB 49/10 –, B. v. 24.02.2011 – V ZB 202/10 –, B. v. 07.04.2011 – V ZB 269/10 –, B. v. 31.03.2011 – V ZB 83/10 –, B. v. 07.04.2011 – V ZB 77/10 –, B. v. 07.04.2011 – V ZB 133/10 –, B. v. 07.04.2011 – V ZB 185/10 –, B. v. 07.04.2011 – V ZB 211/10 –, B. v. 27.04.2011 – V ZB 71/11 –, B. v. 28.04.2011 – V ZB 292/10 –, B. v. 28.04.2011 – V ZB 184/10 –, B. v. 12.05.2011 – V ZB 88/10 –, B. v. 03.05.2011 – V ZA 10/11 –, 12.05.2011 – V ZB 166/10 –; 12.05.2011 – V ZB 189/10 –; 09.05.2011 – V ZB 295/10 –; 19.05.2011 – V ZB 49/11; 07.06.2011 – V ZB 44/11 –; B. v. 14.07.2011 – V ZB 187/10 –; B. v. 14.07.2011 – V ZB 5/11 –; B. v. 14.07.2011 – V ZB 50/11 –; B. v. 14.07.2011 – V ZB 75/11 –; B. v. 21.07.2011 – V ZB 220/11 –; B. v. 29.09.2011 – V ZB 61/11 –; B. v. 29.09.2011 – V ZB 173/11 –; B. v. 06.10.2011 – V ZB 314/10 – B. v. 16.02.2012 – V ZB 320/10 –; B. v. 31.05.2012 – V ZB 51/11 –; B. v. 31.05.2012 – V ZB 167/11 –; B. v. 14.06.2012 – V ZB 80/11 –; B. v. 14.06.2012 – V ZB 32/12 – bei Winkelmann, Haftrecht, m. ausführlicher Kommentierung; Folgerechtsprechung: BGH, B. v. 20.01.2012 – V ZB 316/10 –; B. v. 02.02.2012 – V ZB 190/11 –; B. v. 14.06.2012 – V ZB 80/11 –; B. v. 30.08.2012 – V ZB 45/12 –; BGH, B. v. 11.10.2012 – V ZB 238/11 –; BGH, B. v. 15.11.2012 – V ZB 119/12 –, juris; LG Görlitz, B. v. 30.08.2012 - GR 2 T 91/12 -, bei Winkelmann, a.a.O.).
BGH zum Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft
LG Görlitz - GR 2 T 91/12 - Beschluss vom 30.08.2012
In den Fällen, in denen nach Aktenlage ein Ermittlungsverfahren betrieben wird oder unmittelbar betrieben werden soll, muss daher von Amts wegen (§ 26 FamFG) geprüft werden, ob die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Abschiebung trotz des laufenden Strafverfahrens einverstanden ist oder aus sonstigen Gründen ein kurzfristiger Abschluss des Strafverfahrens nicht ausgeschlossen erscheint (vgl. dazu schon BayObLG InfAuslR 2002, 314; OLG München, Beschluss vom 07.06.2005 – 34 Wx 064/05 –). Der Verstoß ist nicht rückwirkend heilbar. Die Betroffenen sind unverzüglich freizulassen.
Für die Verletzung der Regelung des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist es unerheblich, ob der Haftrichter Anhaltspunkte für die Prüfung der Normvoraussetzungen hatte und ob es die den Antrag stellende Behörde pflichtwidrig unterlassen hat, in dem Haftantrag auf ein schwebendes Ermittlungsverfahren hinzuweisen.
Ebenso darf Abschiebungshaft auch dann nicht ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung des Ausländers angeordnet werden, wenn diese (noch) keine Kenntnis von dem durch die Polizei eingeleiteten Ermittlungsverfahren hat. Maßstab für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Ausländers ist die Gesetzeslage. Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung des Ausländers von der Einleitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens an und nicht erst nach der Vorlage der Akten durch die Polizei an die Staatsanwaltschaft (§ 163 Abs. 2 StPO) erforderlich (BGH, B. v. 16.02.2012 - V ZB 320/10 -, bei Winkelmann, a.a.O.). Insoweit reicht es aus, wenn die Polizei den Betroffenen selbst als Beschuldigten führt und einen Ermittlungsvorgang anlegt; ob der Beschuldigte auch als solcher vernommen wird, ist unerheblich (BGH, B. v. 15.11.2012 – V ZB 119/12 –, juris).
Grundsätzlich verfehlt ist die Begründung des Beschwerdegerichts, dass allenfalls ein für die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung irrelevanter Verstoß gegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorliege, weil die Staatsanwaltschaft nichts anderes als ihr Einvernehmen zur Zurückschiebung habe erklären können. Maßstab für die Zulässigkeit des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Ausländers ist insoweit allein die Gesetzeslage, die in § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorschreibt (s.o.). Die Erteilung des Einvernehmens bedeutet eine Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft, welche diese nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat (BGH, B. v. 31.05.2012 - V ZB 51/11 -, bei Winkelmann, a.a.O.).
Ein unzulässiger Haftantrag und die damit einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG kann in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend geheilt werden (BGH, B. v. 07. 04. 2011 – V ZB 133/10 –; B. v. 21.10.2010 – V ZB 96/10 –; B. v. 29.04.2010 – V ZB 218/09 –). Liegt jedoch im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) vor, kann das dazu führen, dass insoweit erstmals ein zulässiger Haftantrag vorhanden ist (vgl. BGH, B. v. 29.04.2010 – V ZB 218/09 –; BGH, B. v. 19.05.2011 - V ZB 122/11 -). Das ist dann der Fall, wenn die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um die Darlegungen zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in einer Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen kann und insoweit rechtliches Gehör gewährt wurde (vgl. BGH, B. v. 21.10.2010 – V ZB 96/10 –; B. v. 29.04.2010 – V ZB 218/09 –; B. v. 29.09.2011 – V ZB 173/11 –; B. v. 13.10.2011 – V ZB 126/11 –). Ab diesem Zeitpunkt fehlt es jedenfalls im Hinblick auf das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) nicht mehr an einem zulässigen Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft. Die Verfahrensakten müssen daher entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich jedenfalls aus dem Protokoll über die Anhörung des Betroffenen ergeben (BGH, B. v. 03.05.2011 – V ZA 10/11 –, nachfolgend auch BGH, B. v. 19.05.2011 – V ZB 122/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.). Inwieweit im Einzelfall auch eine telefonische Absprache ausreichend ist, wurde durch die Rechtsbeschwerde bislang noch nicht ausdrücklich entschieden. Da ein Formerfordernis im Gesetz nicht festgelegt ist, erscheint eine nachweisbare telefonische Absprache (z.B. durch Aktenvermerk) ausreichend (so LG Frankenthal, Beschluss vom 29.04.2011 – 1 T 101/11 –; so ggf. auch BGH, Beschluss vom 09.05.2011 – V ZB 295/10 –, bei Winkelmann, der jedenfalls deshalb die telefonische Einvernahme nicht zugrunde legte, weil diese erst im Rechtsbeschwerdeverfahren und damit zu spät erfolgte). Die Angabe zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft soll den Betroffenen darüber informieren, woraus die antragstellende Behörde die Zustimmung der Staatsanwaltschaft entnimmt. Das ist etwa dadurch zu erreichen, dass das Datum und das Aktenzeichen angegeben werden, unter welchem die Staatsanwaltschaft das Einverständnis erteilt haben soll. Ohne eine solche Konkretisierung ist die Angabe zum Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nicht prüffähig (BGH, B. v. 11.10.2011 - V ZB 72/12 -, juris).
In Bezug auf das ausländerrechtliche Verfahren setzt sich die Ausländerbehörde nicht über das Erfordernis des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft, mit dem der Vorrang des staatlichen Strafverfolgungsinteresses gegenüber dem ausländerbehördlichen Interesse an der Durchsetzung einer bestehenden Ausreisepflicht des Ausländers gesichert werden soll, hinweg, wenn sie trotz eines schwebenden strafgerichtlichen Verfahrens gegen den Ausländer eine Abschiebungsandrohung ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erlässt. § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bezieht das Einvernehmen ausdrücklich auf die Abschiebung selbst, nicht aber auf die insoweit vorgeschaltete Abschiebungsandrohung (OVG Lüneburg, B. v. 28.09.2011 – 11 PA 298/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.).
Die Verlängerung um bis zu einem Jahr ist nur zulässig, wenn der Ausländer die Abschiebung durch sein Verhalten verhindert, z.B. bei der Weigerung, an der Beschaffung eines Passes mitzuwirken (s.u. Rn. 101 f.). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Praxis verschiedener Auslandsvertretungen in Deutschland, die teilweise auf die unterschriebene Erklärung der freiwilligen Ausreise bestehen, bevor ein Pass oder anderes anerkanntes Heimreisedokument ausgestellt wird. In diesen Fällen wird schon die mangelnde Bereitschaft der Ausländers an der Passbeschaffung mitzuwirken z.T. als nicht vorwerfbar eingestuft. Eine darauf hingerichtete Haft wäre unzulässig; es ist ein Ausweisersatz („qualifizierte Duldung“, § 48 Abs. 2 AufenthG) auszustellen (vgl. dazu u.a. OLG Nürnberg, U. v. 16.01.2007 – 2 St OLG Ss 242/06 – zur Passbeschaffung im Falle des Iran. Vertiefend unter § 48 AufenthG). Umgekehrt kann der Ausländerbehörde angelastet werden, dass sie nicht rechtzeitig die notwendigen Vorbereitungen getroffen hat (KG, B. v. 14.5.1985 – 1 W XX B 6215/84 – NVwZ 1986, 78). Außerdem muss das Verhalten des Ausländers weiterhin ursächlich für die Nichtabschiebung bleiben, um eine Verlängerung der Haft zu rechtfertigen (vgl. BayObLG, B. v. 21.2.2001 – 3Z BR 60/01 – EZAR 048 Nr. 55).
In Auslegung des Art. 15 Abs. 1 und 6 RüFü-RL darf ein Haftzeitraum von 6 Monaten nicht allein deswegen verlängert werden, weil der Betroffene keine Identitätsdokumente besitzt (EuGH, U. v. 05.06.2014 Rs. C-146/14 PPU "Mahdi"). Ein Mitgliedstaat ist in einem solchen Fall jedoch nicht verpflichtet der aus der Haft entlassenen Person eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, weil nunmehr keine hinreichende Aussicht mehr auf Abschiebung bestünde (Art. 15 Abs. 6 RüFü-RL). Es ist aber eine schriftliche Bestätigung über die Situation zu erstellen.
Für Freiheitsentziehungssachen bestimmt § 421 FamFG (s. dort Rn 5), dass die Beschlussformel auch die nähere Bezeichnung der Freiheitsentziehung sowie den Zeitpunkt enthalten muss, zu dem die Freiheitsentziehung endet. Nicht gemeint sein kann daher durch den Gesetzgeber, dass der konkrete Zeitpunkt der Festnahme und des sich daran anschließenden Vollzuges der Haft durch Datum festgelegt werden muss. Damit wäre das Instrument der einstweiligen Anordnung obsolet. Vielmehr soll das Ende der Haft kalendermäßig durch Benennung des Zeitpunkts und Angabe einer Frist für die Dauer der Haft festgelegt werden (die Wirksamkeit des Haftbeschlusses bemisst sich aber nach § 422 FamFG, hier i.d.R. nach Abs. 2 S. 1, 2 mit Anordnung der sofortigen Wirksamkeit und Bekanntgabe an die Verwaltungsbehörde); vgl. auch Winkelmann in „Das FamFG und seine verfahrensrechtlichen Auswirkungen“, S. 9, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht).
Das neue FamFG und dessen rechtliche Auswirkungen
Die kalendermäßige Befristung der Abschiebungshaft wird durch eine Haftunterbrechung nicht automatisch verlängert (BayObLG, B. v. 19.10.1989 – V ZB 9/89 – EZAR 135 Nr. 15); ebenso wenig bei Bestimmung der Haftdauer nach Wochen (OLG Hamm, B. v. 23.11.1992 – 15 W 303/92 – NVwZ 1993, 814).
Die Anordnung einer über den Antrag der Behörde hinausgehenden Dauer der Freiheitsentziehung ist unzulässig (BGH, B. v. 30.06.2011 – V ZB 24/11 –, BGH, B. v. 6. Mai 2010 – V ZB 223/09 –, bei Winkelmann, a.a.O.; s.a. § 417 FamFG, Rn. 8).
BGH – V ZB 239/09 – B. v. 06.05.2010
Das haftrechtliche Grundprinzip des Beschleunigungsprinzips (s.o. Rn. 19), wie auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehören zu den elementaren Grundanforderungen an Haft unter rechtstaatlichen Bedingungen. Siehe dazu die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH, B. v. 06.05.2010 – V ZB 193/09 –, bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht; ebenso BGH, B. v. 10.06.2010 – V ZB 204/09 –; BGH, B. v. 19.05.2011 – V ZB 247/10 –).
BGH, B. v. 06.05.2010 – V ZB 193/09 –
BGH, B . v. 10.06.2010 – V ZB 204/09 –
Haftanordnungen, die zur Trennung von Familien führen, sind insbesondere an Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu bemessen. Zudem genießen auch faktische Beziehungen zwischen Erwachsenen den Schutz des Art. 8 EMRK, wenn Elemente einer Abhängigkeit dargelegt werden, die über die üblichen gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen (EGMR, U. v. 17.04.2003 – 52853/99 – Yilmaz gegen Deutschland, NJW 2004, 2147, 2148 Rn. 44). Anordnung von Sicherungshaft werden dem nur gerecht, wenn es keine andere Möglichkeit gibt und wenn die Abschiebung mit größtmöglicher Beschleunigung betrieben wird. Aus diesem Grund lässt Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG die Anordnung von Sicherungshaft bei Familien mit minderjährigen Kindern nur im äußersten Fall und für die kürzestmögliche angemessene Dauer zu. Das war nicht erst nach Ablauf der Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie am 24. Dezember 2010, sondern nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit schon vorher geboten (BGH, B. v. 17.06.2010 – V ZB 9/10 –).
Das Gebot der Verhältnismäßigkeit zwingt dazu, das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und den Freiheitsanspruch des Betroffenen als wechselseitiges Korrektiv zu sehen und gegeneinander abzuwägen; dabei ist immer auch zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften mit zunehmender Dauer der Haft regelmäßig vergrößern wird (vgl. BVerfG, NVwZ 1996, Beilage 3, 17 f.).
Bei der Anordnung von Sicherungshaft ist zudem zu beachten, ob völkerrechtliche Verträge einer längeren Haft aus Verhältnismäßigkeitsgründen entgegenstehen. So war die Haftanordnung zunächst rechtmäßig, weil der Betroffene angegeben hatte, er habe sich in Belgien aufgehalten, weshalb die Möglichkeiten einer Rückführung des Betroffenen nach Belgien zur Überprüfung standen. Allerdings war der Antragstellerin hierfür nicht ein Zeitraum von 6 Wochen zuzugestehen. Sie hätte die rechtzeitig eingeleitete Klärung zügiger abschließen müssen, da nach Artikel 2 Abs. 1 des Übereinkommens zwischen den Regierungen des Königreichs Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, des Großherzogtums Luxemburg, des Königreichs der Niederlande und der Republik Polen betreffend die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt (BGBl. 1993 Teil II S. 1100) die Vertragspartei, über deren Außengrenze die Person eingereist ist, die im Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei die geltenden Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt, auf Antrag dieser Vertragspartei diese Person formlos übernimmt. Hierbei hat die ersuchte Vertragspartei - hier Belgien - das an sie gerichtete Rückübernahmeersuchen innerhalb von acht Tagen zu beantworten; Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens (OLG Düsseldorf, B. v. 13.02.2004 – I-3Wx 25/04 –, bei Winkelmann, Rn. 101).
Gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG darf ein Ausländer, der, wie der Betroffene, nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt (Folgeantrag), erst nach der Mitteilung des BAMF abgeschoben werden, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, es sei denn, der Ausländer soll, was hier nicht der Fall ist, in den sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) abgeschoben werden. Dieses mögliche Abschiebungshindernis muss bei der nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG anzustellenden Prognose berücksichtigt werden; der Haftrichter muss sich also vergewissern, dass mit einer Entscheidung des Bundesamts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG innerhalb von drei Monaten gerechnet werden kann. Diese Verpflichtung entfällt nicht deshalb, weil ein Folgeantrag nach § 71 Abs. 8 AsylVfG der Anordnung von Sicherungshaft nicht entgegensteht. Die genannte Vorschrift darf nicht als Rechtsgrundlage in Anspruch genommen werden, zeitlich unbeschränkt Abschiebungshaft gegen einen Folgeantragsteller anzuordnen, solange das Bundesamt noch nicht über den Folgeantrag entschieden hat (s. zu allem BGH, B. v. 5.10.2010 - V ZB 222/10, InfAuslR 2011, 25 f. m.w.N.; BGH, B .v. 06.05.11 - V ZB 98/11 -; bei Winkelmann, Rn. 101).
BGH – V ZB 98/11 – B. v. 30.06.2011
Zur Gesamtthematik mit Nachweis der Entscheidungen bei Winkelmann, Haftrecht.
Passbeschaffung in Dreimonatsfrist nach § 62 Abs. 3 S. 4 AufenthG
Spätestens bei Haftantragstellung muss die Behörde prüfen, wann mit gewisser Wahrscheinlichkeit mit dem Ausstellen der von Anfang an notwendigen Pass(ersatz)papieren und der Abschiebung des Betroffenen gerechnet werden kann (OLG Celle, B. v. 16.10.2003 – 17 W 80/03 – zur Passbeschaffung von Marokkanern; vgl. auch AG Moers, B. v. 26. August 2003 – 820 XIV 50/03.B –). Zu der Feststellung, ob die Abschiebung innerhalb von drei Monaten möglich ist, sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung erforderlich, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können. Der Tatrichter darf sich insoweit nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken, die Abschiebung werde voraussichtlich innerhalb von drei Monaten stattfinden können. Soweit die Ausländerbehörde keine konkreten Tatsachen hierzu mitteilt, obliegt es gemäß § 26 FamFG dem Gericht nachzufragen (s. Rn. 92). Die Ungewissheit hinsichtlich der Dauer des - von ihm nicht zu vertretenden - Abschiebungshindernisses hat der Ausländer nur für einen begrenzten Zeitraum hinzunehmen (BVerfG NJW 2009, 2659 2660) Nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG darf die Dauer der Haft drei Monate grundsätzlich nicht überschreiten. Die Verlängerung der Haft über diesen Zeitraum hinaus ist unzulässig, wenn die Abschiebung aus Gründen unterbleibt, die von dem Ausländer nicht zu vertreten sind (Senat, BGHZ 133, 235, 237 f. zu § 57 AusIG), so der BGH (B. v. 06.05.2010 – V ZB 193/09 –, bei Winkelmann, a.a.O., Portal Haftrecht).
BGH, B. v. 06.05.2010 – V ZB 193/09 –
Der Vollzug von Abschiebehaft ist also nur dann zulässig, wenn noch Erfolg versprechende Möglichkeiten zur Abschiebung bestehen. Eine solche Erfolg versprechende Möglichkeit liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die einzige Möglichkeit zur Identifizierung des Betroffenen in seiner wiederholten Vorführung bei der Vertretung des möglichen Heimatlandes besteht, die seine Rücknahme ohne neue Sachbeweise bereits einmal abgelehnt hat und neue Sachbeweise nicht vorliegen und auch nicht zu beschaffen sind (OLG München, B. v. 17.05.2006 – 34 Wx 025/06 – zur Unzulässigkeit der Fortsetzung der Haft, wenn keine Erfolg versprechende Möglichkeit zur Passersatzbeschaffung/ Abschiebung mehr besteht).
Unwahre Behauptungen u.a. zur Eheschließung muss der Ausländer vertreten, wenn dadurch Verzögerungen eintreten, weil die Behörden des Heimatstaates um die Erteilung von Passersatzpapieren ersucht werden müssen (OLG München, B. v. 15.06.2009 – 34 Wx 046/09 –, bei Winkelmann, a.a.O.; OLG Brandenburg, B. v. 23.09.2008 –11 Wx 46/08 – , juris).
Das Fehlen von Ausweispapieren steht einer Überstellung nach Italien gemäß Art. 16 ff. Dublin II-Verordnung nicht entgegen, da der Ausländer dafür kein gültiges Ausweispapier besitzen muss. Nach Art. 7 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zur Dublin II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 2. September 2003, ABl. L 222 vom 5. September 2003, S. 3) ist hierfür ein Passierschein (Laissez-passer nach Anhang IV der Verordnung) ausreichend (BGH, B. v. 09.02.2012 – V ZB 305/10 –, a.a.O.).
Die Haftzeiten vor und nach dem Aufenthalt im vermeintlichen Heimatstaat (hier Algerien) im Rahmen einer so genannten Identifizierungshaft sind zusammenzurechnen. Zudem ist aber auch die Haftzeit im Ausland selbst im Rahmen der Hafthöchstdauer von 18 Monaten mit zu berücksichtigen und zwar auch, wenn der Betroffene hier seine Abschiebung verhindert hat. Dies führt jedoch nur dazu, dass überhaupt eine Haftdauer von 18 Monaten in Betracht kommt, nicht aber dazu, dass Teile davon nicht angerechnet werden können. Die Regelung des § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist eine Abwägung zwischen den Interessen des Staates, einen Betroffenen abzuschieben, und dem Interesse des Betroffenen, seine Freiheit nicht entzogen zu bekommen (Art. 2 Abs. 2 GG). Dies führt dazu, dass mit zunehmender Dauer der Abschiebungshaft der Freiheitsanspruch des Betroffenen immer mehr Gewicht erlangt und nach 18 Monaten Haftdauer das Freiheitsrecht des Betroffenen das Interesse des Staates an einer gesicherten Abschiebung überwiegt (OLG München, B. v. 27.10.06 – 34 Wx 122/06 –).
Soweit die haftantragstellenden Behörden auf eine so genannte PEPDAT (Datei mit Informationen zur Einschätzung der Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Beschaffung von Passersatzpapieren) der Clearingstellen zurückgreifen und im Verfahren der bloße Verweis auf die nicht zur Einsicht zur Verfügung stehende PEPDAT als ausreichender Nachweis für ein Einhalten der Frist von drei Monaten angesehen wurde, ist dies verschiedentlich rechtlichen Bedenken begegnet. Der Rang und die hohe Bedeutung des Freiheitsrechtes erfordern spätestens in der Beschwerdeinstanz die Mitteilung solcher Tatsachen und die Vorlage solcher Beweismittel, die sowohl vom Gericht als auch vom Betroffenen zur Kenntnis genommen werden können und bei denen der Betroffene zugleich in die Lage versetzt wird, sich zu ihnen sachlich zu äußern (OLG Oldenburg, B. v. 05.04.2007, – 13 W 27/07 – zum Umgang mit der PEPDAT-Sudan im gerichtlichen Verfahren). Die Berufung auf die Datei entbindet die haftantragstellende Behörde nicht von der persönlichen Darlegungspflicht im Einzelfall vor Gericht. Insoweit besteht seitens des Gerichtes die Ermittlungspflicht von Amts wegen, die sich nicht im Sachvortrag der Behörde erschöpfen darf, soweit nur auf den positiven Eintrag in der Datei hingewiesen wird.
Die Anordnung der Abschiebungshaft setzt nicht den Nachweis voraus, dass die Abschiebung des Ausländers innerhalb der angeordneten Haftzeit durchführbar ist (vgl. auch BVerfG NJW 1987, 3076). Die bloße Annahme hingegen, in 10 % der Fälle sei bei fehlendem Identitätsnachweis bei indischen Staatsangehörigen eine Passbeschaffung innerhalb von 6 Monaten erfolgreich, reicht allein nicht für die Annahme aus, dass die Abschiebung des Betroffenen innerhalb von 6 Monaten gewährleistet ist (OLG Frankfurt/Main, B. v. 12.08.2003 – 20 W 255/03 –). Die Gerichte dürfen sich aber nach neuerer Rechtssprechung des BGH (B. v. 10.06.2010 – V ZB 204/09 –, bei Winkelmann, a.a.O.; auch BGH, B. v. 19.05.2011 – V ZB 122/11 –)
BGH - V ZB 204/09 - B. v. 10.06.2010
hierzu auf die bundesweite Fallsammlung der Zentralen Ausländerbehörden über die Ausstellung von Personalersatzpapieren durch z.B. das indische Generalkonsulat bzw. die indische Botschaft stützen, wonach im Jahr 2009 in Einzelfällen eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden konnte. Dass es sich hierbei um nur wenige Fälle handelt, ist unschädlich, da die Haftanordnung nur zu unterbleiben hat, wenn feststeht, dass die Abschiebung innerhalb von drei Monaten nicht möglich sein wird (vgl. auch schon dazu Pfälzisches OLG Zweibrücken, B. v. 02.07.2003 – 3 W 132/03 –, OLG Brandenburg, B. v. 04.12.2003 – 8 Wx 42/03 –). Zur Erstellung der Prognose bei Stützung auf die bundesweite Fallsammlung der Zentralen Ausländerbehörden über die Ausstellung von Passersatzpapieren für China, wonach mit der Ausstellung eines Passersatzes innerhalb von 0 bis 56 Tagen zu rechnen sei, vgl. BGH, B. v. 19.05.2011 - V ZB 122/11 -, bei Winkelmann, a.a.O.
Der auf die Anordnung von Sicherungshaft gerichtete Antrag ist von Anfang an unbegründet, wenn aufgrund der langjährigen Praxis den Ausländerbehörden bekannt ist, dass die algerischen Behörden Heimreisedokumente nur dann „unverzüglich“ ausstellen, wenn der Betroffene sich zur Abschiebung nach Algerien „bereit erklärt“, d.h. eine „freiwillige“ Rückkehrerklärung (DECLARATION DE RETOUR VOLONTAIRE EN ALGERIE) unterschreibt und andernfalls auch bei vollständigen Angaben des betroffenen Ausländers zur Person (d.h. zu Name, Geburtsdatum und Geburtsort), eine Überprüfung dieser Angaben in Algerien durchgeführt wird, mit deren Ergebnis erst nach mehreren Monaten gerechnet werden kann (OLG Düsseldorf, B. v. 03.11.2003 – I-3 Wx 275/03 –; a.A: BayObLG, B. v. 17.11.2003 – 4Z BR 73/03 –). Zur Bejahung des Anspruchs auf Erteilung einer qualifizierten Duldungsbescheinigung nach § 48 Abs. 2 AufenthG und der Nichtbegehung des Straftatbestandes nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bei dem Erfordernis der Freiwilligkeitserklärungen (hier: Iran) vgl. OLG Nürnberg, U. v. 16.01.2007 – 2St OLG Ss 242/06 –; a.A. und mit weiteren Nachweisen in vergleichender Darstellung OVG NRW, U. v. 18.06.2008 – 17 A 2250/07 –. Das BVerwG hat mit Urteil vom 10.11.2009 (BVerwG 1 C 19.08) entschieden,
BVerwG, U. v. 10.11.2009 – 1 C 19.08 –
dass einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, der nicht über gültige Reisedokumente verfügt, eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG nur erteilt werden kann, wenn er ohne Erfolg alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, ein (neues) Reisedokument zu erhalten. Verlangt die zuständige Behörde seines Heimatstaates von ihm die Erklärung, dass er bereit sei, freiwillig auszureisen, so ist ihm die Abgabe dieser Erklärung grundsätzlich zuzumuten.
Sicherungshaft, die nur den Zweck hat, einen Betroffenen zur Abgabe von Erklärungen zu zwingen, ist unzulässig (vgl. BayObLGZ 1997, 350; OLG München, B. v. 04.02.2005 – 34 Wx 007/05 –).
Das Beschwerdegericht darf bei der nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG erforderlichen Prognose, ob eine Abschiebung in den kommenden drei Monaten in Bezug auf mögliche Abschiebungshindernisse verwehrt ist, nicht nur auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte verweisen. Zwar ist die Entscheidung, ob die Abschiebung zu Recht betrieben wird, den Verwaltungsgerichten vorbehalten. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungs- und den Zivilgerichten darf sich aber nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken und einen effektiven Rechtsschutz verhindern. Ist über die Fortdauer der Abschiebungshaft eines Ausländers zu entscheiden, der vor Erlass der Beschwerdeentscheidung zur Verhinderung der Abschiebung einstweiligen Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten beantragt hat, setzt eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Anwendung des § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG voraus, dass der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklärt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660; Senat, B. v. 25.02. 2010 – V ZB 172/09 –, B. v. 03.02.2011 – V ZB 12/10 –, bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht). Zur Bindungswirkung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen siehe Rn. 202.
Der Ausländer hat es nicht zu vertreten, wenn eine Abschiebung auf Grund einer von ihm beantragten einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts nicht durchgeführt werden kann. Das Scheitern der Abschiebung aus diesem Grunde rechtfertigt keine weitere Verlängerung einer bereits über drei Monate andauernden Abschiebungshaft. Die erneute Verlängerung der Sicherungshaft stellte einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) dar (BGH, B. v . 30.06.2011 - V ZB 261/10 -, bei Winkelmann, a.a.O.).
Ein die Freiheitsentziehung anordnender Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen darauf zu untersuchen, ob der Grund für die Freiheitsentziehung entfallen ist (vgl. § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG, BGH, B. v. 25.02.2010 – V ZB 172/09 –). Vor der Zurückweisung einer Beschwerde, die sich gegen eine Sicherungshaftanordnung richtet, müssen deshalb die Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung des im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung erkennbaren Verlaufs des Abschiebungsverfahrens erneut geprüft werden. Erscheint eine Abschiebung aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, nicht mehr innerhalb von drei Monaten (gerechnet ab Anordnung der Sicherungshaft) möglich, darf die Haft nicht aufrechterhalten werden (BGH, B. v. 10.06.2010 – V ZB 205/09 –, so auch wiederholt im B. v. 08.07.2010 – V ZB 89/10 –).
Ein Verhindern im Sinne des Gesetzes (und damit die Möglichkeit der Verlängerung der Haft über 6 Monate hinaus) liegt dann vor, wenn ein vom Willen des Betroffenen abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung innerhalb der ersten 6 Monate (grundsätzliche Höchsthaftdauer) nicht erfolgen konnte. Es müssen also stets zwei Dinge geprüft werden, und zwar einmal das Verhinderungsverhalten und zum anderen die Ursächlichkeit dieses Verhaltens dafür, dass die Abschiebung nicht innerhalb der ersten 6 Monate durchgeführt werden konnte (BGH, B. v. 11.07.1996 – V ZB 14/96 –, BGHZ 133, 235, 239). Dabei verlangt die Rechtsprechung, dass das Verhinderungsverhalten die maßgebliche Ursache für die Verzögerung sein muss. Dabei liegt die Feststellungslast für beide Merkmale bei der Behörde. Das Verhinderungsverhalten muss also positiv feststehen (der Richter muss z.B. überzeugt sein, dass der Betroffene sich pflichtwidrig weigert, notwendige Formulare zu unterschreiben). Außerdem muss feststehen, dass dieses Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung innerhalb der ersten 6 Monate nicht erfolgen konnte. Ergibt sich, dass die Abschiebung (z.B. wegen zögerlicher Bearbeitung der Heimatbehörden) auch bei Leistung der Unterschrift nicht innerhalb der ersten 6 Monate möglich gewesen wäre, ist das Verhinderungsverhalten nicht ursächlich für die Verzögerung. Verbleiben Zweifel, ob die Abschiebung bei Leistung der Unterschrift innerhalb der ersten 6 Monate möglich gewesen wäre, geht auch dies zu Lasten der antragstellenden Behörde, weil die Ursächlichkeit der Verhinderungsverhaltens feststehen muss (vgl. BayObLG, B. v. 16.09.2004 – 4Z BR 070/04 –).
Verhinderungsverhalten ist anzunehmen, wenn die gebotene Mitwirkung z.B. am Beschaffen erforderlicher Personaldokumente durch die Angabe falscher Personalien verhindert wird. Jedoch darf die Abschiebungshaft nicht stets über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus bis zur Höchstfrist angeordnet bzw. aufrechterhalten werden. Als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss das Verhalten des Betroffenen ursächlich für die Nichtabschiebung sein bzw. bleiben, um eine Verlängerung der Haft über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus zu rechtfertigen (OLG München, B. v. 11.03.2005 – 34 Wx 023/05 –).
Gibt der von Abschiebungshaft Betroffene sein die Abschiebung verhinderndes Verhalten im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auf, kann die Haft von diesem Zeitpunkt an jedenfalls nicht über sechs Monate hinaus aufrechterhalten werden, sofern das entsprechende Verhinderungsverhalten für ein Fehlschlagen der Abschiebung nicht mehr ursächlich ist (OLG Celle, B. v. 23.08.2006 – 22 W 57/06 –).
Der Betroffene muss Abschiebungshaft aber umso länger hinnehmen, je größer die Schwierigkeiten sind, die sein Verhalten den Ausländerbehörden bei der Beschaffung der Heimreisedokumente macht (vgl. BayObLGZ 2000, 227/229). Vertreten muss der Betroffene u.a. Verzögerungen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen (OLG Brandenburg, B. v. 23.9.2008 – 11 Wx 46/08 –, SchlHOLG, B. v. 19.07.2006 – 2 W 107/06 –). Irreführende Angaben zur Herkunft und Unterlassungen des Betroffenen, seit seiner lnhaftierung nicht selbst tätig geworden zu sein, um sich die Unterlagen für einen Passersatz zu beschaffen, sind im selbst anzulasten. Zu diesem Zweck hat der Betroffene jegliche zumutbare Anstrengung zu unternehmen (und alles Gegenteilige zu unterlassen), um in den Besitz eines gültigen Passes zu gelangen. Aus diesem Grunde hat der Betroffene sich aktiv an das indische Generalkonsulat bzw. die indische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland und gegebenenfalls an seine zuständigen Heimatbehörden in Indien zu wenden (BayObLG, B. v. 28.07. 2003 – 4Z BR 47/03 –, BGH, B. v. 25.03.2010 – V ZA 9/10 –). Ebenfalls hat sich der Betroffene eine möglicherweise als zögerlich zu bezeichnende Arbeitsweise der Heimatvertretung grundsätzlich zurechnen zu lassen, wenn die Person ohne Pass eingereist ist und damit die Behörde vor die Notwendigkeit gestellt, für sie die Passersatzpapiere zu beschaffen (OLG München, B. v. 09.07.2009 – 34 Wx 057/09 –; vgl. dazu auch OLG Celle, B. v. 19.05.2003 – 17 W 40/03 –). So auch im Falle zögerlicher, stockender und kurzer Antworten während der Botschaftsvorführung, sofern dadurch erreicht werden soll, dass die wahre Herkunft verschleiert werden soll (OLG München, B. v. 20.07.2009 – 34 Wx 066/09 –).
Stünde von vornherein fest, dass die Haft zur Sicherung der Abschiebung bei loyal bei der Beschaffung der Papiere mitarbeitenden Betroffenen von vorn herein ihren Zweck verfehlen würde und damit nicht rechtmäßig wäre (vgl. LG Berlin NVwZ-Beilage l 2/2001, S.24), hätte der Betroffene für einen solchen Fall gar nicht erst in Haft genommen werden dürfen. Es kommt bei der Beurteilung nach (heute) § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG auf etwaige Mitwirkungsdefizite des Betroffenen nicht an, wenn die Passersatzbeschaffung und Abschiebung innerhalb von 3 Monaten aufgrund der Arbeitsweise der marokkanischen Behörden auch bei Mitwirkung des Betroffenen nicht möglich ist. Ein Ausländer hat Verzögerungen seiner Abschiebung dann selbst zu vertreten, wenn er seine Passpapiere schuldhaft weggibt und hierdurch einen ihm zurechenbaren Umstand schafft, der seine Abschiebung verzögert. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor, wenn der Betroffene - wie hier - seinen Pass bereits im Heimatland verloren hat und somit ohne Pass eingereist ist (OLG Köln, B. v. 13.10.2004 – 16 Wx 194/04 – zur Haft bei "papierlosen" marokkanischen Staatsangehörigen).
Befindet sich der Ausländer bereits in Untersuchungs- oder Strafhaft oder wird diese während der Abschiebungshaft angeordnet, tritt diese als Ordnungsmaßnahme hinter die strafrechtliche Haftart zurück (OLG Frankfurt, B. v. 7.11.1994 – 20 W 493/94 – EZAR 048 Nr. 16). Unzulässig ist Abschiebungshaft im Anschluss an Strafhaft, wenn noch nicht feststeht, ob und wie lange der Ausländer Strafhaft verbüßen wird (BayObLG, B. v. 31.3.1992 – 3Z BR 32/92 – EZAR 048 Nr. 3). Wird Sicherungshaft durch eine zweiwöchige Freilassung unterbrochen, so ist die zurückliegende Haftzeit auf die Gesamtdauer der dann erneut angeordneten Haft anzurechnen (OLG Schleswig, B. v. 23.10.1995 – 2 W 96/95 – EZAR 048 Nr. 22). Zwischenzeitliche Untersuchungs- oder Strafhaft unterbricht die Abschiebungshaft. Soll Abschiebungshaft im Anschluss an Strafhaft angeordnet werden, kann ein Zeitraum von einem Monat genügen, wenn bis zum Ende der Strafhaft noch Vorbereitungen getroffen werden können (BayObLG, B. v. 11.9.1989 – BReg. 3 Z 125/89 – EZAR 135 Nr. 14). Die Möglichkeit der unmittelbaren Abschiebung aus der Haft (§ 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) geht vor. Die Ausländerbehörde muss schon während der Haftzeit geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Abschiebung ohne Abschiebungshaft durchzuführen (vgl. BayObLG, B. v. 8.10.2001 – 3Z BR 330/01 – EZAR 048 Nr. 57; OLG Zweibrücken, B. v. 23.3.2004 – 3 W 34/04 – EZAR 048 Nr. 64). Der Haftrichter muss daher feststellen, ob der Ausländer aus der Strafhaft abgeschoben werden kann (OLG Frankfurt, B. v. 5.2.1996 – 20 W 32/96 – EZAR 048 Nr. 26).
Die Anordnung von Abschiebungshaft im Anschluss an eine künftig möglicherweise zu erwartende, aber noch nicht verhängte Strafhaft ist nicht zulässig (s.o. Rn. 115). Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung kommt jedoch in Betracht, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Betroffene bis zur Rechtskraft der Entscheidung die Freiheit erlangt. Diese Möglichkeit ist bei einer bestehenden Untersuchungshaft gegeben und verstößt auch nicht gegen Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Anordnung der Abschiebungshaft nicht ab Erlass der Entscheidung, sondern erst im Anschluss an die bestehende Untersuchungshaft, eröffnet nicht unbeteiligten Dritten nach ihrem Ermessen einen Einfluss auf Beginn und Ende der Abschiebungshaft. Die Abschiebungshaft darf nur im Anschluss an eine solche Haft angeordnet werden, die der Haftrichter in seine Beurteilung, ob die Abschiebungshaft erforderlich ist, einbezogen hat. Einbeziehen kann der Haftrichter aber nur zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannte Tatsachen. Eine erst nach Erlass der Abschiebungshaftanordnung möglicherweise verhängte Strafhaft kann im Hinblick auf das Erfordernis der Bestimmtheit der Haftanordnung nicht berücksichtigt werden (BGH, B. v. 11.05.1995 – V ZB 13/95 –). Vgl. dazu auch die vorangegangene Grundsatzentscheidung des BGH, B. v. 09.03.1995 – V ZB 7/95 –, NJW, 1995, 1898, zur Zulässigkeit der Anordnung von Abschiebungshaft im Anschluss an die bereits bestehende Untersuchungshaft (Überhaft)).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose, ob die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate möglich erscheint, ist auch im Fall der Überhaft der Erlass der Haftanordnung, nicht der mutmaßliche Beginn des Vollzugs der Abschiebungshaft. Die haftantragstellende Behörde muss zur Wahrung der gebotenen Beschleunigung auch schon während der laufenden Untersuchungshaft alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um Passersatzpapiere zu beschaffen; dies gilt insbesondere dann, wenn absehbar ist, dass nach Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe der Untersuchungshaftbefehl aufgehoben wird (vgl. OLG Köln, B. v. 24.5.2002 – 16 Wx 91/02 –, OLG München, B. v. 24.05.2005 – 34 Wx 052/05 –, AG Frankfurt/Main, B. v. 14.08.2008 – 934 XIV 1689/08 –; B. v. 12.05.2011– V ZB 309/10 –).
Die Bejahung der Reisefähigkeit für den Vollzug der Abschiebung unter ärztlicher Aufsicht und in Begleitung von Sicherheitspersonal lässt keinen Rückschluss auf eine bestehende Haftfähigkeit zu. Die fernmündlichen Auskunft des Anstaltsarztes, wonach eine gewisse Besserung aufgrund der medikamentösen Behandlung des Betroffenen eingetreten ist, lässt weder Art noch Umfang der verabreichten Medikamente erkennen und besagt auch nichts über die Frage, inwiefern sich der Zustand des Betroffenen gebessert hat. Damit wurde der sich aus § 3 Satz 2 FEVG, § 12 FGG (heute § 26 FamFG) ergebenden Verpflichtung, die für die Entscheidung über die Haftfähigkeit, insbesondere über das Vorhandensein einer nicht kurzfristig innerhalb der Haft behebbaren Erkrankung, notwendigen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln, nicht in hinreichendem Maße nachgekommen (OLG Düsseldorf, B. v. 07.09.2004 – I-3 Wx 241/04 –).
Nach § 12 FGG (§ 26 FamFG) hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Das Landgericht hat ausgeführt, die Betroffene habe im September 2003 ein ärztliches Gutachten eingereicht, das ihr eine kriegsbedingte posttraumatische Belastungsstörung attestiert habe. […] Aufgrund der in der Stellungnahme der Ärztin dargestellten Prognose, wonach eigen- oder fremdgefährdende Fehlhandlungen nicht auszuschließen seien, waren weitere Ermittlungen zum Gesundheitszustand der Betroffenen während der Haftzeit erforderlich (KG Berlin, B. v. 07.02.2005 – 25 W 74/04 –).
Durch die vorübergehende Unterbrechung des Haftvollzuges in Folge Gewahrsamsunfähigkeit der Betroffenen ist die Wirksamkeit der Abschiebehaftanordnung nicht berührt worden (vgl. KG, OLGZ 1982, 182; BayObLG, BayObLGZ 1973, 150). Die Abschiebehaftanordnung besteht vielmehr fort.
Soweit es darum geht, ob weniger einschneidende, also haftverschonende Maßnahmen als eine Freiheitsentziehung in Betracht kommen können, hat nicht der lediglich über die Haftanordnung entscheidende Richter, sondern ausschließlich die sowohl die Abschiebung als auch den Abschiebungshaftbefehl vollziehende Ausländerbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Der wegen des Verfassungsgebots in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG innerhalb des der Ausländerbehörde übertragenen Abschiebungsverfahrens tätige Richter hat lediglich eine erforderlich werdende Freiheitsentziehung anzuordnen und diese von Amts wegen wieder aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Er ist aber im Übrigen nicht „Herr des Verfahrens" – wie etwa der Strafrichter bei der Untersuchungshaft, § 119 Abs. 6 Satz 1 StPO -, da der Abschiebungshaftbefehl ausschließlich von der Verwaltungsbehörde vollzogen wird; diese bestimmt, ob überhaupt und wie lange eine Freiheitsentziehung (innerhalb der angeordneten Geltungsdauer) vollstreckt werden soll. Ebenso, wie nach § 116 StPO der dort den Vollzug leitende Strafrichter den Vollzug eines Haftbefehls „bedingt" aussetzen kann, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, dass der Zweck der Haft auch durch sie erreicht werden kann, kann die Ausländerbehörde innerhalb des von ihr durchzuführenden Verwaltungsvollzugs einer vom Richter angeordneten Abschiebungshaft deren Vollzug aussetzen und im Wege einer Duldung ähnliche haftverschonende Maßnahmen, wie sie in § 116 Abs. 1 StPO aufgezählt sind, anordnen (vgl. schon BayObLG, B. v. 04.06.1974, BayObLGZ 1974, 249 ff; siehe auch Rassow, BayVerwBl. 1980, 161 ff, m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dessen ist es dem Gericht auch verwehrt, den Vollzug der in Folge des Abschiebungshaftbefehls angeordneten Abschiebungshaft für die Dauer der Gewahrsamsunfähigkeit des Betroffenen, also bedingt, auszusetzen; solche Maßnahmen sind der Ausländerbehörde vorbehalten (OLG Saarland, B. v. 11.05.2006 – 5 W 68/06 –).
§ 424 FamFG sieht nunmehr die Aussetzung des Vollzuges einer angeordneten Freiheitsentziehung vor. Die Vorschrift ist an § 328 FamFG angelehnt. Sie ersetzt den bisherigen § 10 Abs. 3 FEVG, der die Möglichkeit der Beurlaubung regelte. Eine Beurlaubung fällt nunmehr unter die Aussetzung der Vollziehung nach Abs. 1 Satz 1. Nach Satz 2 sind gegenüber dem bisherigen § 10 Abs. 3 Satz 1 FEVG zweiter Halbsatz FEVG die Verwaltungsbehörde und der Leiter der Einrichtung als maßgebliche Stellen zwingend anzuhören. Satz 3 entspricht inhaltlich dem bisherigen § 10 Abs. 3 Satz 2 FEVG. Die zuständige Verwaltungsbehörde hat über Aussetzungen bis zu einer Woche zu entscheiden. Satz 4 entspricht § 328 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Einer Befristung der Aussetzung wie in § 328 Abs.1 Satz 3 bedarf es im Hinblick auf die Höchstdauer der Freiheitsentziehung nicht.
Da die Behörde als die für den Vollzug zuständige Behörde die Vollziehung der Freiheitsentziehung bis zu einer Woche aussetzen darf, kann sie als Minus-Maßnahmen auch Regelungen treffen, die unterhalb der Aussetzung angesiedelt sind (z.B. die Verlegung in eine andere Unterkunft wegen psychischer Probleme in der Haftzelle o.ä.); aus: Winkelmann, „Das neue FamFG und dessen rechtliche Auswirkungen“.
Das neue FamFG und dessen rechtliche Auswirkungen
Für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft ist es allerdings nicht Voraussetzung, dass der Verlängerung der Abschiebungshaft „von Anfang an“, also bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verlängerungsentscheidung durch das Amtsgericht, eine Haftunfähigkeit des Betroffenen entgegen stand. Auch dann, wenn die Abschiebungshaft zunächst zu Recht verlängert, nach Wegfall einer ihrer Voraussetzungen (hier: der Haftfähigkeit) aber nicht unverzüglich durch die Behörde beendet worden ist, erzielt der Feststellungsantrag einen (Teil-) Erfolg (vgl. OLG Düsseldorf, InfAuslR 2007, 454; OLG München, OLGR 2008, 107). Eine (weitere) Inhaftierung eines haftunfähig erkrankten Ausländers ist erst dann rechtswidrig, wenn die Haftunfähigkeit für das Gericht oder die Ausländerbehörde objektiv erkennbar ist (OLG Zweibrücken, B. v. 02.07.2008 – 3 W 97/08 –).
Die Regelungen der §§ 66 und 67 AufenthG dienen der Präzisierung und der Erweiterung der im Kostenrecht geltenden Veranlasserhaftung (vgl. § 13 Abs. 1 VwKostG). Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 AufenthG findet für die Erhebung von Gebühren und Auslagen nach dem Aufenthaltsgesetz das Verwaltungskostengesetz Anwendung, soweit das AufenthG keine abweichenden Vorschriften enthält. Die jährlichen Gesamtkosten für das Jahr 2011 - bezogen auf die neun Länder, die hierzu Angaben gemacht haben (Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern., Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Saarland) beliefen sich auf rd. 21 Mio. Euro (Antwort der Bundesregierung zu Frage 61, BT-Drucks. 17/7446). Die Tagessätze schwanken zwischen 42 Euro (Bremen und 167 Euro (Brandenburg), siehe Antwort zu Frage 18, BT-Drucks. 17/7442). Die §§ 66 und 67 AufenthG treffen eine abweichende Regelung insofern, als sie den Kreis der Kostenschuldner gegenüber dem Veranlasserprinzip nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG erweitern, für einzelne Kostenschuldner bestimmte Haftungsvoraussetzungen und den Haftungsumfang regeln sowie die Haftung des Ausländers im Verhältnis zu anderen Kostenschuldnern regeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.6.2005 – 1 C 15/04 RdNr. 22 –, bei Winkelmann).
Zu den Kosten bei Abschiebung und Zurückschiebung
Die Kostentragungspflicht des abgeschobenen Ausländers beruht also grundsätzlich darauf, dass er die bei der Abschiebung entstandenen Kosten veranlasst hat. Veranlasser im Sinne des Kostenrechts ist derjenige, der für die Amtshandlung tatsächlich in verantwortlicher Weise ursächlich ist. Die Haftung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG trifft denjenigen, der die kostenverursachende Amtshandlung – hier die Abschiebung samt Sicherheitsbegleitung – verursacht hat. Sie knüpft also an einen Verursachungsbeitrag bei der Beendigung des Aufenthalts des Betroffenen an (vgl. BVerwG a.a.O. RdNr. 24). Zum Entfallen der Vorsatztat im Rahmen des § 96 AufenthG (Einschleusung von Ausländern) bei Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO s. dort Rn. 2. Die Regelungen des § 58 Abs. 3 AufenthG, wonach eine Überwachung der Ausreise insbesondere erforderlich ist, wenn sich der Ausländer auf richterliche Anordnung in Haft befindet oder nach §§ 53 oder 54 AufenthG ausgewiesen worden ist, steht nicht im Widerspruch zum Veranlasserprinzip der Kostentragungspflicht nach §§ 66 und 67 AufenthG. In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 AufenthG hat der abgeschobene Ausländer die Abschiebung zwar nicht unmittelbar verursacht, weil sie gesetzlich vorgesehen ist. Er hat jedoch einen Verursachungsbeitrag geleistet, weil die Tatbestandsvoraussetzungen für die gesetzlich vorgesehene Abschiebung, nämlich die aufgrund einer Straftat erfolgte Verurteilung, die sich anschließende Strafhaft und die darauf beruhende Ausweisung, auf einen freien Willensentschluss des Klägers zurückzuführen sind. Denn die Abschiebung aus der Haft heraus beruht – im Hinblick auf die Gründe für die Inhaftierung – auf dem eigenverantwortlichen Handeln des Klägers (VGH München, B. v. 14.02.2012 – 10 C 11.2591 –, bei Winkelmann, a.a.O.).
Die Kostenregelung der Dublin-III-Verordnung sieht in Art. 30 vor, dass die Überstellungskosten - im Gegensatz zu den Bestimmungen der §§ 66, 67 AufenthG nicht der zu überstellenden Person, sondern nur weiteren Kostenschuldnern, auferlegt werden dürfen.
Zur Kostentragungspflicht bei rechtswidriger Grundmaßnahme s. Rn. 132ff.
Kosten der Abschiebung sind nur solche, die in einem direkten inneren sachlichen Zusammenhang mit einer Abschiebung nach § 58 AufenthG stehen (vgl. Geyer, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2008, § 67 AufenthG, Rn. 1); VG Hamburg, U. v. 22.02.2010 – 4 K 1377/09 –. Bei einer freiwilligen Ausreise des Betroffenen handelte es sich nicht um eine Abschiebung, also nicht um eine Vollstreckungsmaßnahme, sondern um eine vom Tatbestand der §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 AufenthG nicht erfasste Handlung. Die Kosten der Identitätsfeststellung sind als Kosten der Vorbereitung der Abschiebung ebenfalls erstattungsfähig. Die Identitätsfeststellung des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers dient der Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapiers und ist demnach eine zwingende Voraussetzung für eine Abschiebung. Deshalb sind derartige Kosten als Verwaltungskosten gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 10 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz (VwKostG) erstattungsfähig (vgl. VG Münster, U. v. 2.9.2009, –5 K 1629/08 –, juris). Das gilt für die Dolmetscherkosten ebenso wie für die Kosten des ausländischen Botschaftspersonals und dessen Unterbringung und Verpflegung (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 7 VwKostG).
Die entsprechende Anwendung des Art. 6 EMRK in Abschiebehaftsachen erfordert die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers bei der richterlichen Anhörung im Freiheitsentziehungsverfahren. Die bei der Anhörung durch den Richter im Sicherungshaftverfahren angefallenen Dolmetscherkosten können daher nicht im Rahmen der §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG als Kosten der Abschiebung gegenüber dem abzuschiebenden oder bereits abgeschobenen Ausländer geltend gemacht werden (VG Dresden, U. v. 05.04.2012 – 3 K 1455/11 –, bei Winkelmann, a.a.O.).
Eine Sicherheitsleistung kann bereits dann verlangt werden, wenn Abschiebungskosten noch gar nicht im Sinne des § 66 Abs. 1 AufenthG entstanden sind bzw. nur voraussichtlich entstehen werden. Dies spricht dafür, Abschiebungskosten bereits im Weg der Anordnung einer Sicherheitsleistung (vorläufig) erheben zu können, wenn sie zu einer konkret beabsichtigten Abschiebung führen bzw. mit einer solchen in Zusammenhang stehen. Nachdem eine Kostenhaftung nach § 66 Abs. 1 AufenthG nach einhelliger Auffassung nicht die Durchführung einer Abschiebung bis zu ihrem Ende voraussetzt, liegt es zumindest nahe, einer Ausländerbehörde das Verlangen nach einer Sicherheitsleistung bereits dann zuzugestehen, wenn diese eine Abschiebung konkret betreibt, z.B. durch den Haftantrag zum Amtsgericht (VG Ansbach, B. v. 16.08.2011 – AN 19 K 11.00886 –.
Das VG Gießen (U. v. 12.04.2012 – 7 K 292/12.GI –, bei Winkelmann, a.a.O.) hat entschieden, dass eine Sicherheitsleistung auch für bereits entstandene Abschiebekosten verlangt werden kann, nicht nur für zukünftig anfallende. § 66 Abs. 5 AufenthG enthält keine Begrenzung auf die Kosten zukünftiger Abschiebungen. Eine Sicherheitsleistung nach § 66 Abs. 5 AufenthG kann vielmehr vom Ausländer auch für die Erstattung der Kosten einer in der Vergangenheit durchgeführten Abschiebung verlangt werden. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Kosten der damaligen Abschiebung bereits voll umfänglich und abschließend feststehen.
Betreibt die Ausländerbehörde die Abschiebung eines Ausländers, ist sie gemäß § 63 Abs. 1 AuslG-1990 die für diese Maßnahme insgesamt zuständige Behörde im Sinne von § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG-1990, auch wenn sie zur Durchführung der Abschiebung die Polizei eines Landes oder den Bundesgrenzschutz heranzieht. Sie ist deshalb berechtigt, die gesamten Kosten der Abschiebung einschließlich der Kosten der hinzugezogenen Behörden durch Leistungsbescheid gegenüber dem Kostenschuldner zu erheben (BVerwG, U. v. 14.06.2005 – 1 C 11/04 –).
„An der Abschiebung eines Ausländers wirken in der Regel mehrere Behörden mit, die häufig auch unterschiedlichen Rechtsträgern angehören. Bei den jeweiligen Amtshandlungen entstehen Kosten. Bei der Ausländerbehörde fallen Kosten für eine erforderliche Passbeschaffung, evtl. auch für einen Dolmetscher und Arzt sowie für das Flugticket des Ausländers an, bei der Bereitschaftspolizei des Landes entstehen Kosten für den Transport des Ausländers zum Flughafen und bei der Bundespolizei (früher: Bundesgrenzschutz) für die Begleitung des Ausländers während seiner Rückführung ins Heimatland.
Klärungsbedarf bestand daher für die Frage, ob die Ausländerbehörde sämtliche im Rahmen der Abschiebung entstandenen Kosten einheitlich durch Leistungsbescheid geltend machen darf oder ob dies durch gesonderte Bescheide der einzelnen Behörden zu erfolgen hat. […]
Mit seiner Entscheidung klärt das BVerwG die insbesondere aufgrund der Rechtsprechung des OVG Koblenz (Urt. v. 07.05.2004 - 10 A 10080/04) und des OVG Magdeburg (U. v. 17.03.2005 - OVG 2 L 509/02) streitig gewordene Zuständigkeitsfrage zugunsten einer einheitlichen Zuständigkeit der das Verfahren betreibenden Ausländerbehörde. Es stützt sich dabei maßgeblich auf den Gesichtspunkt, dass die anderen beteiligten Behörden lediglich als Vollzugshelfer der Ausländerbehörde tätig werden und daran auch die Begründung einer originären Zuständigkeit nach § 63 Abs. 4 AuslG nichts ändert. Das entspricht im Ergebnis auch den Regelungen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AuslG vom 28.06.2000 (GMBl 2000, 618 – vgl. Nr. 63.1.5 und 83.0.3).
Die Entscheidung betrifft allerdings nur die Befugnis zur Kostenerhebung im Außenverhältnis. Nach welchen rechtlichen Maßstäben das Zusammenwirken der verschiedenen Behörden im Innenverhältnis zu beurteilen ist und inwieweit die Vorschriften des VwVfG über die Amtshilfe darauf entsprechend anwendbar sind, lässt das BVerwG offen.
An die Entscheidung knüpft das neun Monate später ergangene Urteil des BVerwG vom 14.03.2006 (1 C 5/05) an und klärt, dass bei einem Verwaltungsrechtsstreit über Abschiebungskosten die Rechtsträger der anderen beteiligten Behörden (Bund oder Land) nicht nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladen sind, da in deren Rechte durch eine Entscheidung gegenüber der allein zuständigen Ausländerbehörde nicht eingegriffen wird.
Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen für die Praxis. Wäre das BVerwG der Rechtsauffassung des OVG Koblenz und des OVG Magdeburg gefolgt, wären zahlreiche Leistungsbescheide der Ausländerbehörden rechtlich angreifbar gewesen.“
Kommentar von Prof. Dr. Harald Dörig, RiBVerwG in jurisPR-BVerwG 17/2006 Anm. 2, erschienen am 21.08.2006.
Im Klageverfahren des Ausländers gegen den Leistungsbescheid der Ausländerbehörde auf Zahlung der Abschiebungskosten sind andere an der Durchführung der Abschiebung beteiligte Behörden auch dann nicht notwendig beizuladen, wenn um die ihnen entstandenen Kosten gestritten wird. Personalkosten der Behörde gehören - außer in den gesetzlich besonders geregelten Fällen - nicht zu den vom Ausländer zu erstattenden Verwaltungskosten der Abschiebung im Sinne des § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG-1990 (jetzt § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Wird der Ausländer bei seiner Abschiebung auf dem Luftweg von ausländischen Sicherheitskräften begleitet, stellt dies auch dann keine "amtliche" Begleitung im Sinne des § 83 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (jetzt § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) dar, wenn es im Einvernehmen mit den zuständigen deutschen Behörden geschieht. Zur Zahlung der Kosten der Begleitung durch ausländische Sicherheitskräfte bei der Abschiebung kann der Ausländer nur nach Maßgabe des § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG-1990 (jetzt § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) in Verbindung mit den allgemeinen Regelungen des Verwaltungskostengesetzes über die Erstattung von Auslagen herangezogen werden (BVerwG, U. v. 14.03.2006 – 1 C 5/05 –; VG Braunschweig, U. v. 11.05.2009 – 3 A 367/07 –).
Für die Kosten der Abschiebung eines minderjährigen Kindes haften neben den Kostenschuldnern des § 82 AusIG-1990 (jetzt § 66 AufenthG) auch die Eltern, wenn sie die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen ihr minderjähriges Kind nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG mitveranlasst haben. Die Erstattungspflicht für Kosten einer in Justizvollzugsanstalten vollzogenen Abschiebungshaft erstreckt sich auf alle erforderlichen, tatsächlich entstandenen Kosten der Abschiebungshaft (§ 83 Abs. 4 Satz 1 AusIG, jetzt: § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG); BVerwG, U. v. 14.06.2005 – 1 C 15/04 –).
Unklar ist, wonach sich die Kosten der Abschiebung im Rahmen der Haftung der Eltern für ihre Kinder ergeben (Haftkostenbeitrag). Eine ausdrückliche Regelung, in welcher Höhe die Kosten der Abschiebungshaft geltend gemacht werden können, enthält das AufenthG nicht (OVG Lüneburg, U. v. 25. März 2004 – 11 LB 327/03 –).
Auch Ausländer, die als (mind. 16-jährige) Minderjährige aus dem Bundesgebiet abgeschoben worden sind, dürfen zu den Kosten dieser Abschiebung herangezogen werden. Die Haftungsbeschränkung nach § 1629a BGB ist bei der Heranziehung zu Abschiebungskosten entsprechend anwendbar. Die Nichtbefolgung der Ausreisepflicht stellt eine sonstige Handlung im Sinne des § 1629a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB dar, die bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres des abgeschobenen Ausländers von dessen Eltern und danach grundsätzlich vom minderjährigen Ausländer selbst zu verantworten ist. Etwas anderes gilt nach Vollendung des 16. und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ausnahmsweise dann, wenn die Eltern von ihrem widerstreitenden Aufenthaltsbestimmungsrecht erkennbar Gebrauch gemacht und so die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht
durch ihr minderjähriges, aber ausländerrechtlich handlungsfähiges Kind verhindert haben (OVG Lüneburg, U. v. 25.09.2014 – 8 LC 163/13 –, juris).
Die Verpflichtung des Ausländers, die Kosten für die Flugbegleitung der eigenen Abschiebung zu erstatten, setzt nach dem auch im Verwaltungskostenrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit voraus, dass es erforderlich war, den Ausländer bei seiner Abschiebung auf dem Rückflug ins Heimatland zu begleiten. Zur Begründung der Erforderlichkeit einer Begleitung darf die Behörde nicht lediglich auf registrierte Verurteilungen oder eingestellte Ermittlungsverfahren zurückgreifen, wenn sich hieraus eine Gewaltbereitschaft nicht offensichtlich ergibt. Die Behauptung, der Kläger sei Betäubungsmittelkonsument, reicht für sich genommen ebenfalls nicht für die Anordnung einer Sicherheitsbegleitung aus (VG Darmstadt, U. v. 06.01.2009 – 5 E 1614/97 (3) –) und stellt eine unrichtige Sachbehandlung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG vor, die der Pflicht zur Erstattung der Kosten entgegen steht. Eine Begleitung des Ausländers bei der Abschiebung ist immer dann erforderlich, wenn der Ausländer Anlass hierzu gibt, also in seiner Person liegende Gründe für die Sicherheitsbegleitung vorliegen. Das ist nicht der Fall, wenn die Prognose im Wesentlichen ausschließlich auf die INPOL-Eintragungen gestützt werden oder nach den Rückführungsbestimmungen bei der Rückführung von mutmaßlich Suchtkranken, einschließlich Betäubungsmittelkonsumenten, grundsätzlich eine Sicherheitsbegleitung vorzusehen ist (VG Augsburg, U. v. 30.10.2013 - Au 6 K 13.53 -, juris).
Es ist auch dem Grunde nach gerechtfertigt, dass der Beklagte den Kläger ergänzend zu den eigenen Flugkosten auch noch zu den für seine Begleitung im erforderlichen Umfang entstehenden Kosten einschließlich der Personalkosten (§ 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) herangezogen hat. Der Umstand, dass der Kläger bei der Abschiebung durch zwei Beamte der Beigeladenen begleitet worden ist, führt nicht zu einer Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide. Die Entscheidung über den Einsatz von Begleitbeamten während des Fluges trifft ausschließlich die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörde. Sie allein ist für die ordnungsgemäße Durchführung der Rückführungsmaßnahme verantwortlich. Dabei hat sie in eigener Zuständigkeit alle sicherheitsrelevanten Umstände zu berücksichtigen, zu denen u. a. neben der eigenen Einschätzung der individuellen Gefährlichkeit des Ausländers in der Situation der Abschiebung und den allgemeinen Flugsicherheitsvorschriften auch die Personenbeschreibung des zuständigen Ausländeramtes gehört. Eine unbegleitete Abschiebung auf dem Luftwege kommt nur dann in Betracht, wenn die mit der Abschiebung betraute Behörde angesichts des ihr bekannten Sachverhalts mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass der abzuschiebende Ausländer sich weder der Abschiebung widersetzt, noch im Übrigen eine Gefährdung der Flugsicherheit von ihm ausgeht. Diese ist auch nicht automatisch beseitigt, wenn der Abzuschiebende sich selbst zum anberaumten Abflugtermin stellt, um damit lediglich zu vermeiden, zuvor in Abschiebehaft genommen zu werden. Art und Umfang der Reisekostenvergütung der Beamten des Bundes sind im Bundesreisekostengesetz - BRKG - geregelt. Dienstreisende erhalten eine Vergütung der dienstlich veranlassten notwendigen Reisekosten. Wurde dabei aus dienstlichen oder wirtschaftlichen Gründen ein Flugzeug benutzt, werden gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 BRKG die Kosten der niedrigsten Flugklasse erstattet. Kosten einer höheren Klasse regelmäßig verkehrender Beförderungsmittel können erstattet werden, wenn dienstliche Gründe dies im Einzelfall oder allgemein erfordern (VG Berlin, U. v. 30.03.2010 – 24 A 340.07 –).
Eine Erforderlichkeit der begleiteten Abschiebung liegt dann vor, wenn der Ausländer hierzu Anlass gibt, wenn es also in seiner Person liegende Gründe hierfür gibt, wobei die Begleitung objektiv erforderlich sein, und in den Fällen, in denen die Erforderlichkeit einer Begleitung durch Sicherheitskräfte nicht offen zutage liegt, von der Behörde in nachvollziehbarer Weise benannt und belegt werden muss (BVerwG v. 14.03.2006 – 1 C 5/05 = BVerwGE 125, 101 ff.). Diese Voraussetzungen sind nach den Umständen des Einzelfalles nicht gegeben, wenn keine hinreichenden Gründe für die Annahme, dass vom Kläger eine Gefahr für die Sicherheit des Flugverkehrs, die Besatzung des Flugzeugs, die Passagiere oder das Flugzeug selbst ausgehen könnte, begründbar ist. Nicht ausreichend ist, wenn sich aus den vorgelegten Akten der Bundespolizei entnehmen lässt, dass sie ihre gegenteilige Prognose im Wesentlichen aufgrund von INPOL-Eintragungen getroffen hat, die dem Kläger schwere Ge-walttaten zuschreiben und ihn als Betäubungsmittelkonsumenten ausweisen. Diese Einschätzung reicht insbesondere dann nicht, wenn sich hierfür in der Ausländerakte und den von den Beteiligten sonst vorgelegten Unterlagen keine hinreichenden Belege finden lassen (VG München, U. v. 28.07.2011 – M 12 K 11.1363 –, juris).
Nach §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird der Ausländer zu den durch die Durchsetzung einer Abschiebung tatsächlich entstandenen Kosten von der Ausländerbehörde durch Leistungsbescheid herangezogen. Die Pflicht, die Abschiebungskosten zu tragen, setzt nicht voraus, dass die Abschiebung abgeschlossen und der Aufenthalt des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland beendet worden ist.
Der Wortlaut des § 66 Abs. 1 AufenthG setzt lediglich voraus, dass Kosten in Folge der "Durchsetzung" einer Abschiebung entstanden sind und gebietet keine Beschränkung auf die erfolgreiche und abgeschlossene Abschiebung. Zudem umfassen die Abschiebungskosten nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich die bei der Vorbereitung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft. Auch Sinn und Zweck der Regelung stehen einer Beschränkung der Kostentragungspflicht auf die Fälle, in denen es tatsächlich zu einer Abschiebung gekommen ist, entgegen. Denn § 66 AufenthG dient der Präzisierung und Erweiterung der grundsätzlich bestehenden Veranlasserhaftung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG, nicht hingegen deren Begrenzung (vgl. BVerwG, U. v. 14.6.2005 – 1 C 15.04 –, InfAuslR 2005, 480, 481; BVerwG, U. v. 23.10.1979 – 1 C 48.75 –, BVerwGE 59, 13, 20). Insbesondere die Anordnung der Abschiebungshaft zur Sicherung der Abschiebung eines aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers dient ausschließlich der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht und ist daher von ihm im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG veranlasst. Nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die dazu führen, dass es nicht zur Abschiebung kommt, ändern nichts daran, dass der Ausländer seine Inhaftierung und die dadurch entstandenen Kosten veranlasst hat und die Kosten daher von ihm zu tragen sind (OVG Lüneburg, B. v. 20.01.2010 – 11 LA 23/09 –, B. v. 31.03.2010 – 8 PA 28/10 –). A.A. VGH München (U. v. 18.05.1999 – 10 B 98.2564 –) zum alten Recht (AuslG-1990). Der maßgebliche Gesetzeswortlaut im § 82 Abs. 1 AuslG-1990 hieß jedoch noch:
Kosten, die durch die Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung entstehen, hat der Ausländer zu tragen.
Dagegen spricht heute der geänderte Wortlaut des § 66 Abs. 1 AufenthG, der lediglich voraussetzt, dass Kosten in Folge der "Durchsetzung" einer Abschiebung entstanden sind, und keine Beschränkung auf die erfolgreiche und abgeschlossene Abschiebung gebietet.
Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, insbesondere der Anordnung der Haft ist grundsätzlich Voraussetzung für die Kostenheranziehung, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haftet ein Ausländer für die Kosten einer Abschiebung nur, wenn die die Kosten auslösenden Amtshandlungen ihn nicht in seinen Rechten verletzen (BVerwG, U. v. 16.10.2012, – 10 C 6.12 –, Rdnr. 20 f.). Das BVerwG hatte bereits in seinem Urteil vom 14.06.2005 (BVerwG – 1 C 11.04 – BVerwGE 123, 382 , S. 7 f.) zum Ausdruck gebracht, dass die Haftung für die Kosten der Abschiebungshaft nach § 82 AuslG (jetzt: § 66 AufenthG) von der Rechtmäßigkeit der angeordneten Haft abhängt (vgl. auch bestätigend BVerwG, U. v. 10.12.2014 – 1 C 11.14 –, juris). Danach kann ein Ausländer im Ausgangspunkt gegenüber einer Kostenerhebung grundsätzlich jeden rechtlichen Mangel der Abschiebung geltend machen, sofern dieser geeignet ist, eigene Rechte zu verletzen, und zwar unabhängig davon, ob das Vorliegen des Mangels offensichtlich ist. Sofern der Ausländer hingegen Mängel rügt, die seine Rechte nicht berühren können, kann er zwar - wie sonstige Kostenschuldner auch - unter Verweis auf eine "unrichtige Sachbehandlung" im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 1 VwKostG die Rechtswidrigkeit der konkreten Teil- oder Einzelmaßnahme einwenden. Die Erstattungspflicht entfällt bei solchen Mängeln jedoch nur dann, wenn die Amtshandlung offenkundig rechtswidrig war und die Kosten bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären (OVG Saarland, U. v . 01.08.2013 – 2 A 402/11 –, juris).
Allein die Rechtswidrigkeit einer Abschiebungshaft lässt die Kostenerstattungspflicht eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers für aus der Haft erfolgte Transporte nicht entfallen. Das gilt auch für den Haftungsumfang des Arbeitgebers, der bei der Beschäftigung von Ausländern ohne Arbeitserlaubnis zwar grundsätzlich für die Kosten ihrer Abschiebung ins Ausland aufkommen muss, aber nicht die Kosten einer Abschiebungshaft zu tragen hat, wenn diese rechtswidrig war (BVerwG, U. v. 16.10.2012 – 10 C 6.12 –). Es besteht kein Zusammenhang zwischen der rechtswidrigen Abschiebungshaft und der jedenfalls vollziehbaren Ausreisepflicht. Wird er anschließend auf dem Luftweg abgeschoben, hat er die Kosten auch notwendiger Begleitpersonen (z.B. Polizeibeamter) zu tragen. Ein der Abschiebung entgegenstehender Wille des Ausländers ist für den Piloten auch bei Ausübung der Bordgewalt von Rechts wegen unbeachtlich. Die Hoheitsgewalt der Polizeibehörden wird durch die sog. Bordgewalt des Piloten nicht ausgeschlossen und endet nicht mit Schließen der Bordtüren eines Flugzeugs (OVG Lüneburg, B. v. 23.03.2009 – 11 LA 490/07–). Der begleitete Transport zum Flughafen ist als Teil der Abschiebung gemäß § 58 AufenthG eine Vollstreckungshandlung der Ausländerbehörde zur Durchsetzung einer vollziehbaren Ausreiseverpflichtung. Diese Maßnahme setzt weder voraus, dass sich der Ausreisepflichtige gemäß § 62 AufenthG in Abschiebungshaft befindet, noch baut sie in rechtlicher Hinsicht darauf auf. Vielmehr ist sie - wie auch die Abschiebungshaft – eine selbständige, der Sicherstellung einer tatsächlichen Ausreise des Ausreisepflichtigen dienende Vollstreckungsmaßnahme. Eine für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit bedeutsame rechtliche Wechselwirkung zu weiteren Vollstreckungsmaßnahmen - wie z.B. die Abschiebungshaft - ist grundsätzlich nicht gegeben. Insoweit bildet allein die gemeinsame Zielrichtung der Umsetzung einer vollziehbaren Ausreisepflicht eine verbindende Klammer. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Vollstreckungsmaßnahme beurteilt sich regelmäßig nach den jeweiligen dem Charakter der Vollstreckungshandlung entsprechenden rechtlichen Anforderungen, ohne dass es dabei auf die rechtliche Beurteilung anderer Vollstreckungshandlungen ankommt, die ihrerseits - wie z. B. die Abschiebungshaft gemäß § 62 AufenthG - möglicherweise spezielleren Anforderungen genügen müssen.
Zur Bordgewalt und weitere Kommentierung dieses Beschlusses bei Winkelmann, Migrationsrecht.net, Portal Haftrecht.
Zu den Kosten bei Abschiebung und Zurückschiebung
OVG Lüneburg, B. v. 23.03.2009 – 11 LA 490/07 –
Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, wenn der ursprüngliche Haftanordnungsgebeschluss des Amtsgerichts vom Landgericht mit Wirkung „ex tunc“ aufgehoben wurde und sich dadurch die tatsächlich durchgeführte Abschiebungshaft insofern als von Anfang an rechtswidrig erwiesen hat (OVG Lüneburg, U. v. 15.09.2009 – 11 LC 287/08 –). Verwaltungsgerichte beurteilen im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der erhobenen Kosten für Abschiebungshaft inzident auch die Rechtmäßigkeit der Haft selbst (BVerwG, U. v. 14. Juni 2005 – 1 C 15/04 –). Ob die Kostentragungspflicht nach § 66 Abs. 1 AufenthG zudem die Rechtmäßigkeit der Abschiebung und der die Abschiebung vorbereitenden Maßnahmen, für die der Ausländer die Kosten tragen soll, erfordert (vgl. BVerwG, U. v. 14.6.2005 – 1 C 15/04 –, BVerwGE 124, 1, 7 f.; Hamburgisches OVG, B. v. 18.9.2009 – 3 So 93/09 –, InfAuslR 2010, 123, 124; Niedersächsisches OVG, B. v. 18.3.2009 – 7 LA 145/08 –, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, U. v. 19.10.2005 – 11 S 646/04 –, juris Rn. 47 ff.; GK-AufenthG, Stand: Februar 2010, § 66 Rn. 4 ff.), ist offen. Nach dem Prozesskostenhilfeverfahren ist nur eine summarische Prüfung (vgl. BVerfG, B. v. 26.2.2007 – 1 BvR 474/05 –, NVwZ-RR 2007, 361, 362) geboten. Bestehen insbesondere nach dem klägerischen Vorbringen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung als solche oder die die Abschiebung vorbereitenden Maßnahmen rechtswidrig gewesen sind, bedarf es dieser Prüfung nicht (OVG Lüneburg, B. v. 31.03.2010 – 8 PA 28/10 –).
Erhebliche und gravierende der Abschiebung, Zurückweisung oder Zurückschiebung an sich und überhaupt anhaftende und offensichtlich zu Tage tretende rechtliche Fehler und Mängel stehen aus rechtsstaatlichen Gründen einer Kostentragungspflicht entgegenstehen, sofern es sich nicht lediglich um Mängel handelt, welche die Modalitäten beziehungsweise die Art und Weise der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung betreffen und die Höhe der Kosten nicht beeinflussen (Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand: März 2010, Rn. 5 zu § 66 AufenthG m.w.N., VG Ansbach, U. v. 22.07.2009 – AN 5 K 10.00960 –). Ein Ausländer, der selbst für die Abschiebungskosten in Anspruch genommen wird, kann, sofern der Verwaltungsakt, auf dessen rechtlicher Grundlage die Abschiebung erfolgt ist, nicht unanfechtbar geworden ist, grundsätzlich jeden rechtlichen Mangel der Abschiebung geltend machen, unabhängig davon, ob das Vorliegen des Mangels offensichtlich ist oder nicht. Eine Kostentragungspflicht entsteht daher insbesondere nicht für eine Abschiebung, die in rechtswidriger Weise oder ohne Rechtsgrund durchgeführt worden ist. Vgl. dazu auch OVG Hamburg, U. v. 03.12.2008, 5 Bf 259/06, zitiert nach juris, unter Hinweis auf das Erfordernis des § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG, wonach Kosten nicht erhoben werden, die bei richtiger Sachbehandlung durch die Behörden nicht entstanden wären; ferner Funke-Kaiser, a.a.O., sowie Hailbronner, AuslR, Stand: Juni 2011, § 66 Rdnr. 1 d, m. w. N (VG Saarland, U. v. 31.08.2011 – 10 K 2370/10 –.
Wenn dem Kläger der Haftantrag nicht schriftlich (spätestens bis zur Anhörung) ausgehändigt worden ist, entfällt die Kostentragungspflicht wegen Rechtswidrigkeit des Haftantrages (VG Berlin – 21 K 342.12 – U. v. 28.05.2013, juris). Zu der Problematik der Haftantragstellung s. § 417 FamFG.
Keine Kosten dürfen für Maßnahmen erhoben werden, die unter Verstoß gegen die Mitteilungspflichten gegenüber dem Ausländer nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. e) Unterabs. 1 der Dublin-II-VO ergangen sind (VG München, U. v. 16.05.2013 – M 24 K 12.4569 –, juris). Diese unmittelbar wirksame unionsrechtliche Mitteilungspflicht ist nach deutschem Recht durch die Ausländerbehörde zu erfüllen, und zwar derart, dass diese das vom Bundesamt gefertigte und an sie übersandte Mitteilungsschreiben, das eine Begründung zu enthalten hat (vgl. Art. 20 Abs. 1 Buchst. e) Unterabs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO), dem Ausländer aushändigt; dabei hat die Aushändigung der Mitteilung so rechtzeitig zu erfolgen, dass der durch Art. 20 Abs. 1 Buchst. e) Unterabs. 1 Satz 4 Dublin-II-VO garantierte Rechtsschutz gegen die Überstellung noch möglich ist – dies schließt eine Aushändigung erst kurz vor der Überstellung aus (vgl. OVG NRW B.v. 26.2.2013 – 18 B 572/12 – juris Rn. 47).
Zu Art. 36 Abs. 1 b WÜK und Entfallen der Kostentragungspflicht wegen Rechtswidrigkeit der Haft bei Fehlen der notwendigen Belehrung (hier: Nigeria):
Über die Rechte nach dieser Bestimmung hätten die Behörden den Betroffenen unverzüglich zu unterrichten. Dazu habe der Bundesgerichtshof entschieden, vgl. BGH, Beschluss vom 18.11.2010, V ZB 165/10, InfAuslR 2011, 119, dass die Verletzung der Rechte des Ausländers nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK einen grundlegenden Verfahrensmangel darstelle, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge habe. Belehrungen des Ausländers über seine Rechte aus diesem Übereinkommen, seine Reaktion hierauf und, sofern verlangt, die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung von der Inhaftierung seien daher vom zuständigen Haftrichter aktenkundig zu machen. Auf eine Kausalität der Rechtsverletzung für die Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft komme es wegen des Eingriffscharakters der Haft in Rechte des Ausländers – anders als nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Vw- KostG – nicht an (VG Saarland – 10 K 161/12 – U. v. 26.06.2013, juris).
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Es bestehen erhebliche Bedenken, die vom BVerwG (U. v. 24.11.1998 – 1 C 33/97 –) für die Kostenhaftung bei Verpflichtungserklärungen gemäß § 84 AuslG-1990 (jetzt § 68 AufenthG) entwickelte Rechtsprechung – wonach in atypischen Fällen nach Ermessen zu entscheiden ist, ob der Verpflichtete zu den Kosten herangezogen wird – auf die Heranziehung des Ausländers zu den Kosten seiner Abschiebung gemäß §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 und 3 AufenthG (früher §§ 82 Abs. 1, 83 Abs. 1 und 4 AuslG AuslG-1990) zu übertragen. Jedenfalls liegt ein atypischer, ggf. zur Ermessensbetätigung nötigender Fall nicht schon dann vor, wenn die Kostenforderung sehr hoch und der Betroffene nicht leistungsfähig ist. Insoweit ist der Pflichtige auf die Möglichkeit verwiesen, eine Stundung oder einen Erlass nach haushaltsrechtlichen Grundsätzen zu beantragen (OVG Hamburg, U. v. 03.12.2008 – 5 Bf 259/06 –).
Es ist grundsätzlich rechtlich unbedenklich, die Verpflichtung zur Übernahme der Lebensunterhalt eines Ausländers (vgl. § 68 AufenthG) mit der Verpflichtung zur Übernahme der Ausreisekosten (vgl. § 66 Abs. 1 und 2 sowie § 67 Abs. 1 AufenthG) zu verbinden. Dass derjenige, der sich gegenüber der Ausländerbehörde verpflichtet hat, für die Ausreisekosten des betroffenen Ausländers aufzukommen, für die in § 66 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Kosten – darunter auch die Kosten der Abschiebung des Ausländers – aufzukommen hat, ergibt sich nicht nur unmittelbar aus § 66 Abs. 2 AufenthG, sondern zudem in eindeutiger Weise aus dem Text der unterzeichneten Verpflichtungserklärung (VGH München, B. v. 28.01.2010 – 10 ZB 09.2226 –).
Das OVG Sachsen (B. v. 09.07.2010 – 3 A 123/09 –) wies darauf hin, dass die Berechtigung, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erhalten, die Heranziehung zu den Kosten für die Abschiebungshaft gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 2 Auf-enthG nicht ausschließt. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG sind nach diesem Gesetz leistungsberechtigt u. a. Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Sie erhalten die in §§ 3, 4 sowie § 6 AsylbLG näher umschriebenen Leistungen. Die Leistungen werden - dem Grundgedanken etwa des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch folgend - dem Einsatz von Einkommen und Vermögen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nachrangig erbracht; wird der erforderliche Lebensunterhalt anderweitig gedeckt, werden gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ebenfalls keine Leistungen nach diesem Gesetz gewährt. Nach alledem besteht ein Anspruch auf entsprechende Leistungen nur, wenn der Ausländer im Sinne des Gesetzes bedürftig ist. Hieraus folgt, dass ein Ausländer, der sich in Abschiebungshaft befindet, schon deshalb keine Grundleistung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erhält, weil der erforderliche Lebensunterhalt insoweit von anderer Seite abgedeckt ist (zur Anwendbarkeit von § 8 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG auf Abschiebehäftlinge vgl. Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, Stand: Dezember 2009, § 3 Rn. 62). Der Ausländer erhält auch in der Abschiebungshaft allerdings gemäß § 3 Abs. 1 Sätze 4, 5 AsylbLG den dort festgelegten, um 30 % reduzierten monatlichen Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens, da in typisierender Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass der in Abschiebungshaft befindliche Ausländer eines geringeren Geldbetrags zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens bedarf als derjenige, der sich nicht in Abschiebungshaft befindet. Aus dem Vorgesagten ergibt sich zusammenfassend, dass der Leistungsträger von den Leistungen frei wird, die der betroffene Ausländer durch den Träger der Haftanstalt erhält, in der der Ausländer seine Abschiebungshaft ableistet.
Nach § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG haftet für die Kosten der Abschiebung, wer den Ausländer als Arbeitnehmer beschäftigt hat, wenn diesem die Ausübung der Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht erlaubt war. § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gebietet eine weite Auslegung des Begriffs Arbeitnehmer. Für die Arbeitnehmereigenschaft ist ein förmlicher Arbeitsvertrag nicht erforderlich, es genügt auch eine kurzfristige Beschäftigung für einige Stunden, ebenso ein „Arbeitsversuch“, was nichts anderes als eine Beschäftigung des Ausländers an diesem ersten Tag und nicht nur seine bloße Anwesenheit bedeutet. Hierfür genügt auch die Einweisung eines Arbeitnehmers in die zu erledigenden Arbeiten zu Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses. Ein kausaler Zusammenhang zwischen einer unerlaubten Beschäftigung und dem Entstehen der Abschiebungskosten ist grundsätzlich nicht erforderlich und allenfalls in dem Sinne zu verstehen, dass die zeitliche und sachliche Einheit zwischen der unerlaubten Beschäftigung und der Abschiebung nicht durch andere ausländerrechtlich relevante Umstände wie etwa eine Abschiebung und Wiedereinreise unterbrochen sein darf. In diesem Sinne genügt, wenn die illegale Beschäftigung zumindest mit ursächlich für die Abschiebung war. Ein Arbeitgeber soll auch bei einer nur geringfügigen Beschäftigung für die Abschiebungskosten haften, hierbei handelt es sich um eine vom Gesetzgeber bezweckte abschreckende Wirkung. Diese abschreckende Zielsetzung ist dem Ausländerrecht zwecks Unterbindung illegaler Beschäftigung auch nicht fremd, wie das Bundesverwaltungsgericht zu § 24 Abs. 6 a Satz 1 AuslG a.F. entschieden hat. Die Kostenpflicht soll der unerlaubten Beschäftigung ausreisepflichtiger Arbeitnehmer vorbeugen, das Kostenrisiko wirkt abschreckend und kann damit zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer beitragen. Zudem dient eine Kostenerhebung und Kostenhaftung auch der Sicherung des gegenüber dem Ausländer zumeist nicht zu realisierenden Kostenersatzes. Das Gesetz will verhindern, dass die Abschiebungskosten der Allgemeinheit zur Last fallen. Es rechnet diese Kosten auch demjenigen zu, der den Ausländer beschäftigt hat, weil ein Arbeitgeber, der einen Ausländer beschäftigt, der unverzüglich ausreisen muss und nicht beschäftigt werden darf, an der Aufrechterhaltung des unerlaubten Aufenthalts mitwirkt und diesen oft zu seinem Vorteil nutzt. Sein Verhalten kann außerdem dazu beitragen, dass erwerbswillige Ausländer illegal einreisen oder einen unerlaubten Aufenthalt fortsetzen und sich ihrer Ausreisepflicht entziehen. Die legale Anwesenheit und Beschäftigung führen zudem häufig zu erheblichen sozialen Missständen, deren Bekämpfung die Regelung ebenfalls bezweckt. Danach verfolgen solche Vorschriften nicht nur arbeitsmarktpolitische und fiskalische, sondern auch ordnungsrechtliche und soziale Zwecke. Die Haftung kann auf Fälle begrenzt sein, in denen der Arbeitgeber die Rechtswidrigkeit der Beschäftigung kannte oder kennen musste, weil sonst der abschreckende Zweck nicht mehr zum Tragen kommt (vgl. Funke-Kaiser, in: GK zum AufenthG, § 66, Rn. 27 m. w. N.). Ein Arbeitgeber hat nach § 4 Abs. 3 Satz 4 AufenthG die Pflicht, sich vor Beginn der Beschäftigung den Aufenthaltstitel bzw. die Arbeitserlaubnis vorlegen zu lassen. Bei leisesten Zweifeln muss bereits mit der Ausländerbehörde Rücksprache genommen werden. Dazu muss sich der Arbeitgeber mindestens zu Beginn die Aufenthaltserlaubnis vorlegen lassen (VG Augsburg, U. v. 19.05.2010 – Au 6 K 09.277 –).
Schiebt die Ausländerbehörde einen Drittstaatsangehörigen, der nach seinen, durch Vorlage des Titels untermauerten Angaben über einen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union verfügt, ohne nähere Prüfung der Gültigkeit dieses Aufenthaltstitels in sein Heimatland ab, so haftet dessen Arbeitgeber nicht für die Beförderungs-, Reise- und Transportkosten, die durch diese unverhältnismäßige Abschiebung entstanden sind. Die Haftung des Arbeitgebers für die Kosten der Abschiebungshaft (Sicherungshaft) bleibt davon unberührt (VG Gießen, U. v. 16.04.2013 –7 K 1201/12.GI. –, juris).
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